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Liebesromane an einem Ort

Kapitel 3Politische Intrigen


Raphael Wolf

Raphael schritt mit festen, gleichmäßigen Schritten durch das Lager des Nordclans. Die kühle Abendluft trug einen Hauch von Kiefern und feuchter Erde mit sich, doch sie konnte nicht die Anspannung zerstreuen, die über dem Lager lag. Ein leises Murmeln durchzog die Reihen der Krieger, die an den Grenzen patrouillierten. Einige warfen ihm respektvolle, aber besorgte Blicke zu, andere mieden seinen Blick. Es waren harte Zeiten, und die Unruhe in den Reihen seines Clans war spürbar, wie das leise Grollen eines nahenden Sturms.

Unterdessen, an einem der Lagerfeuer, tuschelten zwei jüngere Krieger miteinander. „Henrik sagte, dass die Magie der Heilerin mehr Dunkelheit bringt als Licht“, flüsterte einer. „Hast du nicht gehört, was mit den toten Tieren passiert ist?“ Der andere nickte mit ernster Miene, bevor die beiden verstummten, als Raphaels durchdringender Blick sie traf.

Samuel wartete bereits vor dem großen Versammlungshaus, das aus schwerem Holz und Stein errichtet war und mitten im Lager wie ein stiller Wächter thronte. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Sein Gesicht war ernst, doch ein Hauch von Erleichterung schlich sich in seine eisblauen Augen, als er Raphael näherkommen sah.

„Es gibt Gerüchte, Raphael“, begann Samuel, ohne Umschweife. „Henrik und Marcus flüstern den Leuten Dinge ein. Sie säen Zweifel an deiner Führung.“

Raphael hielt inne, seine Kiefermuskeln spannten sich an. Die Namen Henrik und Marcus waren ihm nur allzu vertraut. Henrik war ein erfahrener Krieger, stolz und ehrgeizig, dessen Loyalität immer fragwürdig gewesen war. Marcus war ein Ältester, einer der einflussreichsten Männer im Rat, aber auch einer der unnachgiebigsten Kritiker von Raphaels Entscheidungen – besonders in Bezug auf Liv.

„Was genau sagen sie?“ fragte Raphael, seine Stimme ruhig, aber mit einem harten Unterton.

Samuel trat einen Schritt näher, die leisen Geräusche des Lagers um sie herum schienen in der Stille zwischen den Brüdern zu verhallen. „Sie behaupten, dass deine Verbindung zu Liv unseren Clan schwächt. Dass ihre Magie – und ihre Vergangenheit – unser Untergang sein könnten. Henrik hat sogar angedeutet, dass sie die Schattenkreaturen anzieht.“

Raphael schloss kurz die Augen, ließ den Atem durch die Nase entweichen und zwang sich zur Ruhe. „Es war zu erwarten, dass sie versuchen würden, die Situation auszunutzen“, sagte er schließlich, seine Stimme leise, aber fest. „Doch ich lasse nicht zu, dass sie die Einheit unseres Clans gefährden.“

Samuel nickte, doch sein Blick blieb ernst. „Du musst vorsichtig sein, Bruder. Die Zweifel haben ihre Wurzeln geschlagen, und das, was du heute Abend im Rat sagst, könnte alles verändern.“

Raphael legte seinem Bruder eine Hand auf die Schulter. „Ich danke dir, Samuel. Deine Loyalität bedeutet mir mehr, als ich in Worte fassen kann. Erinnerst du dich, wie wir einst gegen die Schatten in den Westhöhlen gekämpft haben? Es war dein Vertrauen, das uns damals gerettet hat. Ich weiß, dass wir auch diesmal bestehen werden.“

Mit diesen Worten wandte er sich ab und trat in das Versammlungshaus ein. Das Innere war von flackerndem Feuerlicht erfüllt, das die geschnitzten Runen auf den Wänden zum Leuchten brachte. Die Ältesten waren bereits versammelt, ihre Gesichter von Schatten und Licht gezeichnet, während Henrik mit verschränkten Armen an der Wand lehnte – ein Raubtier, das auf den richtigen Moment wartete.

„Raphael“, begann Marcus mit einem scharfen, beinahe spöttischen Lächeln. „Wir haben auf dich gewartet.“

Raphael ließ sich Zeit, setzte sich an den Kopf des langen Tisches und ließ seinen Blick über die Anwesenden schweifen, bevor er sprach. „Ich habe von den Gerüchten gehört, die sich wie Gift durch unseren Clan ziehen. Es scheint, als hätte jemand viel Zeit und Mühe darauf verwendet, Sorgen und Zweifel zu schüren.“

Henrik löste sich von der Wand und trat vor. „Sorgen und Zweifel, Raphael, entstehen nicht aus dem Nichts“, sagte er, seine Stimme ruhig, aber mit einer Schärfe, die die Luft durchdrang. „Viele von uns haben Fragen – Fragen zu deiner Loyalität. Zu deiner Priorität. Zu... Liv.“

Das Wort hing in der Luft wie ein Messer. Raphael lehnte sich zurück, seine Hände auf der Tischkante ruhend, während er Henrik mit einem durchdringenden Blick fixierte.

„Fragt, was ihr fragen wollt“, sagte er schließlich, seine Stimme kalt wie der Wind im Hochwinter. „Was genau wollt ihr wissen?“

Henrik hielt inne, und für einen Moment flackerte Unsicherheit in seinen Augen auf, doch er versteckte sie schnell hinter seinem üblichen Selbstbewusstsein. „Unsere Sorge ist einfach: Liv Hagen ist eine Außenseiterin. Eine, die Magie nutzt, die wir nicht verstehen. Und jetzt, nach ihrer Vision, scheint sie – wie soll ich es sagen – den Wald selbst gegen uns zu wenden. Die Vorfälle, die Tiere, die sterben... Wer weiß, was sie noch bringen könnte?“

Ein vielstimmiges Murmeln ging durch den Raum. Marcus nutzte die Gelegenheit, um sich einzumischen. „Es ist nicht nur die Magie, Raphael. Es ist auch die Frage deiner Urteilsfähigkeit. Kannst du wirklich noch objektiv entscheiden, wenn es um sie geht? Oder hat sie dich so in ihren Bann gezogen, dass du das Wohl des Clans aufs Spiel setzt?“

Raphael stand langsam auf, seine eisblauen Augen glühten vor Zorn, doch seine Stimme blieb gefasst. „Ich werde euch daran erinnern, dass es Liv war, die meinen Bruder gerettet hat. Liv, die den Fluch im Verfluchten Hain brach. Wenn ihr behauptet, dass ich meinen Clan gefährde, indem ich ihr vertraue, dann sagt ihr damit, dass ich unser Überleben gefährde, indem ich die rette, die uns retten kann. Oder habt ihr vergessen, dass ihr selbst zu ihr kamt, als euch die Dunkelheit übermannte?“

„Und was, wenn sie selbst die Gefahr ist?“ warf Henrik ein, seine Stimme lauter werdend. „Was, wenn ihre Magie nur neues Unglück bringt? Kannst du das garantieren?“

„Kannst du garantieren, dass deine Zweifel nicht mehr Schaden anrichten als alles andere?“ konterte Raphael, seine Stimme nun schneidend.

Ein Moment der Stille folgte, bevor Marcus sich räusperte. „Wir alle wollen nur das Beste für den Clan, Raphael. Aber wir müssen vorsichtig sein. Vorsicht hat uns bisher am Leben gehalten.“

Raphael ließ seinen Blick über die Anwesenden wandern, sein Blick scharf und prüfend. „Vorsicht ist nicht dasselbe wie Angst. Und Angst hat noch niemandem geholfen, zu überleben. Ich werde Liv nicht aufgeben – nicht als unsere Heilerin und nicht als Verbündete. Sie ist ein Teil dieses Kampfes. Ihr könnt das akzeptieren oder nicht, aber ich werde sie nicht verraten.“

Das Feuer in der Mitte des Raumes knisterte leise, während die Worte nachhallten. Henrik und Marcus zogen sich zurück, doch ihre finsteren Blicke verrieten, dass dies nicht das letzte Wort war.

***

Später in dieser Nacht, als Raphael die kühle Luft des Lagers aufsog, näherte sich Samuel ihm erneut.

„Du warst gut“, sagte Samuel, seine Stimme leise. „Aber sie geben nicht auf. Henrik und Marcus werden weitermachen, bis sie bekommen, was sie wollen. Und manche Krieger beginnen bereits, ihnen zuzuhören. Ich hörte, wie Henrik mit einigen Jüngeren sprach – er streut Zweifel an deiner Entschlossenheit.“

Raphael nickte, seine Gedanken schwer. „Ich weiß. Aber wir haben einen größeren Kampf vor uns. Sie können ihre Spiele spielen, solange sie wollen – ich werde nicht zulassen, dass sie uns spalten.“

Samuel legte eine Hand auf Raphaels Schulter. „Was auch kommt, ich stehe an deiner Seite.“

Raphael sah seinen Bruder an, ein schwaches Lächeln auf seinen Lippen. „Das weiß ich, Samuel. Und dafür danke ich dir.“

Im Schatten einer nahen Hütte stand Freya, ihre Augen auf die beiden Brüder gerichtet. Ihre Gedanken rasten. Sie hatte Marcus’ manipulative Worte gehört, hatte Henriks Zweifel vernommen, doch in ihrem Inneren tobte ein Kampf. Erinnerungen an ihre Zeit mit Liv mischten sich mit den dunklen Andeutungen der Ältesten. Sie wollte Raphael und Liv glauben, doch die Saat des Misstrauens, die Marcus gesät hatte, wuchs weiter in ihr.

Schließlich wandte sie sich ab, ihr Herz schwer. Die Entscheidungen, die vor ihr lagen, würden alles verändern.