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Liebesromane an einem Ort

Kapitel 3Flüstern des Hafens


Alina Volkova

Der Regen fiel in dichten Schleiern und ließ die Szenerie des Hamburger Hafens wie eine verschwommene, surreale Landschaft wirken. Nebel umhüllte die rostigen Container, während die Lichter der Laternen auf den nassen Oberflächen tanzten und sich in schimmernden Pfützen verloren. Geräusche von Maschinen, das metallische Klirren von Ketten und das monotone Summen der Lastfahrzeuge vermischten sich zu einer bedrückenden Klangkulisse. Alina zog ihre Kapuze fester, während sie sich durch die Menge der Arbeiter am Rande der Kaimauer schob. Ihre Schritte waren langsam, ihr Blick wachsam, ihre Gedanken ein einziges Chaos.

Die Adresse aus dem Dossier hatte sie hierhergeführt – ein Punkt tief im Herzen des Hafens, verborgen zwischen Verladekränen und Containertürmen. Alina hatte lange gezögert, bevor sie sich in diese unwirtliche Gegend wagte, doch die brennende Neugier und das nagende Gefühl von Paranoia, das sie seit Tagen nicht losließ, hatten schließlich gesiegt. Sie spürte, wie die Umgebung sie verschluckte, als wäre sie von den Schatten selbst vereinnahmt worden. Der Hafen spiegelte ihre innere Unruhe wider: ein Labyrinth aus Dunkelheit, voller Gefahren und verborgener Wahrheiten.

Während sie sich tiefer ins Gelände vorwagte, veränderte sich die Atmosphäre. Die Geräuschkulisse wurde gedämpfter, die Schatten dichter. Die Container erhoben sich wie massive Mauern, die sie von der übrigen Welt abschirmten. Ihre Finger glitten über die feuchte, kalte Oberfläche eines Containers, als sie innehielt und lauschte. Ein leises Murmeln drang an ihr Ohr. Stimmen. Zuerst undeutlich, dann klarer. Ihre Muskeln spannten sich, und sie duckte sich instinktiv, bevor sie sich vorsichtig zwischen zwei Containerreihen hindurch bewegte.

„Das ist nicht mehr verhandelbar. Wir brauchen Ergebnisse.“ Die Stimme war tief, fest und unnachgiebig. Alina konnte die Gestalt nicht vollständig erkennen, doch die Aura der Autorität war unverkennbar.

„Dimitri wird nicht damit einverstanden sein,“ erwiderte eine zweite Stimme. Sie war weich und geschmeidig, aber hinter dem scheinbar beiläufigen Tonfall lag eine spürbare Schärfe. Es klang fast, als würde der Sprecher die Grenzen des anderen gezielt testen.

„Dimitri hat seine eigenen Spiele, das wissen wir beide. Aber dieser Plan ist nicht verhandelbar.“ Die erste Stimme ließ keinen Widerspruch zu. Alina spürte, wie eine Welle von Anspannung durch sie hindurchfloss. Der Name „Dimitri“ fiel in einer Art, die Machtkonflikte und geheime Intrigen andeutete.

Sie wagte sich vorsichtig näher, wobei sie jede Bewegung genau kalkulierte. Ihr analytischer Verstand arbeitete unermüdlich, während sie die Stimmen und den Tonfall der Gesprächspartner einzuordnen versuchte. Dann hörte sie einen weiteren Namen, der ihren Atem stocken ließ.

„Mikhail erwartet, dass wir liefern. Ohne Ausreden.“ Das Gewicht des Namens traf sie wie ein Schlag. Mikhail – der Name hatte bereits in den Dokumenten aufgetaucht, ein Name, den sie kaum hatte einordnen können, außer dass er eine gefährliche Figur innerhalb der Bratva war. Ihr Herz setzte für einen Moment aus, bevor es schneller zu schlagen begann. Sie erinnerte sich an die bruchstückhaften Informationen, die sie über ihn gefunden hatte, und eine Flut von Fragen drängte sich in ihren Geist. Wer war er wirklich, und warum war er so tief in diese Machenschaften verstrickt?

Mit zitternden Fingern schob sie eine Strähne ihres nassen Haares aus dem Gesicht und spähte um die Ecke eines Containers. Drei Männer standen beisammen, ihre Körperhaltung angespannt. Zwei von ihnen trugen Waffen, die locker in ihren Händen ruhten, während der dritte eine Zigarette zwischen den Fingern hielt. Der Rauch kringelte sich träge in die kühle Nachtluft, bevor er vom Regen verschluckt wurde. Obwohl das Licht nur schwach auf ihre Gesichter fiel, konnte Alina die Spannung zwischen ihnen fast greifen.

Sie erinnerte sich daran, ruhig zu atmen, und zwang sich, still zu bleiben. Doch ein kleiner Stein unter ihrem Fuß verriet sie. Das leise Geräusch hallte in der Stille wider, und ihre Augen weiteten sich vor Schreck. Die Männer erstarrten, dann drehte sich einer abrupt um.

„Da ist jemand!“ Die Worte wurden wie ein Befehl gebellt, und einer der Bewaffneten zog seine Waffe.

Alina reagierte instinktiv. Ohne zu zögern wirbelte sie herum und rannte. Der Regen klatschte gegen ihr Gesicht, ihre Kapuze glitt zurück, und ihre Schuhe schlitterten auf dem nassen Boden. Sie hörte die Verfolger hinter sich – ihre Schritte schwer und entschlossen, ihre Rufe scharf und fordernd. „Bleib stehen!“ Doch Alina dachte nicht daran. Sie spürte, wie die Containerwände um sie herum immer näher rückten, das Labyrinth verschloss sie wie eine tödliche Falle.

Ihr Verstand arbeitete fieberhaft, suchte nach einer Fluchtmöglichkeit, während Adrenalin durch ihre Adern pumpte. Plötzlich stoppte sie abrupt: Ein Zaun ragte vor ihr auf, hoch und mit Stacheldraht gesichert. Sie wirbelte herum, panische Blicke suchten den Gang ab, doch es gab keinen Ausweg. Ihre Brust hob und senkte sich heftig, und für einen Moment schien die Zeit stillzustehen.

Dann entdeckte sie den Container mit der halb geöffneten Tür. Sie hechtete darauf zu, schlüpfte hinein und zog die Tür vorsichtig hinter sich zu, bis nur noch ein schmaler Spalt blieb. Die Kälte des Metalls drang durch ihre Kleidung, und sie presste sich gegen die Wand, ihre Hand zitternd vor ihrem Mund, um ihren Atem zu dämpfen.

Die Männer stürmten in den Gang, ihre Waffen im Anschlag. „Wo ist sie?“ Die Stimme des Anführers war schneidend, seine Augen suchten die Dunkelheit ab.

„Vielleicht hat sie den Zaun überwunden,“ schlug einer vor, doch der Anführer schüttelte den Kopf. „Nein. Sie ist hier irgendwo.“

Jeder Muskel in Alinas Körper war angespannt, als einer der Männer näher kam. Seine Schritte hallten auf dem Metallboden wider, und sie konnte hören, wie sein Atem schwer durch die Dunkelheit drang. Sie wagte kaum, auch nur zu blinzeln. Ein Tropfen Regen löste sich von ihrer Kapuze und glitt über ihre Wange, bevor er lautlos zu Boden fiel.

Nach einer gefühlten Ewigkeit zogen sich die Männer zurück. „Wir haben keine Zeit, sie zu suchen. Wenn sie etwas gesehen hat, finden wir es heraus. Zurück zur Basis. Mikhail wartet.“

Alina blieb regungslos, bis die Schritte verklangen. Erst dann öffnete sie die Tür des Containers und schlich hinaus. Ihre Beine fühlten sich an, als könnten sie jeden Moment nachgeben, doch sie zwang sich, weiterzugehen. Der Hafen war wieder still, abgesehen vom entfernten Knarren der Kräne und dem leisen Summen der Maschinen.

Doch das Gefühl, beobachtet zu werden, ließ sie nicht los. Ein eisiges Kribbeln wanderte über ihren Nacken, und sie drehte sich um – niemand war zu sehen. Doch aus den Schatten, verborgen hinter dem Schleier aus Regen und Dunkelheit, schien ein Paar eisblauer Augen für einen Herzschlag aufzublitzen, bevor es verschwand. Alina schluckte schwer.

Das Spiel hatte begonnen, und sie war nun ein Teil davon, ob sie es wollte oder nicht.