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Liebesromane an einem Ort

Kapitel 2Fragiler Frieden


Dritte Person

Ein schwacher Hauch von Tageslicht bahnte sich seinen Weg durch die grob gezimmerten Fensterläden der Hütte, als Liv erwachte. Die Vision der letzten Nacht lastete schwer auf ihr. Der Druck auf ihrer Brust war nicht gewichen, und ihre Hände fühlten sich kalt und zitternd an, als ob sie die Dunkelheit aus ihren Träumen noch immer spüren konnte. Ihre smaragdgrünen Augen öffneten sich langsam, doch der vertraute Anblick des einfachen Raumes bot keine Sicherheit. In ihrem Geist hallten die Worte der schattenhaften Gestalt wider, und das Bild des verbrannten Waldes mit den glühenden Augen der Kreaturen hatte sich wie ein Brandmal in ihr Bewusstsein gebrannt.

Neben ihr bewegte sich Raphael, das leise Knarren des Bettes kündigte sein Erwachen an. Er drehte sich zu ihr, sein Blick verschlafen, aber wachsam. Seine eisblauen Augen, die normalerweise eine Mischung aus Stärke und Distanz ausstrahlten, wirkten in diesem Augenblick durchdringend warm.

"Du hast kaum geschlafen", bemerkte er, seine Stimme rau von der morgendlichen Ruhe, aber voller Besorgnis.

Liv wollte ausweichen, aber ihre Brust zog sich bei dem Gedanken zusammen, die Last allein zu tragen. Sie wusste, dass sie Raphael vertrauen konnte, doch die Worte der schattenhaften Gestalt hatten Zweifel in ihr geweckt. Sie setzte sich langsam auf, zog ihren Umhang dichter um die Schultern und suchte nach den richtigen Worten.

"Ich hatte eine Vision...", begann sie zögerlich, ihre Stimme trug einen Hauch von Zittern, als ob sie die Dunkelheit durch ihre Worte erneut heraufbeschwören könnte. Raphael setzte sich ebenfalls auf, seine Miene sofort ernst.

"Was hast du gesehen?" fragte er ruhig, aber die Sorge war in seinem Ton nicht zu überhören.

Liv schloss für einen Moment die Augen, bevor sie begann, zu erzählen. Mit zitternden Händen und einer Stimme, die immer wieder brach, beschrieb sie den verbrannten Wald, die unheimlichen Schattenwesen und den Baum, der wie ein lebendiges Wesen voller Dunkelheit wirkte. Sie sprach von den glühenden Augen und der schattenhaften Gestalt, die aus dem Baum getreten war, und zitierte schließlich die Worte: "Das Erwachen hat begonnen." Als sie von der Verbindung ihrer Magie zur Dunkelheit sprach, senkte sie den Blick, als könnte sie Raphaels Urteil nicht ertragen.

Raphael schwieg einen Moment, die Falten auf seiner Stirn vertieften sich, während er über ihre Worte nachdachte. Dann legte er eine Hand auf ihre, ein fester und beruhigender Griff, der sie wieder zurück ins Hier und Jetzt holte.

"Wenn diese Vision wahr ist, dann dürfen wir keine Zeit verlieren", sagte er schließlich, seine Stimme ruhig, aber entschlossen. "Wir müssen die Ältesten der Clans aufsuchen. Sie müssen davon erfahren."

Liv nickte langsam, doch ihre Zweifel blieben bestehen – Zweifel daran, ob die Ältesten ihr zuhören würden, Zweifel an sich selbst und ihrer Fähigkeit, die Dunkelheit zu bekämpfen. "Was, wenn sie mir nicht glauben?" flüsterte sie, ihre Stimme kaum hörbar.

Raphael beugte sich vor, seine Augen suchten die ihren mit einer Intensität, die keinen Widerspruch duldete. "Ich bin der Alpha des Nordclans. Wenn sie dir nicht zuhören, werden sie es mir tun. Du bist nicht allein, Liv."

Seine Worte löschten nicht alle ihre Ängste, doch sie gaben ihr die Kraft, den nächsten Schritt zu wagen.

Nachdem sie ein hastiges Frühstück eingenommen hatten, machten sie sich auf den Weg zum Versammlungsort der Clans. Der Wald erstreckte sich wie ein stiller, unheimlicher Wächter um sie herum. Die Luft war kühl, und der übliche Gesang der Vögel war gedämpft, fast als würde auch die Natur den Atem anhalten. Der Geruch von feuchtem Moos und Eichenholz mischte sich mit einer kaum wahrnehmbaren Note von Asche – ein Überbleibsel ihrer Vision, das in ihrem Kopf widerhallte und die Realität verschwimmen ließ.

Unterwegs begegneten sie einigen Dorfbewohnern, die auf dem Weg zum Markt waren. Die Menschen warfen Liv misstrauische Blicke zu, ihre Worte waren ein Flüstern, das wie Gift durch die Luft schlich. Ein alter Mann, der sich mit einem knorrigen Stock abstützte, blieb kurz stehen und murmelte: "Das Unglück folgt ihr überall hin."

Liv hielt den Kopf gesenkt, aber die Worte schnitten tief. Sie hatte diese Blicke und diese Verurteilungen schon früher erlebt, doch nach allem, was sie für die Clans getan hatte, schmerzte es mehr denn je. Raphael bemerkte ihre Anspannung und griff nach ihrer Hand. Der Druck seiner Finger war fest, fast schützend. Dieser einfache Kontakt war wie ein Anker, der sie davon abhielt, in ihren Schuldgefühlen zu versinken.

Am Versammlungsplatz der Clans angekommen, wurden sie von einer angespannten Stille empfangen. Die Ältesten, ein halbes Dutzend Männer und Frauen mit ernsten Mienen, hatten sich um einen knorrigen Tisch mit alten, in die Oberfläche geschnitzten Runen versammelt. Ihr Flüstern verstummte, als Raphael und Liv näher traten.

"Was führt euch hierher?" fragte Marcus, ein hagerer Mann mit stechenden Augen, die Liv durchbohrten, als würde er nach einem Grund suchen, sie zu verurteilen.

Raphael trat vor, sein Ton war respektvoll, aber bestimmt. "Liv hatte eine Vision. Sie deutet auf eine neue Bedrohung hin – die Rückkehr der Dunkelheit, die wir im Verfluchten Hain bekämpft haben."

Ein Raunen ging durch die Reihen. Einige der Ältesten warfen sich besorgte Blicke zu, andere, wie Marcus, musterten Liv mit unverhohlener Skepsis.

"Eine Vision, sagst du?" Marcus' Stimme war kalt und sarkastisch. "Und warum sollten wir ihr Glauben schenken? Ihre Magie – diese Blutmagie – ist eine Gefahr. Vielleicht ist sie selbst der Ursprung dessen, wovor sie uns warnt."

Liv öffnete den Mund, um zu antworten, doch Raphael hob eine Hand, um sie zurückzuhalten. "Genug!" Seine Stimme hallte über den Platz, und selbst Marcus zuckte unwillkürlich zusammen. "Liv hat mehr für die Clans getan, als du jemals zugeben wirst. Ohne sie wäre der Fluch im Hain nicht gebrochen worden. Wenn sie sagt, dass eine Gefahr droht, dann sollten wir zuhören."

Marcus verschränkte die Arme vor der Brust und zog die Mundwinkel herab. "Wir werden Vorsicht walten lassen", sagte er schließlich mit einem abfälligen Ton, "aber der Frieden zwischen den Clans ist zerbrechlich. Wir können es uns nicht leisten, uns von Panik leiten zu lassen."

Livs Frustration wog schwer auf ihr. Sie hatte ihr eigenes Leben riskiert, um die Clans zu retten, und doch schienen ihre Warnungen immer wieder auf taube Ohren zu stoßen.

Freya stand abseits, ihre Haltung angespannt, ihre blauen Augen suchten flüchtig den Blick ihrer ehemaligen Freundin. Doch die Distanz zwischen ihnen war wie ein unsichtbarer Wall, der keine Annäherung zuließ.

Als Liv und Raphael schließlich zur Hütte zurückkehrten, herrschte eine bedrückende Stille zwischen ihnen. Liv sank auf einen Stuhl und vergrub das Gesicht in den Händen. "Sie verstehen es nicht", murmelte sie schließlich. "Sie sehen nur, was sie sehen wollen. Ich weiß nicht, wie ich sie überzeugen soll."

Raphael kniete sich vor sie, seine Hände legten sich auf ihre. "Wir machen das alleine, Liv. Wir haben es schon einmal geschafft, und wir werden es wieder tun. Du bist nicht allein."

Seine Worte trafen sie tief, und ein schwaches Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. "Danke, Raphael."

In dieser Nacht, während der Wald von Dunkelheit und unheilvollen Schatten erfüllt war, zog Liv ihren Umhang enger um sich und blickte hinaus in die Nacht. Die Vision hatte eine Wahrheit offenbart, die sie nicht ignorieren konnte. Sie schwor sich, die Wahrheit zu finden – mit oder ohne die Unterstützung der Clans.