App herunterladen

Liebesromane an einem Ort

Kapitel 1Prolog: Stille davor


Raphaël Von Blake

Das Penthouse thronte wie ein schattiges Königreich hoch über der unermüdlichen Stadt. Bodentiefe Fenster warfen einen eisblauen Schimmer auf die polierten Obsidianböden, das einzige Licht in einem Raum, der jeden Laut gierig verschlang. Tief unten tobte die Welt – Autos schlängelten sich durch die Straßen, Hupen gellten, Leben prallten in einem Wirrwarr aus Sehnsucht und Hast aufeinander. Hier oben jedoch lag die Stille schwer wie eine Tresortür.

Raphaël Von Blake stand im Zentrum seines privaten Arbeitszimmers, einer Festung innerhalb einer Festung. Sein maßgeschneiderter schwarzer Anzug umschloss ihn wie eine zweite Haut, scharfe Linien unterstrichen die steife Haltung seiner Schultern. Auf dem Schreibtisch vor ihm ruhte die Maske des letzten Dominion-Treffens – lackiert, glatt, eine gesichtslose Hülle der Macht. Die leeren Augenhöhlen starrten ihn an, als wollten sie ihn herausfordern, etwas zu empfinden. Er tat es nicht. Nicht einmal einen Funken. In seiner rechten Hand hielt er ein Glas dunklen Whiskey, die Flüssigkeit fing das kalte Licht ein, während er es in langsamem, bedachtem Rhythmus schwenkte. Sein Gesicht war selbst wie eine Maske, wie aus Stein gehauen, und verriet nichts.

Er trat näher an den Schreibtisch, das leise Klirren von Eis gegen Glas durchschnitt die Stille. Sein Blick haftete an der Maske, als könnte sie die Geheimnisse der Nacht flüstern, die sie miterlebt hatte. Oder der Nächte davor. Die Luft im Raum schien geladen, schwer von unausgesprochenen Regeln und verborgenen Gelüsten.

„Du bist immer noch hier“, murmelte er, die Stimme tief, fast an sich selbst gerichtet. Die Worte galten nicht wirklich der Maske. Sie schwebten in der Stille, scharf wie eine Messerklinge, und zerschnitten die Ruhe. Seine Finger schlossen sich fester um das Glas, gerade so, dass ein leises Knarren der Anspannung zu hören war.

Draußen pulsierte die Stadt weiter, ohne zu ahnen, wer über allem thronte. Ein König in seinem Turm, unantastbar, unergründlich. Doch etwas in der Art, wie sein Kiefer sich anspannte, wie seine Augen auf dem lackierten Gesicht verharrten, deutete auf einen Riss unter der Oberfläche hin. Noch kein Bruch, nicht ganz – nur der leiseste Hauch von Druck, der sich aufbaute.

Er hob das Glas an die Lippen, der Whiskey brannte einen langsamen Pfad seine Kehle hinab. Dann stellte er es mit einem bedachten Atemzug neben die Maske, beide Gegenstände ausgerichtet wie Figuren auf einem Schachbrett. Wartend auf den nächsten Zug.

* * *

Die Stille im Penthouse wurde vom leisen Summen eines eingehenden Anrufs durchbrochen. Raphaëls Blick schnellte zu dem schlanken schwarzen Telefon am Rand des Schreibtisches, dessen Bildschirm mit einem Namen aufleuchtete: Cassandra. Seine Lippen pressten sich zu einer schmalen Linie, eine Welle der Irritation huschte über sein ansonsten undurchdringliches Gesicht. Er ließ es noch einen Moment summen, als müsse er abwägen, ob die Unterbrechung seiner Aufmerksamkeit würdig war. Dann nahm er mit einer scharfen Bewegung den Anruf entgegen und drückte das Gerät an sein Ohr.

„Sprich“, befahl er, seine Stimme ein tiefes Grollen, jedes Wort knapp und kalt.

Am anderen Ende drang Cassandras Tonfall durch, wie Samt über Stahl, weich, doch mit einer Schärfe, die schneiden konnte. „Du grübelst wieder, nicht wahr? Ich höre es an deinem Atem. Hör auf, diese verdammte Maske anzustarren, und hör mir zu. Wir haben ein Problem.“

Seine Braue hob sich, obwohl sie es nicht sehen konnte. Er wandte sich vom Schreibtisch ab, schritt zum Fenster, wo sich das rastlose Treiben der Stadt unter ihm wie eine Karte des Chaos ausbreitete. „Ich grüble nicht. Und ich habe keine Zeit für vage Warnungen. Spuck es aus.“

Ein amüsiertes Schnauben knackte durch die Leitung, verflog jedoch schnell. „Gut. Das letzte Treffen – jemand hat geredet. Es gibt Gerüchte über den nächsten Schritt des inneren Kreises. Noch keine Details, aber genug, um Aufmerksamkeit zu erregen. Unerwünschte Blicke. Du weißt, was das bedeutet.“

Raphaëls Griff um das Telefon wurde fester, seine Knöchel traten weiß hervor. Sein Spiegelbild starrte ihn aus dem Glas an, ein Geist aus scharfen Kanten und hohlen Augen. „Das bedeutet, jemandem muss die Zunge herausgeschnitten werden. Wer?“

„Wenn ich das wüsste, würde ich nicht anrufen. Ich hätte es längst geregelt.“ Cassandras Stimme wurde leiser, ein Hauch von Frustration schwang mit. „Aber ich habe meine Leute am Boden. Gib mir zwölf Stunden. Ich werde einen Namen haben. Bis dahin, schließ die Maske weg. Und tu nichts Unüberlegtes.“

Er stieß ein kurzes, humorloses Lachen aus, das Geräusch kratzte an der Stille des Raumes. „Unüberlegt ist nicht mein Stil. Das weißt du.“

„Wirklich?“, konterte sie, ihre Worte ein Stich. „Bleib einfach, wo du bist, Raphaël. Ich melde mich.“

Die Leitung war tot, bevor er antworten konnte. Er senkte das Telefon, starrte lange auf den dunklen Bildschirm, während die Lichter der Stadt jenseits davon wie tausend unbeantwortete Fragen flackerten.

* * *

Raphaël schob das Telefon in seine Tasche, das Gewicht von Cassandras Warnung lag wie ein bitterer Nachgeschmack in der Luft. Er wandte sich wieder dem Schreibtisch zu, sein Blick fiel auf die Obsidianmaske, die dort ruhte, ihre Oberfläche brach das schwache Licht in scharfen Splittern. Es war nicht nur eine Verkleidung; es war ein Schlüssel zu *The Dominion*, dem geheimen Club, in dem die mächtigsten Männer der Welt ihre öffentlichen Gesichter ablegten für etwas Ursprüngliches. Hinter diesen verschlossenen Türen, tief im Untergrund der Stadt, wurde Macht nicht nur ausgeübt – sie wurde verschlungen.

*The Dominion* lebte von Geheimhaltung, eine Festung aus Reichtum und Einfluss, wo kein Gesetz Zutritt hatte. Ihr Zweck war roh, kompromisslos: ein Spielplatz für die dunkelsten, verborgensten Begierden, wo Konsequenzen unter dem Gewicht von Geld und Drohungen verschwanden. Raphaël hatte jahrelang durch ihre schattigen Gänge geschritten, seine Maske ein Schild für die Ausschweifungen, die er ohne Reue einholte. Sex, Kontrolle, verbotene Gelüste – das war die Währung, gehandelt in Flüstern und Stöhnen hinter polierter Fassade.

Alle paar Monate, während der berüchtigten *Crimson Nights*, verwandelte sich der Club in etwas noch Wilderes. Eine neue Auswahl an Frauen wurde hergebracht, handverlesen oder unter falschen Versprechen angelockt, geformt, um jeden verdrehten Wunsch zu erfüllen. Manche kamen freiwillig, auf der Jagd nach Reichtum oder Nervenkitzel; andere stolperten ahnungslos hinein, sich des Käfigs nicht bewusst, der sich um sie schloss. Die Regeln waren eisern: Hingabe ohne Zurückhaltung, Gehorsam ohne Fragen, und niemals über das Geschehene sprechen. Identitäten blieben hinter Masken verborgen, Namen waren in diesen geheiligten, verdorbenen Räumen verboten.

Doch hinter den sinnlichen Ritualen und dem Klirren der Kristallgläser brodelte etwas Dunkles. Machtspiele verzerrten sich zu lautlosen Kriegen, Geheimnisse türmten sich wie trockenes Reisig, und in den Schatten wisperte es von Aufstand. Raphaël hatte die unterschwellige Spannung seit Wochen wahrgenommen, eine Anspannung, die bei jedem Treffen spürbarer wurde. Cassandras Anruf war nur die Bestätigung – jemand hatte die Stille zerrissen, und die Welle drohte sie alle zu verschlingen.

Er ließ einen Finger über den Rand der Maske gleiten, die kühle Oberfläche schenkte ihm Halt. *Die Herrschaft* war ebenso sein Reich wie das der anderen, doch selbst er wusste, dass Kontrolle nur eine Illusion war, wenn Verrat im Verborgenen lauerte. Sein Kiefer verhärtete sich, als er die Maske hob und sie in seinen Händen wog, während die Last des herannahenden Sturms schwer auf seiner Brust ruhte.