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Liebesromane an einem Ort

Kapitel 1Die Ankunft der Stille


Hanna

Die Nacht lag schwer über der Stadt, als ob der Himmel selbst die Last der letzten Ereignisse spüren könnte. Hanna saß an ihrem Schreibtisch, allein mit ihren Gedanken, während das kalte Licht ihres Computerbildschirms die Schatten an den Wänden tanzen ließ. Die Geräusche der Stadt – das ferne Summen von Motoren, gedämpfte Stimmen, das entfernte Lachen einer Bar – drangen kaum durch die leicht geöffneten Fenster. Die Luft im Raum war still, fast elektrisiert.

Hannas müde Augen folgten dem Datenstrom auf dem Bildschirm, einer endlosen Kette von Informationen, die sie akribisch durchforstete. Ihre Finger schwebten über der Tastatur, bereit, weitere Suchbefehle einzugeben. Seit Wochen arbeitete sie mit Raphael und Rahul daran, Hinweise auf die Schattenorganisation aufzuspüren, doch die Ergebnisse waren spärlich, kaum greifbar. Die Stille – so nannten sie ihren neuen Gegner – war ein Phantom, eine Idee, die sich jeder Definition entzog. Es war, als ob sie gegen einen Nebel kämpften, der immer wieder entglitt.

Ein plötzliches Piepen durchbrach die angespannte Stille. Eine neue E-Mail war im Posteingang aufgetaucht. Hannas Blick verharrte auf der Betreffzeile: „Die Stille kommt.“ Keine Absenderadresse. Kein Text. Nur ein pulsierendes Anhangssymbol, das sich fast lebendig anfühlte.

Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Sie zögerte, klickte dann auf den Anhang. Der Bildschirm blieb leer, aber ihr Computer flackerte, ein unnatürliches Zucken, bevor sich die Systeme stabilisierten. Dann geschah es: Die Lichter im Büro flimmerten, und für einen kurzen Moment schien der Bildschirm eine verzerrte Reflexion ihres Gesichts zu zeigen, als ob jemand – oder etwas – sie durch die Kamera beobachtete.

Hanna nahm das Amulett ihrer Mutter in die Hand, das auf dem Schreibtisch neben ihr lag. Die glatte, goldene Oberfläche fühlte sich kühl an, beruhigend und doch voller Erinnerungen. „Was hast du mir hinterlassen, Mutter?“ flüsterte sie und schloss die Finger fest um das Schmuckstück, das ihr eine seltsame, unterschwellige Kraft zu verleihen schien.

Ohne Zeit zu verlieren, griff sie nach ihrem Handy und wählte Rahuls Nummer. Die Stimme der Hackerin meldete sich nach dem ersten Klingeln. „Hanna? Was ist los?“

„Ich brauche dich hier, sofort. Bring Raphael mit. Es ist wichtig.“

„Was ist passiert?“ Rahuls Ton war angespannt.

„Ich erkläre es, wenn ihr hier seid. Aber beeilt euch. Und Rahul… sei vorsichtig.“

„Verstanden. Wir sind unterwegs.“

Hanna legte auf, ihre Augen immer noch auf den Monitor fixiert. Das leere Anhangssymbol hatte sich nicht verändert, aber sie konnte den Blick nicht davon abwenden. Ihr Instinkt schrie sie an – das war kein Zufall.

Die Minuten zogen sich wie Stunden, während sie umherging, um die wachsende Anspannung abzuschütteln. Sie öffnete die Fenster weiter und spürte die kühle Nachtluft auf ihrer Haut. Die Straßen unter ihr lagen still, doch ein Gefühl des Beobachtetwerdens ließ sie nervös zum Fenster hinausschauen. War da eine Bewegung im Schatten? Sie kniff die Augen zusammen, doch außer gähnender Leere war nichts zu sehen.

Endlich hörte sie Schritte im Flur. Die Tür öffnete sich, und Rahul stürmte herein, dicht gefolgt von Raphael. Beide trugen ernste Mienen, ihre Bewegungen angespannt.

„Was ist passiert?“ fragte Raphael sofort, während er seinen Mantel abstreifte und ihn achtlos auf einen Stuhl warf. Seine dunklen Augen suchten den Raum ab, als ob er eine unsichtbare Bedrohung erwartete.

Hanna deutete auf ihren Bildschirm. „Eine E-Mail ohne Absender. Nur der Satz ‚Die Stille kommt‘ und ein leerer Anhang. Das... irgendetwas stimmt nicht.“

Rahul setzte sich ohne ein Wort an den Schreibtisch und ließ ihre Finger über die Tastatur fliegen. „Lass mich sehen.“ Ihre Augen verengten sich, während sie die Nachricht analysierte. „Hm. Keine IP-Adresse, kein sichtbarer Server. Es ist, als ob die Nachricht aus dem Nichts kam.“

„Oder aus einem sehr gut versteckten Ort“, ergänzte Raphael, der sich über Rahuls Schulter beugte und den Bildschirm betrachtete. „Das sieht aus wie… eine Hintertür. Sie haben versucht, etwas zu hinterlassen.“

„Das ist mehr als nur eine Nachricht“, murmelte Rahul. „Wer auch immer das war, wollte, dass du das siehst, Hanna. Aber es gibt noch etwas. Sie haben versucht, auf deine verschlüsselten Daten zuzugreifen.“

Hannas Magen zog sich zusammen. „Haben sie etwas bekommen?“

Rahul schüttelte den Kopf, hielt aber inne, als weitere Daten auf dem Bildschirm auftauchten. „Noch nicht. Aber sie haben einen Proxy verwendet – mehrere, sogar. Ich kann sehen, dass sie… verdammt, das ist keine einfache Hackergruppe. Das ist organisiert. Hochprofessionell.“

Raphael begann nervös auf und ab zu gehen. „Wir sollten herausfinden, wie weit sie gekommen sind. Und vor allem: Was sie wollten.“

Ein plötzlicher Gedanke drängte sich Hanna auf. Sie erinnerte sich an eine ähnliche Situation vor Jahren, als die Schattenorganisation ihre Kommunikationskanäle kompromittierte. Damals hatten sie Monate gebraucht, um die Auswirkungen einzudämmen. Doch diesmal fühlte es sich anders an – gezielter, persönlicher.

„Das hier ist keine bloße Warnung“, sagte Hanna langsam. „Es ist eine Botschaft. Eine Herausforderung.“ Ihre Stimme war fest, auch wenn ihre Gedanken rasten. „Rahul, überprüfe das gesamte Netzwerk. Ich will wissen, ob sie uns noch beobachten.“

„Das wird dauern, aber ich fang schon an.“ Rahul nickte und vertiefte sich weiter in die Analyse.

„Raphael, versuch, unsere Informanten zu erreichen. Irgendjemand muss etwas bemerkt haben.“

Raphael griff nach seinem Handy und begann, Nummern zu wählen. Doch nach mehreren Versuchen schüttelte er den Kopf. „Niemand antwortet. Keine Rückmeldung, nichts.“

Die angespannte Stille im Raum war greifbar. Hanna fühlte das Gewicht der Situation auf ihren Schultern, schwer wie Blei. „Wenn sie so weit gegangen sind, dann wissen sie, dass wir hinter ihnen her sind. Und jetzt versuchen sie, uns zu isolieren.“

„Aber warum?“ fragte Rahul, ohne den Blick von den Daten abzuwenden. „Was haben sie zu verbergen, das so wichtig ist?“

Hanna schloss ihre Augen für einen Moment und konzentrierte sich auf das Amulett in ihrer Hand. Die glatte Oberfläche fühlte sich beruhigend an, ein stiller Anker inmitten des Chaos. „Vielleicht wissen sie mehr über uns, als wir denken. Vielleicht… vielleicht haben sie Angst vor uns.“

Ihre Worte ließen einen Funken Entschlossenheit im Raum aufflackern. Rahul blickte auf. „Wenn das stimmt, dann müssen wir herausfinden, warum. Und wir müssen es schnell tun.“

Hanna trat ans Fenster, während draußen der Wind auffrischte und gegen die Scheiben peitschte. Die Dunkelheit der Straßen schien endlos, als ob sie die Gefahr symbolisierte, die sich um sie zusammenzog. Sie ballte die Fäuste und atmete tief ein. „Was auch immer sie planen – sie werden es nicht schaffen. Wir lassen uns nicht zum Schweigen bringen.“

Rahul nickte, ihre Entschlossenheit spiegelte sich in ihrem Gesicht. „Ich werde herausfinden, wie sie eingedrungen sind. Und ich werde dafür sorgen, dass sie es nie wieder schaffen.“

„Und ich werde unsere Kontakte mobilisieren“, sagte Raphael mit finsterer Miene. „Irgendjemand muss uns helfen können.“

Hanna drehte sich zu ihren Freunden um. „Wir machen das zusammen. Egal, was kommt.“

Die Nacht schien sich um sie zu verdichten, während sie sich auf ihre Aufgaben konzentrierten. Doch trotz der Dunkelheit glomm in Hannas Brust eine Flamme der Hoffnung – und der Entschlossenheit.