App herunterladen

Liebesromane an einem Ort

Kapitel 3Begegnung im Verborgenen


Sophia

Sophia hielt die Einladung in der Hand, ihr Blick wanderte immer wieder über die präzise, gleichmäßige Schrift: „Sie dürfen den Garten zu Ihrer Inspiration nutzen. Bitte behandeln Sie ihn mit Respekt.“ Darunter die Unterschrift: „Elias Weber.“ Die cremefarbene Notiz war schlicht, doch die Geste dahinter faszinierte sie. Warum hatte der Haushälter entschieden, sie einzuladen? Und wie viel wusste der Besitzer des Anwesens über sie?

Obwohl sie innerlich vor Neugier brannte, zögerte sie. Der Garten war ihr wie ein magischer Ort vorgekommen, ein verborgener Raum, der Geheimnisse bewahrte. Doch nun, da sie offiziell eingeladen war, spürte sie eine seltsame Schwere – als ob diese Bewilligung das Unberührbare ein Stück weit entzaubern könnte. Sie legte die Notiz auf den Tisch und strich mit den Fingern leicht über das Papier, verlor sich in Gedanken. Schließlich entschied sie sich. Der Garten hatte sie gerufen, und sie würde antworten.

Mit einem entschlossenen Lächeln packte sie ihre Staffelei und Farben zusammen und brach auf.

Die Nachmittagssonne brach durch das dichte Blätterdach des Waldes, der sie zum Anwesen führte. Goldene Strahlen tanzten zwischen den Zweigen, und der erdige Duft des Laubs, das unter ihren Stiefeln knirschte, erfüllte die Luft. Der Pfad war still, bis auf das gelegentliche Zwitschern eines Vogels. Als Sophia das eiserne Tor erreichte, blieb sie stehen. Die verschlungenen Ranken, die sich um die Gitterstäbe wanden, wirkten wie stumme Wächter. Sie sog tief die Luft ein und schob das Tor auf, das mit einem gedehnten Knarren nachgab.

Vor ihr lag der Garten, eine Symphonie aus Wildheit und Verfall. Doch heute schien etwas anders. Vielleicht lag es an der stillen Einladung, die sie erhalten hatte, vielleicht an dem Licht, das jetzt anders fiel. Der Garten wirkte zugleich einladend und voller unausgesprochener Geschichten.

Sophia suchte sich einen Platz in der Nähe der beschädigten Skulptur, die sie am Vortag gezeichnet hatte. Die Skulptur war für sie mehr als nur ein Kunstwerk – sie war eine Brücke zu etwas, das sie nicht in Worte fassen konnte. Ihre brüchigen Linien und überwucherten Details erzählten von Verlust, aber auch von einer unfassbaren Schönheit, die Sophia bannen wollte.

Sie stellte ihre Staffelei auf, bereitete ihre Farben vor und tauchte in ihre Arbeit ein. Jede Pinselbewegung wurde zu einem Gespräch mit dem Garten, einem Versuch, seine Seele zu verstehen. Die Farben, die sie mischte, waren gedämpft – erdige Töne, die das Chaos und die Melancholie des Ortes einfangen sollten.

Während sie arbeitete, spürte sie eine wachsende Verbindung zu dem Garten. Die Skulptur schien vor ihren Augen lebendig zu werden, als ob sie eine verborgene Wahrheit ans Licht bringen würde. Sophia dachte an die Hände, die sie einst geschaffen hatten, und fragte sich, welche Geschichten in ihr verborgen lagen.

So sehr versunken war sie, dass sie das leise Knirschen von Schritten auf dem Kiesweg hinter ihr nicht bemerkte. Erst, als sie eine Bewegung aus den Augenwinkeln wahrnahm, hielt sie inne. Sie drehte sich um – und da stand er.

Konstantin Stein.

Sein Anblick verschlug ihr für einen Moment die Sprache. Er war hochgewachsen, seine Haltung aufrecht, doch seine Schultern trugen eine fast unsichtbare Last. Der dunkle Anzug, den er trug, schien aus einer anderen Zeit zu stammen, doch er wirkte wie ein Teil dieser Szenerie, als wäre er mit dem Garten verwoben. Seine stahlgrauen Augen ruhten auf ihr, distanziert, doch mit einer Neugier, die sie nicht deuten konnte.

„Herr Stein“, sagte Sophia schließlich, ihre Stimme leise, fast fragend.

„Frau Berg“, erwiderte er knapp. Seine Stimme war tief, kontrolliert, und doch schwang etwas darin mit, das sie nicht ganz greifen konnte.

Sophia legte den Pinsel zur Seite und wischte sich die Hände an ihrer Jeans ab. Sie trat einen Schritt auf ihn zu, zögernd, aber entschlossen. Konstantin blieb stehen, seine Schultern angespannt, als wäre er sich nicht sicher, ob er bleiben oder sich zurückziehen sollte.

„Ich hoffe, ich störe nicht“, sagte sie schließlich, ihre Worte sanft, aber mit einer unterschwelligen Festigkeit.

Konstantin schüttelte kaum merklich den Kopf. „Sie wurden eingeladen“, antwortete er, als würde das jegliche Diskussion überflüssig machen.

Einen Moment lang herrschte eine seltsame Stille zwischen ihnen. Sophia spürte, wie seine Augen auf ihrer Staffelei ruhten, auf der unfertigen Darstellung der Skulptur und des Gartens.

„Sie sehen etwas in diesem Ort, das mir seit langem verborgen ist“, sagte er schließlich. Sein Ton war ruhig, doch in seinen Worten lag ein Hauch von Schmerz.

Sophia musterte ihn, suchte nach einem Zugang zu dem Mann vor ihr. „Vielleicht“, sagte sie sanft, „liegt es daran, dass ich nur das sehe, was hier ist – nicht das, was hier war.“

Konstantin zuckte nicht zusammen, doch die Spannung in seiner Haltung veränderte sich. Es war, als ob ihre Worte eine unsichtbare Saite in ihm berührt hätten.

„Und was sehen Sie?“ fragte er nach einer langen Pause, seine Stimme leise, fast wie ein Flüstern.

Sophia überlegte einen Moment, bevor sie antwortete. „Ich sehe Schönheit im Chaos“, sagte sie schließlich. „Ich sehe Geschichten, die erzählt werden möchten. Und ich sehe eine bestimmte Art von Hoffnung – auch wenn sie verborgen scheint.“

Konstantin hielt inne, sein Blick wanderte zurück zu der Skulptur. Die beschädigten Konturen schienen ihn in eine andere Zeit zu versetzen.

„Hoffnung“, wiederholte er, fast skeptisch, doch mit einem Hauch von Melancholie, der seine Worte durchdrang.

Sophia nickte, ihre Stimme nun fester. „Manchmal liegt Hoffnung in den kleinsten Dingen. In einer Linie auf einem Blatt Papier. In einem zufälligen Sonnenstrahl, der durch die Wolken bricht. In einem Garten, der sich weigert, ganz aufzugeben.“

Ihre Worte schienen ihn zu berühren, auch wenn er seinen Blick von ihr abwandte. Eine kurze Stille folgte, in der das Rascheln der Blätter im Wind wie ein leises Echo ihrer Unterhaltung klang.

„Vielleicht“, sagte Konstantin schließlich, seine Stimme wieder kontrolliert. „Aber nicht jeder sieht Hoffnung. Manchmal sieht man nur Schatten.“

Sophia lächelte leicht, ließ sich von seiner Skepsis nicht abschrecken. „Manchmal“, erwiderte sie leise, „sind Schatten nur ein Zeichen dafür, dass irgendwo Licht fällt.“

Konstantin sah sie an, seine Augen verrieten einen Moment der Überraschung. Doch bevor er antworten konnte, ertönte das ferne Läuten einer Glocke, das die Abendstunde ankündigte.

Sophia drehte sich leicht zur Seite, bevor sie sprach. „Ich sollte gehen.“ Ihre Stimme war sanft, fast bedauernd. „Danke, dass ich hier sein darf.“

Konstantin nickte knapp, sagte jedoch nichts. Er blieb stehen und sah zu, wie sie ihre Sachen zusammenpackte, jede Bewegung ruhig und bedacht, als würde sie den Moment in sich aufnehmen.

Als Sophia das Tor hinter sich schloss, blieb Konstantin noch lange im Garten stehen. Sein Blick ruhte auf der leeren Stelle, wo sie eben noch gestanden hatte. Ihre Worte hallten in ihm wider, verdrängten die bekannte Stille, die sonst seine Gedanken beherrschte.

Für einen kurzen Moment fragte er sich, ob Hoffnung wirklich so verborgen war, wie er immer geglaubt hatte.