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Liebesromane an einem Ort

reader.chapterFlucht in die Schatten


Sophia Falk

Das Licht der Straßenlaternen flackerte durch die dünnen Vorhänge ihrer kleinen Wohnung, während sich die Geräusche der Straßenbahn in der Ferne mit dem eintönigen Tropfen des Regens mischten, der gegen das Fenster schlug. Sophia saß auf der Kante ihres Sofas, eingerahmt von der bedrückenden Stille, die nur von dem gelegentlichen Knarren des alten Gebäudes durchbrochen wurde. Der Raum roch nach abgestandenem Kaffee und Papier, ein Beweis für die Stunden, die sie über den immer gleichen Akten verbracht hatte.

Die Wände der Wohnung wirkten karg und leer, unterbrochen nur von einem Regal mit ein paar Büchern, die sie seit Wochen nicht mehr angerührt hatte. Auf dem Couchtisch lag ein Aktenordner, aufgeschlagen wie ein verwundetes Tier, die Papiere darin mit Notizen und Markierungen übersät. Ihre Finger umklammerten ein einzelnes Dokument, dessen Inhalt sie längst auswendig kannte. Die Zahlen und Worte verschwammen vor ihren Augen, als wäre ihre Bedeutung in einem Nebel verborgen, der sich einfach nicht lichten ließ. Sie hatte jede Zeile unzählige Male gelesen, jede Formel überprüft, doch es ergab keinen Unterschied. Alles schien perfekt. Zu perfekt.

Ihr Blick wanderte zum Fenster, wo die Regentropfen unregelmäßige Muster auf das Glas malten. Mainz, die Stadt, die sie einst als Heimat empfunden hatte, fühlte sich fremd an. Die Dächer und Fassaden, die sie früher mit Geborgenheit verbunden hatte, waren jetzt nichts weiter als Kulissen einer leeren Bühne. Ein Rückzugsort, der keine Antworten bot.

Ein Klopfen an der Tür ließ sie zusammenzucken. Es war ein leises, zögerndes Klopfen, das nicht zur Routine eines Nachbarn passte. Sophia legte das Dokument langsam auf den Couchtisch und lauschte. Ihr Körper war angespannt, die Muskeln in ihrem Nacken schmerzten vor Anspannung. Ein zweites Klopfen folgte. Diesmal etwas deutlicher, aber immer noch vorsichtig. Ihr Herz schlug schneller, und sie erhob sich, ihre Schritte langsam und wachsam auf dem knarrenden Holzboden.

„Sophia? Es bin ich, Clara.“

Die Erleichterung durchfuhr sie wie eine Welle, und die Spannung ließ aus ihren Schultern nach. Sie öffnete die Tür, und dort stand Clara, eingehüllt in eine farbenfrohe Regenjacke mit einem Muster aus gelben und roten Blumen, das einen grellen Kontrast zu dem grauen und nassen Abend bildete. Ihr Haar war feucht, die kastanienbraunen Locken hingen wild um ihr Gesicht. In der Hand hielt sie eine Bäckereitüte mit dem Logo eines kleinen Mainzer Cafés.

„Ich hab dir Croissants mitgebracht“, sagte Clara und zwinkerte, bevor sie ohne zu zögern eintrat. „Du hast bestimmt seit Tagen nichts Vernünftiges gegessen, oder?“

Clara stellte die Tüte auf den Küchentisch und schälte sich aus ihrer Jacke, während Sophia ihr schweigend zusah. Es war, als hätte ihre Anwesenheit ein Stück Licht in den Raum gebracht, der so lange in Trostlosigkeit gehüllt war.

„Du musst wirklich aufhören, mich zu bemuttern, Clara“, sagte Sophia schließlich und bemühte sich, einen Hauch von Sarkasmus in ihre Stimme zu legen. Doch es klang nur müde.

„Und du musst aufhören, dich selbst zu quälen“, erwiderte Clara scharf und griff nach der Kaffeekanne, die noch halb voll war. Sie goss sich eine Tasse ein und lehnte sich an die Theke. „Ernsthaft, Sophia, du kannst dich nicht in dieser Wohnung verkriechen und hoffen, dass sich alles von selbst löst.“

Sophia verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen den Türrahmen der kleinen Küche, ihre Stirn in Falten gelegt. „Glaubst du, ich weiß das nicht? Glaubst du, ich tue das freiwillig?“ Ihre Stimme war leise, aber voller Bitterkeit. „Ich habe nichts, Clara. Kein Job, keine Perspektive, keinen Ruf. Und falls du es vergessen hast, ein Gericht hat mich offiziell zur Kriminellen erklärt.“

Clara hielt inne, die Tasse fest umklammert. Ihre braunen Augen suchten Sophias Blick, bevor sie die Tasse abstellte und sich auf den Stuhl neben ihr setzte. „Ich weiß, dass es nicht fair ist. Und ich weiß, dass du dich fühlst, als wäre alles vorbei. Aber irgendetwas an diesem Fall stinkt. Du hast das doch auch gespürt, oder?“

Sophia ließ sich auf das Sofa sinken, ihre Hände hingen schlaff zwischen ihren Knien. „Natürlich spüre ich das. Aber was bringt es? Die Beweise sind wasserdicht, Clara. Jeder verdammte Punkt passt… und das macht es umso schlimmer. Es ist, als hätte jemand mein Leben genommen und sorgfältig ein Puzzle daraus gemacht, bei dem jedes Teil perfekt passt. Nur, dass es nicht mein Puzzle ist.“

Clara schob die Tasse beiseite und beugte sich vor. „Genau das meine ich. Es passt zu gut, Sophia. Niemand ist so perfekt. Also muss jemand dahinterstecken. Jemand, der sehr mächtig ist.“

Sophia schnaubte leise, ein bitteres Lächeln zuckte über ihre Lippen. „Mächtig genug, um mein Leben zu zerstören und keine Spuren zu hinterlassen. Klingt nach einer idealen Ausgangssituation.“

„Oder nach einem Fehler, der nur darauf wartet, gefunden zu werden“, sagte Clara, ihre Stimme fest.

Sophia sah sie an, suchte in ihrem Gesicht nach einem Zweifel, doch fand keinen. Clara glaubte wirklich daran, dass es eine Lösung gab. Und vielleicht war das genau das, was Sophia momentan brauchte. Nicht die Lösung selbst, sondern jemand, der daran glaubte.

„Ich habe eine Idee“, fuhr Clara fort und richtete sich auf. Ihr Blick war entschlossen. „Ich kenne ein paar Leute aus der Branche, Journalisten und Berater. Einige von ihnen arbeiten recht… diskret. Vielleicht können sie uns helfen, ein paar Fäden zu ziehen. Und bevor du protestierst – ja, ich weiß, dass das riskant ist. Aber ich bin bereit, das einzugehen.“

Sophia wollte widersprechen, doch stattdessen fragte sie: „Warum tust du das?“

Clara legte ihre Hand auf Sophias Arm und hielt ihren Blick fest. „Weil du meine beste Freundin bist. Und weil ich weiß, dass du nicht aufgibst, auch wenn du es dir selbst nicht eingestehen willst.“

Ein schwaches Lächeln huschte über Sophias Gesicht, verschwand aber fast sofort wieder. „Ich weiß nicht, ob ich dir folgen kann, Clara. Aber danke.“

Die beiden Frauen saßen noch eine Weile zusammen, sprachen wenig, doch die bloße Gegenwart der anderen war ein Trost, den Sophia nicht erwartet hatte. Schließlich verabschiedete sich Clara mit dem Versprechen, mehr herauszufinden und am nächsten Tag wieder vorbeizukommen.

Als die Tür hinter Clara ins Schloss fiel, fühlte sich die Wohnung wieder leer an. Doch etwas in Sophia hatte sich verändert. Es war nur ein kleines Flackern, ein Hauch von Hoffnung, aber es war da.

Ihr Blick glitt zu dem Aktenordner auf dem Tisch, dann zu einem Foto, das halb unter den Papieren hervorlugte – Leonhard von Hagen. Sein unnahbares Gesicht und das kalte Lächeln, das nie die Augen erreichte. „In dieser Welt gewinnt man nur durch Kontrolle.“ Die Worte, die er vor Monaten gesprochen hatte, hallten plötzlich durch ihren Kopf.

Sophia nahm das Foto in die Hand und betrachtete es lange. „Dann lerne ich eben, zu kontrollieren“, flüsterte sie, ihre Stimme fest, fast trotzig.

Sie würde die Wahrheit finden. Und sie würde anfangen, indem sie Leonhard konfrontierte.