Kapitel 3 — Verborgene Begegnung
Mira
Die Dunkelheit des Alten Waldes schien sich um Mira zu schließen, wie ein lebendiger, atmender Organismus, der sie beobachtete und ihre Bewegungen nachzeichnete. Der feuchte Boden gab unter ihren Stiefeln nach, während kühle Schatten über ihre Haut glitten wie die Berührung einer unsichtbaren Präsenz. Äste knackten aus der Ferne, fast wie ein unregelmäßiger Herzschlag, und das Rascheln der Blätter über ihr trug ein Flüstern, das sie nicht entschlüsseln konnte. Der Duft von Moos und nasser Erde füllte ihre Sinne, und sie spürte, wie der Anhänger an ihrem Hals mit einem leichten Pulsieren auf all dies zu reagieren schien – ein fremdes Herz, das in Einklang mit dem Wald schlug.
Das Licht erschien plötzlich, ein silbriger Schimmer zwischen den dichten Bäumen. Es war weich, fast sanft, und doch trug es eine seltsame Intensität. Es bewegte sich wie ein lebendiges Wesen, fließend und suchend, und Mira hatte das Gefühl, dass es sie rief. War es ein Zeichen? Oder eine Warnung? Sie erinnerte sich an die Worte ihrer Mentorin, die oft von den Geheimnissen sprach, die der Wald verbarg – und von jenen, die ihn durchstreiften. Das Licht schien nicht bedrohlich, aber auch nicht völlig harmlos.
Ihre Finger schlossen sich um ihren Anhänger, dessen leuchtende Wärme beruhigend und doch beunruhigend zugleich war. „Was bist du?“, flüsterte sie, ihre Stimme kaum lauter als ein Hauch Wind. Die Stille, die folgte, war greifbar, als ob die Welt den Atem anhielt und auf eine Antwort wartete.
Ein leises Knacken durchbrach die Spannung, dicht hinter ihr. Miras Herz setzte aus, nur um gleich wild zu hämmern. Sie drehte sich mit einem Ruck um, ihre Augen suchten fieberhaft die Dunkelheit ab, die sich wie ein undurchdringlicher Schleier vor ihr ausbreitete.
„Wer ist da?“ Ihre Stimme klang fester, als sie sich fühlte, doch ihre Finger krallten sich tiefer in den Anhänger, als wäre er ein Schutzschild gegen das Unbekannte.
Ein Schatten löste sich aus dem Schwarz. Groß, dunkel und schwer, doch mit einer Geschmeidigkeit, die unheimlich wirkte. Dann trat er ins Mondlicht, und sie erkannte ihn.
Dorian.
Er wirkte wie ein Stück des Waldes selbst, ein Wesen, das zwischen Licht und Schatten lebte – ein Mann, der ebenso gefährlich wie faszinierend war. Sein massiger Körper schien von den Narben des Waldes gezeichnet zu sein, und seine eisblauen Augen glühten wie Sterne in der Dunkelheit.
„Du bist mutig, Heilerin,“ sagte er mit einer Stimme, die tief und vibrierend klang, wie das Echo eines unterirdischen Flusses. „Oder töricht.“
Mira wich einen Schritt zurück, hielt aber den Blickkontakt. Ihre Hand blieb um den Anhänger geklammert. „Du hast mich erschreckt.“
„Das sollte ich wohl.“ Sein Tonfall ließ offen, ob er amüsiert oder ernst war. Seine Augen musterten sie eindringlich, als ob er mehr sehen könnte, als sie ihm zeigen wollte. „Was macht eine Dorfbewohnerin wie du so tief im Wald? Allein? Suchst du den Tod?“
Die Worte trafen wie ein kalter Windstoß, doch Mira zwang sich, nicht zu reagieren. Ihre Stimme, als sie sprach, war ruhiger, als sie sich fühlte. „Ich suche Antworten.“
Dorian zog eine Braue hoch, sein Blick wanderte zu ihrem Anhänger, der nun in einem schwachen Takt pulsierte. „Antworten? Und glaubst du, der Wald wird sie dir geben? Er verschlingt die, die zu viel wissen wollen.“
„Vielleicht,“ erwiderte sie und hob das Kinn leicht an, „aber etwas hat mich hierher gerufen. Und ich werde nicht umkehren, ohne zu verstehen, warum.“
Für einen Moment schien er überrascht, doch er verbarg es schnell hinter einem Hauch von Spott. „Rufen, sagst du?“ Er trat einen Schritt näher, und Mira zwang sich, standhaft zu bleiben. „Vielleicht solltest du aufpassen, wer oder was dich ruft. Nicht jedes Flüstern ist dein Freund.“
Sein Blick wanderte erneut zu ihrem Anhänger. „Dieses Ding – es gehört nicht hierher.“
„Meine Mentorin hat es mir gegeben,“ sagte Mira, unsicher, warum sie sich rechtfertigen wollte. „Es ist alles, was ich von ihr habe.“
Dorian schnaubte leise, doch bevor er antworten konnte, ertönte ein Laut, so tief, dass Mira ihn in ihren Knochen spürte. Ein kehliges Geräusch, das durch die Dunkelheit schnitt und den Wald mit Spannung auflud.
„Das war sie,“ murmelte Dorian, seine Augen verengten sich, als er in die Dunkelheit starrte.
„Die Bestie?“ Miras Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, und ihre Finger umklammerten den Anhänger fester, während sie unwillkürlich einen Schritt näher an Dorian trat.
Er nickte langsam. „Sie weiß, dass wir hier sind.“
Der Wald schien sich plötzlich zu verändern. Die Schatten schienen tiefer zu werden, die Luft schwerer, und das Knacken von Ästen und Rascheln von Blättern schien von allen Seiten zu kommen. Miras Puls raste, und der Anhänger an ihrem Hals begann in einem helleren Licht zu glühen, als wolle er sie warnen.
„Wir müssen weg von hier,“ sagte Dorian plötzlich, seine Stimme scharf wie ein Messer.
„Wohin?“ Miras eigene Stimme klang panisch, doch sie zwang sich, die Ruhe zu bewahren.
„Es gibt keinen sicheren Ort,“ antwortete er, während er sich in Bewegung setzte. „Aber ich kenne einen Weg, sie zu täuschen. Wenn du leben willst, folgst du mir.“
Zögernd, aber ohne eine andere Wahl zu sehen, rannte Mira ihm hinterher. Seine Bewegungen waren schnell und nahezu lautlos, trotz seiner Größe. Der Wald schien gegen sie zu sein – Äste griffen nach ihnen, der Boden unter ihren Füßen fühlte sich plötzlich nachgiebig und unsicher an. Der Puls des Anhängers wurde immer schneller, als wolle er sie vor etwas noch Größerem warnen.
Schließlich erreichten sie eine kleine Lichtung, umgeben von massiven, moosbedeckten Felsen. Hier wirkte der Wald weniger bedrückend, als hätte er einen Moment der Rast zugelassen.
Dorian blieb abrupt stehen, seine Haltung angespannt, sein Blick wachsam. „Hier,“ sagte er knapp, „werden wir für einen Moment sicher sein.“
Mira sank atemlos auf die Knie, ihre Hand noch immer um den glühenden Anhänger geklammert. „Was war das?“ Ihre Stimme zitterte leicht, trotz ihrer Bemühungen, stark zu klingen.
Dorian sah sie an, und für einen Moment war da etwas Sanftes in seiner harten Miene – Mitgefühl oder vielleicht nur Erschöpfung. „Das war nur der Anfang.“
„Der Anfang wovon?“
Seine Lippen verzogen sich zu einem grimmigen Lächeln. „Von dem, was uns beide zerstören könnte.“
Bevor Mira darauf antworten konnte, nahm sie eine Bewegung wahr. Eine Gestalt, nur ein Umriss, tauchte am Rand der Lichtung auf. Sie schien aus dem Schatten selbst zu bestehen, doch ihre Augen – glühend und goldfarben – waren klar und fixierten sie.
„Bleib zurück,“ flüsterte Dorian, sein Körper schob sich schützend vor Mira.
Die Gestalt kam nicht näher, doch ihre Präsenz war überwältigend. Mira spürte, dass dies nicht die Bestie war, doch es war auch nichts Gutes.
„Es wird schlimmer,“ murmelte Dorian, seine Hand schloss sich um den silbernen Ring an seinem Hals. Und Mira wusste, dass er Recht hatte. Was auch immer hier geschah, es hatte gerade erst begonnen.