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Liebesromane an einem Ort

Kapitel 3Das gefrorene Dorf


Dritte Person

Die Kälte kündigte sich an, lange bevor sie das Dorf erreichten. Ein kalter Hauch wehte durch die gerodete Schneise, die die drei durch den Wald schlug. Der Sommer hatte den südlichen Teil des Schwarzwalds noch mit grünem Laub und blühenden Kräutern gesegnet, doch je weiter sie nach Norden kamen, desto spärlicher wurde das Grün, bis es gänzlich verschwand. Der Boden unter ihren Füßen war hartgefroren, und eine dünne Schicht aus Reif überzog die Vegetation, die wie erstarrt wirkte.

Liv zog ihren Umhang enger um sich, doch die Kälte schien von innen zu kommen, als würde sie an ihrer Seele nagen. Sie hatte die eisige Präsenz aus ihren Träumen erwartet, geglaubt, vorbereitet zu sein. Doch nichts hätte sie auf das Gefühl der Ohnmacht vorbereiten können, das sie nun überwältigte – ein Bewusstsein dafür, dass sie auf etwas zutrat, das weit jenseits ihrer Kontrolle lag.

„Wir sind fast da,“ sagte Raphael plötzlich. Seine Stimme klang ruhig, aber seine Augen verrieten eine unaufhörliche Wachsamkeit. Er führte die Gruppe, sein Blick fest auf den Weg vor ihnen gerichtet.

Hinter Liv schritt Freya, ihre Haltung angespannt wie eine gespannte Bogensehne. Ihre Augen wanderten rastlos durch die Umgebung, suchten in jedem Schatten nach einer Bedrohung. Ihre Finger ruhten auf dem Griff ihres Schwertes, bereit, es zu ziehen, sollte die Kälte mehr als nur eine Warnung sein.

Die ersten Anzeichen des Dorfes tauchten im Nebel auf – Häuser aus dunklem Holz und Stein, die wie eingefrorene Schatten am Waldrand standen. Raphael verlangsamte seine Schritte, seine Haltung straffte sich, und Liv bemerkte, wie seine Hände zu Fäusten geballt waren.

Je näher sie kamen, desto deutlicher offenbarten sich die Zeichen des Unheils. Die Dächer der Häuser waren von einer dicken, glitzernden Eisschicht bedeckt, Fenster und Türen vollständig versiegelt. Die Bäume am Rand des Dorfes bogen sich unter der Last des Eises, ihre Äste knackten leise im Wind.

Doch es war nicht die Kälte allein, die Liv die Luft abschnürte. Es waren die starren Gestalten zwischen den Häusern – Menschen, die in ihrem letzten Moment eingefroren worden waren. Frauen, Männer, sogar Kinder, deren Gesichter in Schreck oder Schmerz erstarrt waren. Ihre Körper waren von einer hauchdünnen, glitzernden Eisschicht überzogen, als wären sie in einem einzigen grausamen Moment von der Zeit verschluckt worden.

„Bei den Ahnen...“ Freyas Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Ihre Hand fuhr unbewusst zu ihrem Herzen, ein Reflex, der sie an ihre eigene Menschlichkeit zu erinnern schien.

Raphael kniete sich neben eine der starren Gestalten, ein älterer Mann, dessen Bart unter dem Eis erstarrt war. Vorsichtig legte er die Hand auf die kalte Oberfläche, und ein feines Knirschen erklang. „Lebendig... aber gefangen,“ murmelte er.

Liv trat näher, ihre Finger kribbelten, als ob ihre Magie auf die seltsame Energie in der Luft reagieren würde. Sie sank auf die Knie und legte ihre Hand auf den Arm des gefrorenen Mannes. Ein eisiger Schauer lief durch ihren Körper, als sie die fremdartige, pulsierende Energie spürte, die wie eine Barriere um den Körper des Mannes lag.

„Das ist keine natürliche Kälte,“ sagte Liv leise, ihre Stimme war fest, doch ein Hauch von Trauer schwang mit. „Es ist... Magie. Alte, mächtige Magie.“

Freya knirschte mit den Zähnen. „Das erklärt die Runen,“ sagte sie, während sie auf die dunklen Wände eines nahegelegenen Hauses deutete. Liv folgte ihrem Blick und entdeckte die seltsam leuchtenden Symbole, die in einem eisblauen Licht pulsierten, wie der Herzschlag eines lebendigen Wesens.

Liv trat näher. Die Runen strahlten eine altvertraute Energie aus, etwas, das sie nicht ganz benennen konnte, doch ihre Worte aus dem Traum hallten plötzlich in ihrem Geist wider: „Vergessene Schulden, verlorenes Gleichgewicht.“

„Was bedeuten sie?“ fragte Raphael, seine Augen scharf auf die Symbole gerichtet.

„Sie sind alt,“ antwortete Freya, während sie die Runen mit den Fingern nachzog. „Fluchmagie – und zwar von jemandem, der sich bestens damit auskennt. Vielleicht so alt wie die Geschichten über den Frostkönig.“

Liv schluckte schwer. „Ich... ich spüre es auch,“ sagte sie schließlich und schloss die Augen, um sich auf die Magie zu konzentrieren. Doch statt der vertrauten Wärme, die sie sonst durchströmte, stieß sie auf Widerstand. Die Kälte prallte gegen ihre Magie, und je mehr sie versuchte, durchzudringen, desto stärker wurde der Druck.

„Es zieht meine Energie in sich hinein,“ flüsterte sie erschöpft und ließ ihre Hand sinken. „Dieses Eis... es ist wie ein Spiegel, der jede Magie zurückwirft. Ich kann es nicht brechen.“

Raphael runzelte die Stirn, während Freya die Runen erneut betrachtete. „Das hier ist mächtig,“ sagte Freya, entschlossen. „Wir können diese Menschen nicht so zurücklassen.“

„Wir brauchen Antworten,“ stimmte Raphael zu, seine Augen huschten über das Dorf, suchten nach weiteren Hinweisen.

Ein plötzlicher Laut ließ sie innehalten – ein leises, geisterhaftes Wispern, das aus den Schatten zwischen den Häusern zu kommen schien. Es war kaum mehr als ein Hauch, doch es schien den Frost in der Luft zu verstärken.

Freya zog ihr Schwert, die blanke Klinge funkelte im Licht des Eises. Raphael stellte sich schützend vor Liv, seine Haltung angespannt.

„Was war das?“ flüsterte Freya, ihre Augen suchten die Dunkelheit ab.

Livs Herz pochte heftig, die Kälte in ihrem Inneren wuchs. „Es... es fühlt sich an wie...“ Doch bevor sie den Satz beenden konnte, wurde das Wispern lauter. Es war, als ob die Dunkelheit selbst zu atmen begann, und plötzlich schälte sich ein schemenhaftes, blau leuchtendes Wesen aus den Schatten.

Die Form des Wesens war unklar, wie ein dichter Nebel, der von innen heraus glühte. Die Kälte, die es ausstrahlte, war überwältigend, und Liv spürte, wie ihre Kehle trocken wurde. Es war nicht nur die Kälte, die sie lähmte – es war die Präsenz, die sie an sich zog und gleichzeitig abstieß.

„Zurück!“ rief Raphael, doch Liv konnte sich nicht bewegen. Das Wesen schien direkt in ihre Seele zu blicken, und sie hörte ein Flüstern, das nur für sie bestimmt war.

„Erbin... des Lichts...“

Die Worte hallten in ihrem Kopf wider, und ein stechender Schmerz durchfuhr ihren Geist. Plötzlich flackerte das Wesen und verschwand so schnell, wie es erschienen war, hinterließ jedoch eine erdrückende Stille.

Liv fiel auf die Knie, zitternd vor Erschöpfung und Verwirrung. Raphael und Freya eilten zu ihr, ihre Gesichter voller Sorge.

„Wir müssen hier weg,“ sagte Raphael schließlich und half Liv auf die Füße. Seine Stimme war ruhig, doch unmissverständlich. „Das hier war eine Warnung.“

Liv nickte schwach, doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass es mehr war. Es war eine Botschaft – und sie würde alles tun müssen, um herauszufinden, was sie bedeutete.