Kapitel 3 — Flüchtige Blicke und erste Zweifel
Alisabeth
Die schweren Türen der großen Halle schlossen sich hinter Alisabeth mit einem dumpfen, endgültigen Klang. Die kühle Luft des Burghofs schlug ihr entgegen, durchzogen vom Geruch nach feuchtem Stein und glimmendem Holz. Ein leises Summen erhob sich aus der geschäftigen Menge, die sich in Vorbereitung auf das Frühlingsfest eifrig bewegte, aber für einen Moment schien die Welt stillzustehen. Alisabeth blieb stehen, den Blick auf den Himmel gerichtet, der in einem zarten Rosa und tiefem Gold verblassenden Tageslichts leuchtete. Doch selbst die Schönheit des Himmels konnte den Sturm in ihrem Innern nicht beruhigen. Die Worte Bernhards, durchdrungen von kühler Dominanz, hallten wie ein unaufhörliches Echo in ihr nach: „Unsere Verbindung wird unsere Häuser auf ewig stärken.“
Mit einem tiefen Atemzug begann sie, die gepflasterten Stufen hinabzugehen. Das rhythmische Klirren ihrer Schritte vermischte sich mit den Geräuschen der Vorbereitungen – das Klappern von Wagenrädern, das Klirren von Metall und das Murmeln der Stimmen. Diener eilten mit beladenen Armen an ihr vorbei, während Wachen in gleichmäßigen Bewegungen patrouillierten. Es schien, als ginge die Welt ungerührt weiter, während sich in Alisabeth ein Gefühl des Eingesperrtseins regte.
„Meine Dame?“ Margarethe, ihre Zofe, erschien mit einem Arm voll Stoffbahnen und einem Ausdruck der Besorgnis. „Ihr seht blass aus. Soll ich Euch in Eure Gemächer bringen? Vielleicht ein Tee, um Eure Kräfte zu stärken?“
Alisabeth hielt inne und schüttelte sanft den Kopf. „Nein, Margarethe. Ich werde nur einen Augenblick für mich alleine brauchen.“
Margarethe zögerte, ihre Hände umklammerten die Stoffe, aber sie wagte es nicht, Alisabeth zu widersprechen. „Wie Ihr wünscht, meine Dame“, sagte sie schließlich, machte einen Knicks und eilte davon, wobei sie sich noch einmal über die Schulter umsah.
Alisabeth ließ ihren Blick über den Burghof schweifen, ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen. In den Ecken des Hofes sammelten sich die Schatten der Mauern und verschmolzen mit dem frühen Abend. Ihre Gedanken kehrten zu ihrem Vater zurück, dessen Umarmung nach der Verlobungszeremonie sie mehr erstickt als getröstet hatte. Seine Worte hatten schwer auf ihr gelastet: „Du hast die Familie nicht enttäuscht, mein Kind.“
Aber was bedeutete es, ihre Familie nicht zu enttäuschen? Und war sie bereit, sich selbst für diese Erwartungen aufzugeben? Alisabeths Kehle zog sich zusammen, als die vertrauten Zweifel wieder hochkamen.
Ihre Schritte führten sie näher zu den belebten Bereichen des Hofes, wo die Vorbereitungen ihren Höhepunkt erreichten. Das Lachen einiger Bediensteter und das energische Rufen von Anweisungen lenkten sie nur einen Moment ab, bevor ein unerwarteter Anblick sie innehalten ließ.
Er stand nahe einer kleinen Gruppe von Spielleuten, halb verborgen hinter einem Stapel hölzerner Kisten. Sein Haar, dunkel und leicht verstrubbelt, fiel ihm über die Schultern, und sein schlanker, drahtiger Körper wurde von einfacher, aber gut sitzender Kleidung umhüllt. Die Laute in seiner Hand stimmte er mit einer lässigen Eleganz, die keinen Zweifel daran ließ, dass er mit seiner Umgebung vollkommen vertraut war.
Ihr Blick verweilte auf ihm, und es war, als hätte die Zeit einen flüchtigen Moment angehalten. Etwas an diesem Mann zog sie an – eine stille Präsenz, die alle Regeln, die sie kannte, zu ignorieren schien. Seine Bewegungen waren ruhig, präzise, und doch trug er ein verborgenes Gewicht, das sie nicht benennen konnte.
Dann hob er den Kopf, und ihre Blicke kreuzten sich. Grün, wie die ersten Blätter des Frühlings, aber mit einer Tiefe, die Geschichten von Verlust und Geheimnissen erzählte – seine Augen fixierten sie mit einer Intensität, die sie gleichzeitig fesselte und verunsicherte.
Er neigte leicht den Kopf, sein Gruß höflich, doch in der dezenten Geste lag eine unerklärliche Bedeutung. Seine Lippen umspielte ein Hauch von Lächeln, kein Ausdruck der Freude, sondern eher ein Echo eines Gedankens, den er für sich behalten wollte.
Alisabeth spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Sie zwang sich, den Blick abzuwenden, und richtete ihre Aufmerksamkeit auf den Brunnen in der Mitte des Hofes. Das Abendlicht brach sich glitzernd in den tanzenden Tropfen des Wassers, doch das Bild des Mannes war in ihrem Geist eingebrannt.
„Ein Spielmann“, murmelte sie leise, als ob sie die seltsame Begegnung rational erklären könnte. Aber ein leiser Zweifel blieb. Seine Haltung war zu aufrecht, seine Beobachtungen zu aufmerksam für jemanden seines Standes.
Ein Prickeln kroch ihr über den Nacken, ein Gefühl, das sie nicht einordnen konnte. Es war nicht Bedrohung, sondern eine Art unausgesprochene Einladung, ein Geheimnis zu lüften, das in den Schatten des Burghofs verborgen lag.
„Alisabeth.“
Bernhards tiefe Stimme unterbrach ihre Gedanken und ließ sie zusammenzucken. Er trat aus der Menge, seine Rüstung glänzte im letzten Licht des Tages. Sein Auftreten wirkte wie eine Barrikade, die jede Luft des Freiheitsgefühls erstickte.
„Mein Herr“, sagte sie und neigte höflich den Kopf.
„Ihr seht aus, als wäret Ihr in Gedanken verloren“, sagte er, während sein Blick sie durchbohrte. Ohne zu fragen, griff er nach ihrer Hand. Sein Griff war fest, als wollte er Besitz von ihr ergreifen, doch sein Tonfall blieb scheinbar freundlich. „Was bedrückt Euch?“
„Nichts von Bedeutung“, antwortete sie und entzog ihm sanft ihre Hand. „Die Vorbereitungen für das Fest sind… anstrengend. Das ist alles.“
„Ihr solltet Euch nicht zu sehr belasten“, sagte er mit einem Lächeln, das sie mehr wie eine Mahnung als wie Trost empfand. „Nach allem, was Ihr gestern für uns getan habt, ist es nur recht, dass Ihr Euch ausruht.“
Seine Worte klangen höflich, doch Alisabeth spürte die unterschwellige Kontrolle darin. Sie zwang ein Lächeln auf ihre Lippen. „Ihr seid zu gütig, Herr Bernhard.“
Er nickte zufrieden, ließ sie jedoch nicht aus den Augen. Als er den Kopf wandte, fiel sein Blick auf die Gruppe der Spielleute. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich, die Stirn leicht gerunzelt. „Wer ist das?“
Alisabeth folgte seinem Blick, ihre Muskeln angespannt. „Nur ein Spielmann, denke ich. Einer der Künstler für das Fest.“
„Hm.“ Bernhards Augen blieben auf dem Mann haften. Seine Haltung wurde steifer, ein Ausdruck von Argwohn huschte über sein Gesicht. „Ich werde sicherstellen, dass er seinen Platz kennt.“
Die Worte ließen Alisabeth einen Schauer über den Rücken laufen. Sie wollte etwas erwidern, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken. Als Bernhard schließlich wieder in die Menge eintauchte, fühlte sie sich erleichtert, aber gleichzeitig seltsam aufgewühlt.
Sie wagte einen letzten Blick in Richtung des Fremden, doch er war verschwunden, wie ein Schatten, der sich mit der Dämmerung vermischt hatte.
„Wer bist du wirklich?“ flüsterte sie leise und wandte sich ab. Ihre Schritte hallten in den dunkler werdenden Fluren wider, und das Gefühl von Zweifeln und unaufhaltsamer Neugier begleitete sie, während die Mauern der Burg sie wieder einzuschließen schienen.