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Liebesromane an einem Ort

Kapitel 3Flüstern aus den Schatten


Markus Wagner

Markus Wagner lehnte an der harten Rückenlehne seines Stuhls, die Finger fest um den Stiel eines halb geleerten Weinglases gelegt. Das gedämpfte Licht der kleinen, heruntergekommenen Bar warf flackernde Schatten über sein kantiges Gesicht, während er das Glas langsam drehte. Die Luft war schwer vom Geruch abgestandenen Alkohols und kaltem Rauch. Das monotone Tropfen aus einem undichten Rohr mischte sich mit den gedämpften Geräuschen der Stadt – das Dröhnen von vorbeifahrenden Autos, das gelegentliche Kreischen einer entfernten Alarmanlage. Hier, in diesem schäbigen Winkel von Berlin, konnte Markus ungestört nachdenken. Unbeobachtet – oder zumindest fast.

Sein Blick wanderte durch den Raum. Zwei Männer saßen in einer dunklen Ecke, über Papiere gebeugt, die wie belanglose Rechnungen wirkten, doch Markus wusste, dass meist gerade die Banalitäten die gefährlichsten Geheimnisse verbargen. Ein alter Barkeeper schlug die Kasse zu, das Geräusch hallte kurz durch die Bar. Mit einem schmutzigen Tuch polierte er Gläser, ohne wirklich hinzusehen, eine stumme Bestätigung, dass Fragen hier keinen Platz hatten. Der perfekte Ort für jemanden wie Markus.

Er nahm einen kleinen Schluck aus seinem Glas. Der Wein war billig und säuerlich, brannte leicht in seiner Kehle, aber das störte ihn nicht. Seine Gedanken hielten ihn beschäftigt – Gedanken an das Treffen im Falkenhof, bei dem Vincent Falk seine Autorität demonstriert hatte. Markus spürte noch immer die Anspannung in seiner Brust, die von Vincents Worten herrührte. Der Mann hatte mit kühler Präzision gesprochen, jeder Satz ein testender Schlag. Nur ein Dummkopf hätte die unterschwellige Drohung nicht erkannt. Vincent glaubte, die Kontrolle zu haben. Doch Markus wusste es besser – Kontrolle gehörte denen, die bereit waren, sie zu nehmen.

Ein leises Quietschen ließ ihn aufmerken. Die schwere Eingangstür der Bar öffnete sich, und ein großer Mann trat ein. Sein schwarzer Mantel glänzte leicht im schummrigen Licht, der Kragen hoch aufgeschlagen. Er blieb kurz stehen, ließ seinen Blick durch den Raum gleiten, bevor er direkt auf Markus zuging. Als der Mann näherkam, erkannte Markus ihn. Kahlert. Ein nützlicher, wenn auch leicht zu verunsichernder Unterling aus den unteren Rängen des Clans.

„Bist du sicher, dass du herkommen solltest?“ fragte Markus kühl, das Glas mit einem leisen Klirren auf den Tisch sinken lassend. Seine Stimme war leise, doch der harte Unterton ließ keine Zweifel an seiner Haltung.

Kahlert zog einen Stuhl zurück und setzte sich, die Hände nervös auf die Tischkante gelegt. Sein Blick huschte unruhig durch den Raum, bevor er sich zu Markus lehnte. „Niemand hat mich verfolgt. Ich… ich wollte dir nur berichten, was ich gehört habe.“

„Dann rede.“ Markus’ Geduld war dünn wie ein Drahtseil, auch wenn er sich äußerlich gelassen gab.

„Vincent… er hat eine Liste anlegen lassen“, begann Kahlert mit gesenkter Stimme. „Er will jeden überwachen. Jeden einzelnen. Ich glaube, er weiß mehr, als er sagt.“ Seine Stimme brach leicht am Ende des Satzes, ein Verräter in seinem eigenen Nervenkostüm.

Markus lächelte dünn, ein kaltes, leeres Lächeln. „Natürlich will er das. Er glaubt, dass er uns austricksen kann. Glaubt, dass er uns genug unter Druck setzen kann, damit wir uns selbst verraten.“ Er griff wieder nach seinem Glas, nahm einen kleinen Schluck und stellte es bedächtig ab. „Ein kluger Zug, zumindest für jemanden wie ihn. Aber es wird ihm nichts nützen.“

Kahlerts Stirn legte sich in Falten. „Und was machen wir?“

„Wir warten.“ Markus verschränkte die Hände hinter dem Kopf, eine betont lässige Geste, die Kahlerts Unsicherheit noch mehr zur Geltung brachte. „Lass ihn weitermachen. Jedes Mal, wenn er jemanden unter Druck setzt, wird er ihn gegen sich aufbringen. Und wenn die Zeit reif ist…“ Markus ließ den Satz bewusst unvollendet. Die Worte hingen schwer und unausgesprochen im Raum, wie der Rauch, der unter den Lampen schwebte.

Kahlert nickte zögernd, doch sein Blick blieb angespannt. Es war offensichtlich, dass er noch etwas sagen wollte. „Es gibt… Gerüchte“, begann er nach einem Moment des Schweigens. „Manche sagen, dass Vincent nicht nur den Verräter sucht, sondern… etwas anderes. Etwas, das Leon hinterlassen hat.“

Markus’ kaltes Lächeln verschwand. Seine Augen verengten sich. „Was für etwas anderes?“

„Ich weiß es nicht.“ Kahlert hob abwehrend die Hände. „Nur, dass es wichtig ist. Vielleicht Beweise. Vielleicht etwas, das alles verändern könnte.“

Innerlich kämpfte Markus mit dem Drang, Kahlert zu packen und ihm die Antworten aus dem Leib zu schütteln. Stattdessen zwang er sich zu einem weiteren dünnen Lächeln. „Interessant“, murmelte er. „Sehr interessant.“

Er warf einen Blick auf die Wanduhr, deren Zeiger sich erschöpft vorankämpften. Es war Zeit. Ohne Kahlert eines weiteren Blickes zu würdigen, stand Markus auf und zog seinen Mantel über. „Bleib hier. Trink etwas. Und rede mit niemandem.“

„Wohin gehst du?“ fragte Kahlert, doch Markus antwortete nicht.

Draußen empfing ihn die kalte Nachtluft, durchtränkt vom metallischen Geruch des Regens, der kurz zuvor gefallen war. Er zog den Mantel enger um sich, während er durch die leeren Straßen ging. Der Weg zum Lagerhaus war kurz, doch in seinem Inneren brodelten Gedanken, dunkler und schwerer als die Wolken über ihm. Leons Hinterlassenschaft… Was auch immer es war, Vincent durfte es nicht in die Hände bekommen. Es war nicht nur eine Frage der Macht, sondern auch der Kontrolle über den Clan, über die Geschichte selbst.

Das Lagerhaus, ein verlassener Betonklotz am Rand des Tegeler Hafens, erhob sich wie ein gespenstischer Wächter in der Dunkelheit. Markus drückte die rostige Tür auf, die mit einem ohrenbetäubenden Quietschen nachgab. Innen wartete bereits seine kleine Gruppe – drei Männer und eine Frau, die er in den letzten Wochen um sich geschart hatte. Gesichter der Unzufriedenheit, jede Falte eine Erinnerung an die Fehler des Clans unter Vincents Führung.

„Ist alles bereit?“ fragte Markus, ohne Zeit mit Höflichkeiten zu verschwenden.

Die Frau, eine schlanke Gestalt mit scharfem Blick und einer Zigarette zwischen den Fingern, nickte. „Brenner ist bereit. Aber er will dich persönlich sprechen, bevor wir weitermachen.“

Markus schnaubte. Karl Brenner, der Anführer eines rivalisierenden Clans, war ein Mann, der wusste, wie man Macht spielte – und wie man sie nahm. Doch Markus war überzeugt, ihn manipulieren zu können. Das war schließlich seine größte Stärke: Menschen sehen, wie sie wirklich waren, und sie gegen sich selbst einsetzen.

„Er kann warten“, sagte Markus schließlich. „Für jetzt konzentrieren wir uns auf Vincent. Er glaubt, dass Kontrolle von Stärke kommt. Aber das tut sie nicht. Kontrolle kommt von Einsicht. Und ich habe mehr Einsicht in die Schwächen dieses Clans, als er jemals haben wird.“

Die Gruppe nickte, doch Markus bemerkte den flüchtigen Zweifel in ihren Augen. Er ignorierte ihn. Zweifel waren unvermeidlich. Wichtig war nur, dass sie ihm folgten – zumindest bis zu dem Punkt, an dem sie nicht mehr zurück konnten.

Markus trat einen Schritt vor und ließ seinen Blick über die Gesichter seiner Zuhörer gleiten. „Wir werden Vincent Falk stürzen“, sagte er mit leiser, aber unüberhörbarer Schärfe. „Und wenn er fällt, wird dieser Clan endlich die Führung bekommen, die er braucht.“

Die Worte hallten durch das dunkle Lagerhaus, eine Drohung und ein Versprechen zugleich. Markus wusste, dass der Weg gefährlich war, doch er war bereit, ihn zu gehen. Denn am Ende dieses Weges wartete Macht – und Markus Wagner war bereit, alles zu riskieren, um sie zu erlangen.