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Liebesromane an einem Ort

reader.chapterEin Ruf aus der Dunkelheit


Sophia Falk

Die Tastatur ihres Laptops klapperte leise in der ansonsten stillen Dunkelheit ihrer Wohnung. Sophia saß am Küchentisch, das Licht der Schreibtischlampe tauchte ihr Gesicht in scharfe Kontraste. Schatten tanzten über die Akten, die vor ihr ausgebreitet lagen, während der Bildschirm ihres Laptops das vertraute Blau einer Tabellenkalkulation zeigte. Die Zahlen verschwammen vor ihren Augen, doch sie zwang sich, weiterzumachen. Irgendwo, davon war sie überzeugt, musste ein Fehler verborgen sein, eine Lücke – etwas, das sie übersehen hatte.

Der Wind, der durch das leicht geöffnete Fenster drang, trug die letzten Reste des Regens mit sich und ließ sie frösteln. Sophia zog ihre dünne Strickjacke enger um sich, doch die Kälte saß tiefer, in ihrem Inneren, wo sich eine Mischung aus Zorn, Verzweiflung und eine leise, nagende Hoffnung ausbreitete.

Sie ließ die Maus über die Daten gleiten und zoomte hinein. Die Informationen waren sauber, vielleicht zu sauber. Ein perfides Puzzle aus Transaktionen, das wie ein Netz um sie gespannt worden war. Clara hatte recht: Es passte zu gut. Fast mechanisch klickte sie weiter, doch ihre Gedanken wanderten ab. Das Kratzen des Windes am Fenster erinnerte sie an die unheilvolle Ruhe vor einem Gewitter, an etwas, das sich zusammenbraute.

Die Stille wurde von einem plötzlichen „Ping“ durchbrochen. Der Klang hallte in der leeren Wohnung nach und ließ ihr Herz schneller schlagen. Eine neue E-Mail. Sie bewegte die Maus zur unteren Ecke des Bildschirms, ihre Finger zögerten für einen Moment. Der Absender war unbekannt. Die Betreffzeile bestand nur aus einem einzigen Wort: „Antworten.“

Sophias Atem beschleunigte sich, ihre Handflächen wurden feucht. Sie biss sich auf die Unterlippe, bevor sie mit einem Klick die Nachricht öffnete. Der Text war knapp, fast kryptisch:

„Treffen Sie mich morgen, 20:00 Uhr. Café Heiland, Zeil 37, Frankfurt. Bringen Sie keine Begleitung mit. Es geht um die Wahrheit.“

Sie las die Worte erneut. Und dann noch einmal. Das Café Heiland war ihr bekannt – ein unscheinbares, kleines Lokal in einer der geschäftigsten Straßen Frankfurts. Ein Ort, an dem man leicht in der Menge verschwinden konnte. Doch der Absender? Unbekannt. Und die Wahrheit?

„Was für eine Wahrheit?“ murmelte sie leise und lehnte sich zurück. Ihr Blick wanderte zur Decke, suchte Halt, fand ihn aber nicht.

Sie konnte nicht ignorieren, wie perfekt der Zeitpunkt war. Der Gedanke, dass dies eine Falle sein könnte, war der erste, der ihr kam. Doch da war auch etwas anderes – eine leise, hartnäckige Stimme in ihrem Inneren, die ihr sagte, dass sie diese Chance nicht ungenutzt lassen durfte.

Die Uhr an der Wand zeigte 00:47. Der Wind draußen schien lauter, drängender geworden zu sein. Sie schloss den Laptop und rieb sich die Schläfen, ihre Gedanken wirbelten wie ein Sturm. Die Worte „Es geht um die Wahrheit“ hallten in ihrem Kopf wider, vermischten sich mit Claras Warnungen und Leonhards längst vergangenen Worten: „In dieser Welt gewinnt man nur durch Kontrolle.“

Die Entscheidung, nach Frankfurt zu fahren, fiel in den frühen Morgenstunden, als die ersten Sonnenstrahlen zögernd durch die Fenster krochen. Es war keine rationale Entscheidung. Es war ein Drang – ein Sprung ins Ungewisse.

Am folgenden Abend stand Sophia vor dem Café Heiland. Der Wind hatte sich gelegt, aber die Kälte war geblieben. Das unscheinbare Schild über der Tür, das den Namen des Cafés trug, war fast zu übersehen, eingekeilt zwischen der schimmernden Fassade einer Apotheke und einem Geschäft für Designermöbel.

Das Innere überraschte sie. Die altmodische Einrichtung aus dunklem Holz und die sanften, gelben Lichter strahlten eine unerwartete Wärme aus. Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee und Gebäck lag in der Luft, doch Sophias Aufmerksamkeit war woanders. Ihre Augen suchten die wenigen Gäste ab. Niemand schien auf sie zu warten.

Sie wählte einen Tisch in der hintersten Ecke, bestellte einen Espresso und beobachtete die Umgebung. Ihre Finger trommelten unruhig auf dem Holz des Tisches. Jede Minute zog sich in die Länge, und der Gedanke, dass dies ein Fehler gewesen sein könnte, begann, an ihr zu nagen.

Dann ging die Tür auf.

Leonhard von Hagen betrat das Café, und für einen Moment fühlte es sich an, als hätte jemand die Luft aus dem Raum gesogen. Die Selbstsicherheit, mit der er sich bewegte, die grauen Augen, die den Raum scannten, bevor sie auf ihrem Blick verharrten – all das war unverkennbar. Sein maßgeschneiderter Anzug saß makellos, und doch war da etwas in seiner Haltung, das ihr unruhige Schauer über den Rücken jagte.

Sophia spürte, wie ihre Kehle trocken wurde. Die Worte blieben ihr im Hals stecken, bevor sie einen klaren Gedanken fassen konnte. Er war der Letzte, mit dem sie gerechnet hatte, und doch machte sein Erscheinen plötzlich alles komplizierter – und gleichzeitig klarer.

„Ich bin überrascht, dass Sie gekommen sind, Sophia“, sagte er schließlich, als er sich setzte, ohne zu fragen. Seine Stimme war ruhig, die Worte kontrolliert, aber die Andeutung eines Lächelns spielte um seine Lippen.

„Sie?“ Das Wort entkam ihren Lippen, bevor sie es zurückhalten konnte. Es klang wie ein Vorwurf.

Leonhard lehnte sich zurück, seine Hände lässig auf dem Tisch gefaltet. „Sie wirken überrascht. Ich nehme an, Sie haben nicht mit mir gerechnet.“

„Das ist wohl eine Untertreibung.“ Ihre Stimme war kühl, doch ihre Gedanken wirbelten. Warum war er hier? Und warum jetzt?

„Hören Sie“, begann er, seine Stimme leiser, beinahe vertraulich. „Ich habe Informationen, die Sie interessieren könnten. Es ist komplizierter, als Sie denken, Sophia. Viel komplizierter.“

„Sie haben Informationen?“ Ihre Augen verengten sich. „Erklären Sie mir, warum ich Ihnen auch nur ein Wort glauben sollte, nachdem—“

„Weil wir beide benutzt wurden.“ Seine Worte schnitten ihre Vorwürfe ab, und einen Moment lang lag nur Stille zwischen ihnen.

Sophia lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und musterte ihn mit kalten Augen. „Benutzt? Von wem?“

Leonhard nahm einen Schluck von seinem Kaffee und hielt ihren Blick. „Das ist eine sehr lange Geschichte. Aber glauben Sie mir, Sophia, wir stehen auf derselben Seite. Ob Sie es wollen oder nicht.“

Etwas in seiner Stimme – die Mischung aus Ernst und Berechnung – ließ sie innehalten. Es war keine Entschuldigung. Es war auch kein Angebot. Es war eine Feststellung, die sie nicht ignorieren konnte.

„Und was genau erwarten Sie von mir?“ Ihre Stimme war scharf, fast herausfordernd.

„Nur dass Sie mir zuhören. Und dass Sie erkennen, dass das, was Ihnen passiert ist, kein Zufall war.“

Als ihr Espresso längst kalt geworden war, und die Sekunden sich wie endlose Stunden dehnten, wusste Sophia eines: Sie stand an einem Wendepunkt. Vor ihr lag ein Pfad, der sie entweder näher an die Wahrheit bringen oder tiefer in ein Netz aus Lügen ziehen würde.

Doch sie entschied, zu bleiben. Für jetzt.