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Liebesromane an einem Ort

reader.chapterRückkehr in die Dunkelheit


Ich-Perspektive (Elena)

Die Straßen waren von einer eigenartigen Stille erfüllt, als ich mich dem vertrauten Viertel näherte. Es war, als würde die Stadt selbst die Luft anhalten, eine unheimliche Spannung, die die Szenerie umhüllte. Die Häuser wirkten wie stumme Wächter, ihre Fenster schwarz wie die Augen längst vergessener Gesichter. Mein Herz hämmerte in meiner Brust wie ein Metronom, das den Takt für einen Tanz vorgab, den ich niemals aufführen wollte.

Die Erinnerung an meinen Vater überfiel mich mit der Schärfe eines unerwarteten Dolchstichs. Ich sah ihn vor mir, in einem dämmerigen Raum voller Rauch und Schatten, seine ernsten Augen auf mich gerichtet. „Vertraue niemandem, Elena. Nicht in dieser Welt.“ Seine Stimme war ruhig gewesen, doch die Schwere seiner Worte hatte mich erdrückt. Damals hatte ich den Sinn nicht begreifen können, doch jetzt hallte seine Warnung in meinem Kopf wider, ein düsteres Mantra, das mich nicht losließ.

Elisas Ballettstudio lag am Ende der Straße, ein unscheinbares Gebäude, das von all dem Grau verschluckt wurde. Doch für mich war es ein Ort, der für so viel mehr stand – Hoffnung, Disziplin und eine kurze Flucht vor der Realität. Ich öffnete die Tür, und der vertraute Geruch nach Harz, Leder und Schweiß erfüllte meine Sinne. Er war genauso vertraut wie mein eigener Atem.

Die Dielen knarrten unter meinen Schritten, als ich den Raum betrat. Elisa stand mitten im Studio, ihre Haltung wie immer aufrecht, ihre Arme verschränkt. Ihr scharfer Blick musterte mich, und ich konnte sehen, dass sie bereits ahnte, dass etwas nicht stimmte. Sie legte ihre gewohnte Strenge wie eine Rüstung an, doch ich erkannte die Sorge in ihren Augen.

„Elena.“ Ihre Stimme war ruhig, aber es war die Art von Ruhe, die wie ein Sturm wirken konnte, der kurz vor dem Losbrechen stand. „Du bist früh. Und du siehst aus, als hättest du nicht geschlafen.“

Ich senkte den Blick, meine Hände zu Fäusten geballt. „Ich brauche deine Hilfe, Elisa.“

Für einen Moment schien sie überrascht, doch sie nickte langsam. „Sprich.“

Ich atmete tief durch, suchte nach den richtigen Worten. „Es geht um Sophia.“

Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, doch ihre Schultern spannten sich an. „Deine Schwester?“

Ich nickte. „Sie ist… verschwunden. Ihre Wohnung war ein Chaos, ihre Sachen waren überall verstreut. Und ich habe diesen Schlüssel gefunden.“ Ich zog den Schlüssel aus meiner Tasche und hielt ihn ihr hin. Der Glanz des Emblems schien das schwache Licht des Studios aufzusaugen.

Elisa betrachtete ihn mit einem Ausdruck, der zwischen Verwirrung und Besorgnis schwankte. Sie griff nach dem Schlüssel, aber ich zog meine Hand zurück, bevor sie ihn berühren konnte. „Er gehört zum Inferno.“

Das Wort schien die Luft zwischen uns zu vergiften. Ihr Gesicht wurde blass, und sie schüttelte langsam den Kopf. „Elena, sag mir, dass du dich nicht in diese Welt hineinziehen lässt.“

„Ich habe keine Wahl.“ Meine Stimme war leiser, als ich es wollte, doch sie zitterte nicht. „Sophia braucht mich. Und ich werde herausfinden, was mit ihr passiert ist.“

Elisa ließ die Arme sinken. „Das Inferno ist kein Ort für dich. Du weißt, was dort lauert. Es ist die Welt, die du hinter dir gelassen hast. Oder hast du vergessen, wie viel es dich gekostet hat, da rauszukommen?“

„Ich habe nichts vergessen.“ Meine Worte kamen schärfer als beabsichtigt, und ich bemerkte, wie sie zusammenzuckte. „Aber ich kann sie nicht einfach aufgeben. Nicht noch einmal.“

Eine schwere Stille senkte sich über den Raum. Elisa schien mit sich zu ringen, und ich konnte sehen, wie ihre Fassade begann, Risse zu zeigen. Schließlich seufzte sie. „Das Inferno ist nicht nur ein Ort. Es ist eine Falle. Eine Bühne, auf der alle Darsteller austauschbar sind, außer jenen, die die Fäden ziehen. Du wirst nicht herausfinden können, was mit Sophia passiert ist, ohne selbst ein Spielzeug ihrer Macht zu werden.“

Ihr Ton ließ die Härte in ihrer Stimme verschwinden, doch die Sorge blieb. „Du bist genauso stur wie damals, Elena. Aber wenn du diesen Weg gehst, musst du wissen, worauf du dich einlässt.“

„Das weiß ich“, erwiderte ich fest. Doch innerlich war ich mir nicht sicher, ob das stimmte.

Elisa ging zu einer der hohen Fensterfronten und blickte hinaus auf die grauen Gebäude der Stadt. Ihre Hände ruhten auf der Fensterbank, und ihre Finger trommelten leicht auf das Holz. Schließlich drehte sie sich wieder zu mir um. „Wenn du ins Inferno gehst, dann solltest du vorbereitet sein. Diese Welt funktioniert nach anderen Regeln, und wenn du nicht aufpasst, wirst du darin untergehen.“

„Ich bin bereit“, sagte ich, obwohl ich wusste, dass das eine Lüge war.

Sie nickte langsam, und ich konnte sehen, dass sie verstand. „Pass auf dich auf, Elena“, sagte sie leise. „Und wenn du etwas brauchst…“

„Danke“, unterbrach ich sie. „Aber das hier muss ich allein schaffen.“

Ich drehte mich um und verließ das Studio, bevor sie etwas erwidern konnte. Der kalte Wind der Straße schlug mir entgegen, und ich zog meine Jacke enger um mich. Meine Schritte waren fest, doch in mir fühlte ich mich wie ein Blatt, das von einem Sturm hin- und hergeworfen wurde.

Die Erinnerungen an meine Kindheit kamen in Wellen zurück, unerbittlich und kalt. Ich sah meinen Vater vor mir, wie er mich mit seinem ernsten Blick warnte: „Man kann die Regeln nicht brechen, Elena. Aber du kannst lernen, sie für dich zu nutzen.“ Eine Zigarette glühte in seiner Hand, während er sprach, der Rauch eine träge Wolke, die sich zwischen uns wälzte. Diese Worte hatten mich damals verwirrt, doch jetzt brannten sie sich in mein Bewusstsein wie ein unausweichliches Tattoo.

Die Worte meiner Schwester auf dem Zettel – „Es ist zu gefährlich“ – hallten in meinem Kopf wider, während ich durch die Straßen ging. Der Schlüssel in meiner Tasche fühlte sich wie ein Gewicht an, das mich tiefer in die Dunkelheit zog.

Es gab keinen Ausweg. Kein Zurück.

Die Stadt schien stiller geworden zu sein, als ich mich dem Inferno näherte. Die Gebäude schienen sich zu neigen, als wollten sie mich verschlingen, und mein Atem wurde flacher. Doch ich ließ mir nichts anmerken. Wenn ich etwas aus meinen Jahren im Ballett gelernt hatte, dann war es, wie man sich selbst in der schwierigsten Rolle beherrschte.

Vor dem Inferno hielt ich inne. Das Gebäude ragte vor mir auf, eine Festung aus schwarzem Marmor, die wie ein Monolith in den Himmel wuchs. Die roten Baldachine bewegten sich leicht im Wind, wie blutige Banner, die mich willkommen hießen.

Ich zog den Schlüssel aus meiner Tasche und betrachtete ihn ein letztes Mal, bevor ich ihn wieder einsteckte. Er war ein Symbol, eine Eintrittskarte in eine Welt, die ich nie wieder betreten wollte. Doch für Sophia war ich bereit, alles zu riskieren.

Alles.

Ich trat vor die Tür, und meine Finger zitterten leicht, als ich die Klinke berührte. Hinter dieser Tür erwartete mich eine Welt, die ich zu verstehen lernen musste – eine Welt von Schatten und Macht, von Geheimnissen und Gefahren.

Und ich wusste, dass dies erst der Anfang war.