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Liebesromane an einem Ort

reader.chapterDie Enthüllung


Kati

Der Konferenzraum war still wie ein Grab. Nur das leise Surren des Projektors und das gelegentliche Rascheln von Papier durchbrachen die angespannte Atmosphäre. Katharina „Kati“ Hoffmann stand am Kopf des langen, dunklen Holztisches, ihre schlanken Hände fest um die Kanten ihrer zusammengetragenen Unterlagen geschlossen. Der Tisch schien endlos, eine Bühne für Macht und Kontrolle, und Kati fühlte das Gewicht der Blicke auf sich, während sie die einzige Stimme in einem Raum voller Unsicherheit war.

Vor ihr saßen ihre Kollegen, eine Mischung aus routinierten Staatsanwälten und jungen, ehrgeizigen Juristen, die versuchten, ihre Nervosität hinter professionellen Masken zu verbergen. Ganz am Ende des Tisches saß Dr. Ilse Berger, ihre Mentorin und Abteilungsleiterin. Ihre durchdringenden grünen Augen ruhten auf Kati, und die schwache Falte zwischen ihren Brauen war das einzige Zeichen der Anspannung – oder war es etwas anderes? Ein Hauch von Zögern, von Zurückhaltung, den Kati nicht deuten konnte.

„Meine Damen und Herren,“ begann Kati mit fester Stimme, bemüht, die flimmernde Anspannung in ihrem Inneren zu unterdrücken. Doch ein leises Zittern in ihrer Stimme drohte sich zu zeigen, und sie zwang sich, umso klarer zu sprechen. „Nach monatelangen Ermittlungen habe ich Beweise gesammelt, die das Ausmaß der Korruption und kriminellen Machenschaften des Falk-Clans offenlegen. Es ist unser bisher stärkster Ansatzpunkt, diese Organisation zu Fall zu bringen.“

Sie drückte auf die Fernbedienung, und der Projektor warf ein Bild an die weiße Wand: die Silhouette eines Mannes – groß, einschüchternd – inmitten von Schatten. Die Umrisse schienen die Luft schwerer zu machen, und ein kaum wahrnehmbares Raunen ging durch die Reihen.

„Leon Falk“, fuhr sie fort, ihre Stimme fest, obwohl ein Hauch von Bitterkeit durchklang. „Anführer und Mastermind einer der gefährlichsten kriminellen Organisationen Berlins. Seine Operationen reichen von Geldwäsche über illegalen Waffenhandel bis hin zu Erpressung. Er hat nicht nur die Unterwelt der Stadt fest im Griff, sondern auch Verbindungen zu hochrangigen Politikern und Wirtschaftsführern. Unsere Stadt ist sein Schachbrett, und wir sind die Figuren.“

Eine Welle des Unmuts ging durch den Raum. Einige der Anwesenden tauschten skeptische Blicke aus, andere schienen die Tragweite der Aussage nur langsam zu begreifen. Kati spürte, wie ihre Nerven sich spannten, doch sie ließ sich nichts anmerken.

Sie wechselte zur nächsten Folie – eine Übersicht von Transaktionen, Dokumenten und Zeugenaussagen, die ein Netz von Korruption aufzeigten.

„Diese Beweise,“ erklärte sie und deutete mit einem zeigenden Finger auf die Details, „zeigen, wie tief der Falk-Clan in die Strukturen der Justiz und der Politik eingedrungen ist. Wir haben Zugriff auf verschlüsselte Finanzdaten, die die Verbindung zu mehreren hochrangigen Beamten beweisen. Das ist unsere Chance, dieses Imperium zu zerschlagen.“

Ein Kollege, ein älterer Staatsanwalt mit verschränkten Armen, hob eine Augenbraue. „Und Sie sind sicher, dass diese Beweise gerichtsfest sind? Solche Machenschaften deckt man nicht mit halben Indizien auf.“

Kati hielt seinem Blick stand, ihre Entschlossenheit unerschütterlich. „Die Daten wurden mehrstufig verifiziert, Herr Lehmann. Wir haben sämtliche Quellen geprüft und abgesichert. Diese Beweise sind wasserdicht.“

Ein leises Nicken ging durch den Raum, doch der Zweifel war noch nicht vollständig verflogen. Kati ließ ihre blauen Augen über die Gesichter schweifen, suchte nach Anzeichen von Unterstützung – oder Ablehnung.

„Das ist beeindruckend, Katharina,“ sagte schließlich Dr. Berger, das erste Wort seit Beginn der Präsentation. Ihre Stimme war wie immer ruhig, eine Mischung aus Weisheit und Strenge. „Ihr Einsatz und Ihre Hartnäckigkeit verdienen Anerkennung.“

Ein leises Nicken folgte. Doch dann zog sich die Falte zwischen Bergers Brauen ein wenig tiefer.

„Aber ich muss Sie warnen,“ fügte sie hinzu und fixierte Kati mit einem durchdringenden Blick, „die Falks sind nicht wie andere Kriminelle. Sie spielen keine Spiele, die wir verstehen. Jeder Schritt, den wir machen, wird Gegenreaktionen hervorrufen. Das ist ein Krieg, Katharina. Und in Kriegen gibt es immer Verluste.“

Das Wort „Verluste“ hing schwer in der Luft. Dr. Bergers Finger trommelten unmerklich auf die Tischkante, eine winzige Geste, die nur Kati auffiel. War es Nervosität? Oder etwas anderes?

Ein Kälteschauer lief Kati die Wirbelsäule hinunter, doch sie zwang sich, keine Unsicherheit zu zeigen. „Ich bin mir der Risiken bewusst,“ antwortete sie. „Aber wenn wir es jetzt nicht tun, wird dieser Clan weiter wachsen. Er wird noch tiefer in unser System eindringen, bis es keinen Weg mehr gibt, sie zu stoppen.“

Berger musterte sie einen Moment lang schweigend, bevor sie knapp nickte. „Gut. Dann fahren Sie fort.“

Kati atmete tief durch und ging die nächsten Punkte ihrer Präsentation durch. Sie legte dar, wie die Daten verifiziert wurden, welche Schritte als nächstes zu unternehmen waren und wie sie die Beweise in den kommenden Tagen offiziell einreichen würde. Die Resonanz ihrer Kollegen war reserviert, aber zustimmend. Sie wussten, dass dies ein riskantes Unterfangen war – doch es war auch eine Chance, Geschichte zu schreiben.

**

Zur gleichen Zeit, nur wenige Kilometer entfernt, lehnte Leon Falk mit fast unheimlicher Ruhe in einem tiefen Ledersessel in der Bibliothek seines Anwesens. Die Luft war erfüllt vom erdigen Duft von Zigarrenrauch, vermischt mit einem Hauch von Whisky. Vor ihm brannte ein Feuer im Kamin, dessen Licht tanzende Schatten auf die dunklen Holzwände warf.

„Also, sie macht Fortschritte,“ sagte er leise und blickte auf die Unterlagen, die vor ihm lagen. Die Informationen waren so frisch, dass die Tinte auf den ausgedruckten Seiten noch feucht zu sein schien. Sie zeigten Bilder, Namen und Details – alles über Kati Hoffmann und ihre Ermittlungen.

Sein Informant, ein untersetzter Mann mit schütterem Haar und einem nervösen Zucken in den Händen, nickte hastig. „Ja, Herr Falk. Sie hat eine Präsentation gehalten. Sie hat die Beweise zusammengetragen. Aber noch nichts eingereicht. Es könnte ihre letzte Chance sein.“

Leon ließ die Seiten durch seine Finger gleiten, als würde er die Worte wiegen. Schließlich legte er das Papier beiseite und stand auf, sein maßgeschneiderter Anzug makellos, jede Bewegung von einer kontrollierten Eleganz.

„Interessant,“ murmelte er. Seine grauen Augen funkelten, kalt und kalkulierend. „Diese Frau glaubt also, sie könnte mich zu Fall bringen. Mutig. Oder dumm.“

Der Informant schwieg und hielt den Blick gesenkt.

„Sie ist jung,“ fuhr Leon fort und trat ans Fenster, das einen Blick auf den regnerischen Garten bot. „Aber klug. Entschlossen. Jemand wie sie könnte nützlich sein. Vielleicht lohnt es sich, sie genauer zu beobachten.“

Er drehte sich um, das Licht des Feuers ließ die kleine Narbe an seiner linken Augenbraue aufblitzen. „Und Viktor?“

„Er meint, wir sollten sie… beseitigen,“ stotterte der Informant und wich unwillkürlich einen Schritt zurück, als er Leons Blick spürte.

Leon lächelte. Es war ein kaltes, gefährliches Lächeln. „Natürlich sagt er das. Viktor hat immer nur eine Lösung: Zerstörung. Aber nein, diese Frau ist zu wertvoll, um sie einfach… zu entsorgen.“

Er trat zurück zu seinem Sessel, nahm ein Glas Whisky und ließ sich nieder. Seine Finger umschlossen das Glas, während er nachdenklich darüber nachsann.

„Ich werde herausfinden, was sie wirklich antreibt,“ sagte er schließlich, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. „Wenn sie klug ist, wird sie lernen, dass die Welt nicht so einfach ist, wie sie glaubt. Und wenn nicht…“

Er nahm einen Schluck Whisky, seine grauen Augen auf das Flackern der Flammen gerichtet. „Nun, dann wird sie lernen, was es bedeutet, sich mit mir anzulegen.“

**

Als Kati schließlich spätabends ihr Büro verließ, war die Stadt in Dunkelheit getaucht. Der Regen hatte aufgehört, doch die Straßen glänzten noch von den Pfützen, die das Licht der Laternen spiegelten. Sie zog ihren Mantel enger um sich und hielt den Kopf gesenkt, während sie zum Parkplatz ging.

Ein schwacher Luftzug ließ sie innehalten, doch sie schüttelte den Gedanken ab und ging weiter. Tief in Gedanken versunken spürte sie nicht die kühle Präsenz, die sie aus der Ferne beobachtete.

Eine dunkle Silhouette stand im Schatten eines gegenüberliegenden Gebäudes, regungslos wie eine Statue. Leon Falk ließ den Blick auf ihr ruhen, seine grauen Augen scharf und unergründlich. Er hatte die Frau gefunden, die glaubte, ihn zu Fall bringen zu können. Und er war bereit, das Spiel zu beginnen.