Kapitel 3 — Flüstern in den Wänden
Alyssa Weigel
Das Knarren des Holzbodens unter ihren Schritten klang wie ein leises Flüstern, das durch die Stille der Hütte hallte. Alyssa warf einen raschen Blick über ihre Schulter, doch der Raum hinter ihr war leer, nur die Dunkelheit lauerte in den Ecken. Ihre Finger schlossen sich fester um den Griff des Messers in ihrer Tasche, während sie sich zwang, ruhig zu atmen.
Die Dunkelheit, die von draußen durch die Fenster drang, schien sich wie ein lebendiges Wesen an den Wänden entlangzuschleichen, die Schatten des Waldes krochen in die Hütte und breiteten sich in jedem Winkel aus. Es fühlte sich an, als hätte der Schwarzwald selbst diesen Ort durchdrungen, seine Geheimnisse in den morschen Dielen und der muffigen Luft verankert.
Alyssa stellte die Kaffeetasse, die sie kaum angerührt hatte, auf den Tisch und ließ sich in den alten Sessel in der Ecke des Raums sinken. Der Stoff war rau und von einem muffigen Geruch durchzogen, und als sie sich anlehnte, knarrte das Möbelstück wie ein atmendes Wesen. Ihre Augen wanderten zu den schweren Vorhängen, die sie sorgfältig zugezogen hatte, um die Dunkelheit draußen zu halten.
Doch da war dieses Gefühl, beobachtet zu werden.
Alyssa schloss die Augen, versuchte, ihre Nerven zu beruhigen, doch die Geräusche begannen erneut. Ein leises Rascheln, wie von Papier, das über den Boden streifte, gefolgt von einem dumpfen Geräusch, als würde etwas Schweres verschoben werden. Sie fuhr auf und öffnete die Augen.
„Das ist nur die alte Hütte“, flüsterte sie, ihre Stimme kaum mehr als ein Hauch. „Holz arbeitet. Nichts weiter.“
Aber die Worte klangen hohl, selbst für sie. Sie griff nach der Taschenlampe auf dem Tisch und tastete nach dem vertrauten Gewicht des Silbertalismans um ihren Hals. Draußen erklang der Wind, der leise durch die Bäume fuhr, doch drinnen war die Luft schwer und stickig.
Langsam bewegte sie sich durch den Raum, jede Bewegung angespannt, bereit, bei dem kleinsten Geräusch zu reagieren. Der Lichtkegel ihrer Taschenlampe huschte über die Wände und den Boden, doch alles sah wie zuvor aus. Sie trat in den schmalen Gang, der zum Schlafzimmer führte, und bemühte sich, ihre Schritte leise zu halten.
Ein leises Klirren ließ sie innehalten. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, und sie wirbelte herum, die Taschenlampe fest in die Richtung gerichtet, aus der das Geräusch gekommen war. Es kam aus der kleinen Küche.
Mit vorsichtigen Schritten näherte sich Alyssa, die Nerven zum Zerreißen gespannt, ihre Finger um den Messergriff gekrampft. Die Küche lag still vor ihr, doch eines der Gläser, das sie zuvor auf die Ablage gestellt hatte, lag nun auf der Seite. Der Deckel war von der Platte gerollt und lehnte gegen die Spüle.
Ihre Kehle war trocken. Sie wusste, dass sie das Glas nicht berührt hatte. „Es gibt eine Erklärung“, murmelte sie, während sie versuchte, die Unruhe hinunterzuschlucken, die wie Nadeln durch ihre Gedanken stach. Mit zitternden Händen stellte sie das Glas zurück, setzte den Deckel darauf und drehte sich dann langsam um.
Ein eisiger Windstoß ließ das Fenster hinter ihr zuschlagen. Alyssa zuckte zusammen, und ihr Messer fiel fast aus ihrer Hand. Das Fenster war geschlossen gewesen – dessen war sie sich sicher. Ihre Gedanken überschlugen sich. Hatte sie es geöffnet? Oder...
Ein Gefühl kroch in ihren Rücken, als würde etwas direkt hinter ihr stehen, ein Atemzug, der über ihre Haut strich. Sie drehte sich abrupt um, das Messer in einer schützenden Haltung vor sich, doch die Küche war leer.
„Ich werde verrückt“, flüsterte sie, ihre Stimme brüchig.
Zurück im Wohnzimmer ließ sie sich schwer in den Sessel fallen, zog die Knie an ihre Brust und umklammerte die Kette ihrer Mutter wie einen Talisman gegen die Dunkelheit. Minuten vergingen, vielleicht auch Stunden, doch sie konnte sich nicht entspannen. Dann begann das Flüstern erneut.
Es klang klarer als zuvor, fast wie Stimmen, die aus den Wänden kamen. Alyssa starrte auf die dunkle Holzverkleidung, den Atem angehalten. Es war keine Sprache, die sie verstand, doch etwas an den Klängen ließ ihre Haut kribbeln.
Etwas war hier.
Ein schweres Klopfen an der Tür riss sie aus ihrer Erstarrung. Der dumpfe Klang ließ ihr Herz in die Kehle schießen. Sie zögerte, dann stand sie langsam auf und bewegte sich zur Tür.
„Wer ist da?“ Ihre Stimme klang fester, als sie sich fühlte.
Keine Antwort. Nur die Dunkelheit jenseits der Tür.
Mit klopfendem Herzen legte sie eine Hand auf den Türknauf und zog die Tür einen Spalt weit auf. Vor ihr stand ein alter Mann, gebeugt von den Jahren, sein Gesicht von tiefen Falten durchzogen. Er trug eine abgenutzte Jacke, und seine grauen Augen schimmerten kalt und undurchdringlich.
„Sie sollten nicht hier sein“, sagte er schließlich, seine Stimme ein heiseres Flüstern, das an das unheimliche Murmeln der Wände erinnerte.
Alyssa spürte, wie ihr Körper sich anspannte. „Wer sind Sie?“
„Gruber“, antwortete er knapp. „Ich wohne die Straße runter.“
„Was wollen Sie?“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
Der Mann lächelte, aber es war ein leerer, düsterer Ausdruck. „Wissen Sie, warum der Wald Sie rief?“ Er lehnte sich etwas näher, seine Stimme sank zu einem eindringlichen Ton. „Der Wald vergisst nicht. Und er vergibt nicht.“
„Was meinen Sie damit?“ Alyssa ballte ihre Hände zu Fäusten, spürte die Kette ihrer Mutter kühl in ihrer Handfläche.
„Der Fluch Ihrer Familie, Fräulein Weigel, reicht tiefer, als Sie ahnen. Und er wird Sie nicht loslassen.“ Er hob eine Hand, bevor sie antworten konnte, und trat zurück. „Seien Sie vorsichtig. Manchmal ist es besser, die Geister der Vergangenheit ruhen zu lassen.“
Ohne ein weiteres Wort verschwand er in der Dunkelheit, seine Silhouette verschluckt von den Schatten des Waldes.
Alyssa schloss die Tür und verriegelte sie hastig, das Messer noch immer in ihrer Hand. Ihr Atem ging flach, als sie sich gegen die Tür lehnte und sich zu beruhigen versuchte.
„Was zum Teufel war das?“, murmelte sie, ihre Stimme bebend.
Die Nacht zog sich weiter hin, doch an Schlaf war nicht zu denken. Sie saß im Sessel, die Kette ihrer Mutter fest umklammernd, während das Flüstern in den Wänden nicht aufhörte. Es fühlte sich an, als würde die Hütte mit ihr sprechen, leise, unverständliche Worte, die ihre Gedanken nicht losließen.
Als die ersten grauen Streifen des Morgens den Horizont erhellten, verstummte das Flüstern endlich. Doch die Fragen und die Angst blieben.
Alyssa wusste eines sicher: Der Wald beobachtete sie. Und was auch immer es war, es würde nicht ruhen, bis es bekam, was es suchte.