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Liebesromane an einem Ort

reader.chapterVerborgene Gesichter


Lera und Maxim (wechselnd)

Lera betrat das Penthouse mit einer Ruhe, die so fein geschliffen war wie die Glasscheiben, die die Stadt darunter wie ein Gefängnis erscheinen ließen. Ihre Absätze klickten präzise auf dem kalten Marmorboden, jeder Schritt ein geübter Akt der Selbstbeherrschung. Der Geruch nach teurem Whisky hing schwer in der Luft, vermischt mit einer kaum wahrnehmbaren Note von Schießpulver, einem stummen Echo der Gewalt, die diese Mauern umgab. Alles an diesem Raum – die makellos glatten Oberflächen, die unnachgiebige Eleganz der Möbel – war eine Manifestation von Nikolays Macht. Und er selbst war das Zentrum dieser Welt.

Er stand am Fenster, den Rücken zu ihr gewandt, eine Hand lässig auf die gläserne Brüstung gelegt, während die andere ein halb gefülltes Whiskyglas hielt. Die Lichter der Stadt spiegelten sich in den Fensterscheiben wie ein flackernder, vieldeutiger Code aus Gefahren und Gelegenheiten. In seiner Schweigsamkeit lag eine Bedrohung, die sich wie ein schleichendes Gift ausbreitete.

„Du bist spät.“ Seine Stimme schnitt durch die Stille, ruhig, doch mit einem scharfen Unterton, der an eine Klinge erinnerte, die nur einen Millimeter von ihrer Kehle entfernt war.

Lera blieb stehen, den Türrahmen wie eine unsichtbare Barriere hinter sich. Ihre Schultern waren straff, die Haltung makellos. Doch tief in ihrem Inneren spürte sie die latente Spannung, die sich in ihrem Brustkorb zusammenzog. „Es war ein langer Tag,“ sagte sie, ihre Stimme kühl, so messerscharf wie seine.

Nikolay drehte sich langsam um, seine dunklen Augen suchten ihren Blick mit jener unverhohlenen Intensität, die immer ein Spiel aus Macht und Kontrolle bedeutete. „Ein langer Tag?“ Er trat näher, mit der Bedächtigkeit eines Raubtiers, das seine Beute umkreist. Das Glas in seiner Hand schien plötzlich schwerer zu wiegen. „Und wo genau hast du diesen langen Tag verbracht, Valeriya?“

Sie hielt seinem Blick stand und erlaubte sich ein winziges, spöttisches Lächeln, das nichts verriet. „Ich habe Dinge erledigt. Für uns nützliche Dinge.“ Ihre Worte waren eine sorgfältig platzierte Figur auf seinem Schachbrett, ein Zug, der ihn zum Nachdenken zwingen sollte.

„Für uns?“ Seine Stimme war leise, betrachtet ihr Gesicht mit der Präzision eines Messers, das bereit war, in jede Schwachstelle zu schneiden. „Interessant. Und welche Dinge könnten das sein?“ Seine Finger streiften das Glas, bevor er einen Schluck nahm, die Spannung in der Luft weiter steigernd.

Sie spürte, wie sein Blick an ihrem Gesicht haftete, ihre Maske abtastend, als könne er die Wahrheit darunter enthüllen. „Du weißt, dass du mir vertraust, Nikolay,“ sagte sie ruhig, doch ihr Puls beschleunigte sich. „Du hast gesagt, ich bringe dir Ergebnisse. Und das werde ich auch.“

Er trat näher. So nah, dass sie den Alkohol in seinem Atem riechen konnte, die Wärme seines Körpers durch die Kälte ihrer Maske spürte. Seine Hand schnappte plötzlich nach ihrem Handgelenk, seine Finger kalt und unerbittlich. Ihr Blick zuckte unmerklich zu seiner Hand, die ihre Narben umklammerte. „Zeig mir, dass ich dir glauben kann,“ sagte er, seine Stimme ein gefährliches Murmeln. „Oder ich werde es selbst herausfinden.“

„Glauben ist eine Schwäche, Nikolay,“ entgegnete sie leise, beinahe provokant. Ihre Stimme war ruhig, doch in ihren Augen lag ein Hauch von Trotz. „Eine Lektion, die ich von dir gelernt habe.“

Ein dünnes, kaltes Lächeln umspielte seine Lippen, während er ihre Hand losließ. „Du bist klug, Valeriya. Aber Klugheit allein wird dich nicht retten.“ Er drehte sich ab, trank den Rest seines Glases in einem einzigen Zug und verschwand durch die Tür zu einem angrenzenden Raum. Der Schatten, den er hinterließ, schien länger und dunkler, als es die schwache Beleuchtung erlaubte.

Lera atmete flach aus, ihre Finger lösten sich langsam aus ihrer angespannten Haltung. Für einen Moment erlaubte sie sich, die unterdrückte Beklemmung zu spüren, bevor sie ihre Maske wieder fester zog. Nikolay war ein Meister der Kontrolle, doch sie hatte etwas, was er nicht hatte: die Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen, während er dachte, sie in der Hand zu haben.

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In einem anderen Teil der Stadt, in einer spärlich möblierten Wohnung, saß Maxim in einem abgenutzten Ledersessel. Das Flackern der Glühbirne über ihm warf unruhige Schatten, die wie lebendige Wesen an den Wänden tanzten. Vor ihm auf dem Tisch lag die Pistole, zerlegt in ihre Einzelteile, neben einem Aschenbecher, der bereits an seiner Kapazitätsgrenze war.

Maxim lehnte sich zurück und beobachtete den Rauch seiner Zigarette, der sich in der stickigen Luft kringelte. Seine eisblauen Augen waren nachdenklich, fast unleserlich, während er die Begegnung mit Lera durchging. Sie war anders. Das hatte er erkannt. Ihre Entschlossenheit, Nikolay zu stürzen, war faszinierend – nicht wegen ihrer Pläne, sondern wegen ihres Willens, sie umzusetzen. Die meisten Menschen, die er kannte, hatten Angst vor dem Abgrund. Lera schien sich entschieden zu haben, ihn zu durchqueren.

Er zog an seiner Zigarette und beobachtete, wie die Glut sein Gesicht für einen Moment in warmes, unheimliches Licht tauchte. „Mut,“ murmelte er leise, das Wort fast genüsslich aussprechend. Doch Mut war in seiner Welt keine Tugend. Es war ein Werkzeug, und Werkzeuge konnte man brechen.

Maxim dachte an ihren Blick, an die Art, wie sie ihn herausgefordert hatte, ohne ein Wort zu sagen. Da war etwas an ihr, eine Kontrolliertheit, die ihn gleichzeitig faszinierte und alarmierte. Er hatte genug Menschen brechen sehen, um zu wissen, dass jeder Risse hat. Und Leras Risse würden ihm zeigen, wo er ansetzen musste.

Ein leises Klappern der Pistole unterbrach seine Gedanken, als er sie wieder zusammensetzte. Jeder Handgriff war geübt, präzise, und spiegelte wider, wie sein Verstand arbeitete: methodisch, ohne Raum für Fehler. Lera war eine Spielerin. Das war klar. Aber sie spielte ein Spiel, dessen Regeln sie nicht vollständig kannte.

Er drückte die Zigarette aus, stand auf und trat ans Fenster. Die Stadt erstreckte sich vor ihm wie ein lebendiges Wesen, ihre blutroten und giftgrünen Lichter zuckten in der Dunkelheit. „Mal sehen, wie weit du gehst, Valeriya,“ murmelte er, seine Stimme leise und kalkuliert. „Und ob du bereit bist, den Preis zu zahlen.“

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Zurück im Penthouse saß Lera in dem kalten Ledersessel, die Lichter der Stadt wie glitzernde Scherben vor sich. Ihre Hände lagen locker auf den Armlehnen, doch ihr Inneres fühlte sich beklemmend an, als würde der Raum sie einengen. Der Geruch nach Whisky lingerte in der Luft, ein stiller Zeuge des Machtspiels, das sich hier abgespielt hatte.

Maxim. Sein Name hallte durch ihre Gedanken wie ein Echo, das nicht verschwinden wollte. Er war gefährlich, ein Werkzeug, das sie benötigte, aber auch eines, das sie verletzen konnte, wenn sie nicht vorsichtig war. Ihre Begegnung hatte mehr Fragen aufgeworfen, als sie wollte. Was war er wirklich? Ein Schachspieler? Oder nur ein besonders geschärftes Messer?

Die ersten Strahlen des Morgens kämpften sich durch die Dunkelheit, doch sie fühlte sich noch immer gefangen. Es gab kein Zurück. Nicht mehr. Wenn sie dieses Spiel gewinnen wollte, musste sie alle Figuren beherrschen – und bereit sein, ihre Seele zu riskieren.