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Liebesromane an einem Ort

Kapitel 1Prolog: Das tödliche Schweigen


Martin Bergman

Der Regen prasselte unbarmherzig auf die Windschutzscheibe seines glänzenden, schwarzen Wagens. Die Scheinwerfer schnitten durch die Dunkelheit wie ein Skalpell, enthüllten für Sekunden die gewundene Bergstraße vor ihm, bevor die Nacht sie wieder verschlang. Martin Bergman umklammerte das lederne Lenkrad fester. Seine Gedanken waren ein Chaos aus Bereuen, Zweifeln und Kalkulationen – ein rastloses Pendeln zwischen den Problemen des Tages und den düsteren Vorahnungen, die ihn seit Wochen verfolgten.

Die digitale Anzeige des Armaturenbretts warf ein kühles, bläuliches Licht auf sein markantes Gesicht, das von tiefen Linien gezeichnet war. Der CEO von BergTech war ein Mann, der stets Kontrolle über alles hatte – seine Firma, seine Familie, sein Leben. Doch heute fühlte sich diese Kontrolle an wie ein dünner Faden, der jeden Moment zu reißen drohte. Sein Atem ging flach, und seine Hände waren feucht. Er wischte sie ungeduldig an seiner Hose ab, die Bewegung mechanisch, beinahe instinktiv.

Martin wusste, dass er zu weit gegangen war. Die letzten Jahre waren ein Labyrinth aus Entscheidungen, von denen jede einzelne ihn tiefer in moralische Schatten geführt hatte. Die Zusammenarbeit mit der Regierung, die Entwicklung streng geheimer Technologien – Überwachungssysteme, autonome Drohnen, Algorithmen zur Verhaltensvorhersage – all das hatte ihn mächtig gemacht. Doch Macht konnte auch schleichend Gift sein. Und dieses Gift hatte längst seine Wurzeln geschlagen.

Seine Finger fanden das kleine, silberne Medaillon in seiner Jackentasche und umklammerten es, als hinge sein Leben daran. Es gehörte einst seinem Sohn – Linas Bruder. Martin schloss für einen Moment die Augen, während sich die Wellen der Schuld in ihm aufbauten, ihn zu erdrücken drohten. Sein Sohn war tot, und obwohl es offiziell ein Unfall war, wusste Martin, dass die Wahrheit weitaus hässlicher war. Sein letzter Streit mit ihm, Monate vor dem „Unfall“, hallte in seinen Gedanken wider: harte Worte, die er nie zurücknehmen konnte. Der Verlust, der aus diesem Streit entsprang, nagte an ihm wie ein unaufhörlicher Schmerz.

Der Wagen ruckelte leicht, und Martin öffnete hastig die Augen. Der Regen hatte die Straße in eine spiegelnde, tückische Fläche verwandelt. Er nahm den Fuß leicht vom Gaspedal und warf einen Blick in den Rückspiegel. Dunkelheit. Doch etwas stimmte nicht. Sein Magen verkrampfte sich, ein Instinkt, der ihm zuzuflüstern schien, dass er nicht allein war. War das nur Paranoia? Oder hatte er berechtigten Grund zur Sorge?

Er schüttelte den Kopf und zwang sich, auf die Straße vor ihm zu konzentrieren. Vielleicht war er einfach müde. Vielleicht war es der Druck, der ihn langsam zermürbte. Doch dieser Gedanke brachte keine Erleichterung. Sein Blick wanderte wieder zum Medaillon. Das verblasste Bild seines Sohnes blickte ihn an, ein Lächeln, das ihn immer an die Unschuld erinnerte, die er selbst längst verloren hatte.

Ein plötzlicher, metallischer Knall durchbrach die Stille im Wageninneren. Es war ein Geräusch, das direkt aus den Untiefen seiner Albträume zu stammen schien. Martins Stirn legte sich in tiefe Falten, und eine Welle aus Furcht und Adrenalin raste durch seinen Körper. Er drückte auf die Bremse – nichts. Die Pedale gaben nach, aber der Wagen gehorchte nicht. Sein Herz raste, und kalter Schweiß brach ihm aus jeder Pore. Seine Hände umklammerten das Lenkrad, während er verzweifelt versuchte, die Kontrolle zurückzugewinnen.

„Nein…“, flüsterte er, seine Stimme kaum mehr als ein Hauch. Er griff nach der Handbremse, zog sie ruckartig, doch auch das blieb wirkungslos. Der Wagen beschleunigte auf der abschüssigen Straße, die Kurven wurden enger, die Lichter der Leitplanken zu verschwommenen Streifen. Die Kontrolle war ihm endgültig entglitten.

„Verdammt!“, stieß er aus, während seine Panik in blanke Verzweiflung umschlug. Sein Kopf ratterte, suchte nach einem Ausweg. War das ein technisches Versagen? Oder... ein geplanter Angriff? Der Verdacht kroch wie eine Schlange in seinen Verstand, ließ ihn erschaudern. Hatte jemand die Bremsen manipuliert? Henrik – der Name schoss ihm durch den Kopf, begleitet von einem bitteren Geschmack.

Vor ihm öffnete sich die Straße, und er erkannte etwas, das seinen Atem stocken ließ: der Rand der Straße, wo die Leitplanke fehlte. Sein Schicksal war besiegelt, und er wusste es. Mit einer verzweifelten Bewegung riss er das Lenkrad herum, doch der Wagen gehorchte nicht. Sein letzter Gedanke galt Lina. Würde sie stark genug sein, um das zu überleben, was er hinterlassen hatte? Würde sie die Wahrheit erfahren – über ihn, über alles?

Das Fahrzeug schoss über die Kante. Für einen kurzen Moment schien die Welt stillzustehen, ein Augenblick eingefroren in der Stille des Fallens. Dann fällte die Schwerkraft ihr endgültiges Urteil. Der Wagen drehte sich in der Luft, bevor er mit einem ohrenbetäubenden Knall am Boden des Abhangs zerschmettert wurde. Flammen loderten auf, ein grelles Licht, das die Dunkelheit durchbrach.

Von einem versteckten Punkt oberhalb des Abhangs beobachtete eine Gestalt das Geschehen. Sie trug eine schwarze Jacke, das Gesicht im Schatten einer Kapuze verborgen. Ihre Haltung war ruhig, fast reglos, während die Flammen unter ihr aufloderten. In ihrer Hand hielt sie ein Mobiltelefon, dessen Bildschirm schwach leuchtete. Mit einem langsamen Atemzug brachte sie das Telefon an ihre Lippen.

„Es ist erledigt“, flüsterte sie, ihre Stimme so kalt wie die Nachtluft. Im Hintergrund war ein leises elektronisches Klicken zu hören, ein Geräusch, das wie das Tippen auf eine Tastatur klang.

Am anderen Ende der Leitung saß Henrik Falk in seinem makellos eingerichteten Arbeitszimmer. Sein silbergraues Haar schimmerte im Licht der Tischlampe, während ein kaltes Lächeln seine Lippen umspielte. Er nahm sich einen Moment, bevor er antwortete. „Die Bühne ist vorbereitet. Beginnen wir.“

Er legte auf und betrachtete das Foto auf seinem Schreibtisch – ein Bild, das ihn und Martin vor Jahren während einer Firmenfeier zeigte. Damals Verbündete, nun Rivalen, die nur noch durch Verrat verbunden waren. Henrik griff nach einem Glas Whisky. Seine Bewegungen waren bedächtig, kontrolliert. Er schwenkte die bernsteinfarbene Flüssigkeit, betrachtete sie kurz und nahm einen kleinen Schluck. Sein Blick wanderte zu den Flammen im Kamin vor ihm, die sich in seinen stahlgrauen Augen spiegelten. Ein Ausdruck purer Berechnung lag auf seinem Gesicht.

Weit entfernt, in den Tiefen eines verschlüsselten Servers, wurde ein Video hochgeladen. Es zeigte den Unfall aus der Perspektive einer Drohne, die still und unbemerkt über der Szene geschwebt hatte. Der Dateiname war lapidar: „Martin-Final“.

Der Server war gut versteckt, geschützt durch eine Firewall, die nur die besten Hacker zu durchbrechen wagten. Doch tief in den Daten lag ein Geheimnis, das die Welt aus den Angeln heben könnte. Der Regen ließ nach, und die Nacht legte sich wieder über die Stadt, kalt und voller unausgesprochener Versprechen.