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Liebesromane an einem Ort

Kapitel 3Die maskierte Gesellschaft


Sophia Keller

Die funkelnden Kronleuchter des Grand Hotel Palais Aurelius tauchten den Saal in goldenes Licht, das von den marmornen Böden reflektiert wurde. Der süße Duft von teurem Parfüm hing in der Luft, vermischt mit einer kaum wahrnehmbaren Note von Zigarrenrauch, die von einigen der älteren Herren ausging. Die Elite Münchens bewegte sich in verschwenderischer Eleganz zwischen den kunstvoll dekorierten Tischen und der Tanzfläche, als wäre diese Gala nicht nur ein gesellschaftliches Ereignis, sondern eine Bühne für Macht und Intrigen.

Sophia stand am Rand des Saals, den Blick wachsam über die Menge gleitend. Ihr schwarzes, schlichtes Cocktailkleid passte perfekt zu den Perlenohrringen, die sie trug, doch sie fühlte sich trotzdem wie eine Fremde in dieser Welt. Ihre Fingerspitzen spielten unauffällig mit dem Stiel ihres Champagnerglases, während sie sich bemühte, die Unsicherheit zu verbergen, die an ihr nagte. Sie wusste, dass sie beobachtet werden könnte – ein falscher Schritt, und sie wäre enttarnt.

Mit einem scheinbar neutralen Lächeln auf den Lippen begann sie, die Gespräche zu analysieren. Die Anwesenden sprachen mit gedämpften Stimmen, doch ihre Körpersprache verriet oft mehr als ihre Worte. Ein Politiker mit festem Händedruck, der sich zu einem Unternehmer beugte, der ihm zuhorchte, während seine Finger nervös an seinem Glas trommelten. Eine Frau in einem smaragdgrünen Kleid, die zwei Männer mit ihrem Blick gleichzeitig einfing und kontrollierte – ein stilles Machtspiel, das Sophia nur zu gut kannte. Ihre Gedanken schalteten automatisch in den Modus einer Journalistin: Wer verkaufte hier Loyalität? Wer suchte etwas zu vertuschen?

Dann sah sie ihn. Leonardo Vittorio. Er trat in den Saal, und es war, als hätte der Raum selbst kurz innehgehalten. Seine hohe, athletische Gestalt beherrschte den Raum mit einer Selbstverständlichkeit, die Sophia fasziniert und zugleich alarmiert. Das dunkle Haar war akkurat zurückgekämmt, und der maßgeschneiderte Anzug betonte die scharfen Linien seiner Schultern. Seine eisblauen Augen musterten die Menge, jedes Detail registrierend, als wäre er ein Raubtier, das seine Umgebung jederzeit kontrollieren konnte. Und doch war da etwas an seiner Haltung – eine Leichtigkeit, die ihm die Aura eines Mannes verlieh, der Geheimnisse kannte, die andere nicht einmal zu erahnen wagten.

Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als sein Blick plötzlich direkt auf sie fiel. Für einen Moment hatte sie das Gefühl, dass sich die Zeit verlangsamte. Es war nicht nur die Intensität seiner Augen, sondern die Art, wie er sie ansah – als hätte er bereits alles Wichtige über sie herausgefunden. Sophia zwang sich, ihre Haltung zu bewahren. Sie hob ihr Glas leicht an, ein beiläufiges Nicken, das Gleichgültigkeit signalisieren sollte, obwohl sie spürte, wie ihre Hand einen Hauch zitterte.

„Ich sehe, du hast ihn bemerkt,“ sagte eine vertraute Stimme neben ihr. Sophia wandte sich um und sah Markus, ihren Kollegen, der mit einem wissenden Lächeln auf Leonardo deutete. Er hatte bereits ein weiteres Glas Champagner in der Hand und sprach leise, aber eindringlich. „Leonardo Vittorio. Der Mann, der mehr Geheimnisse kennt, als diese Stadt je zugeben würde. Wenn die Gerüchte stimmen, ist er nicht nur Geschäftsmann, sondern der Puppenspieler hinter einigen der mächtigsten Netzwerke Europas.“

„Ich hatte gehofft, er würde nicht so schnell auftauchen,“ murmelte Sophia und versuchte dabei, ihren Blick von Leonardo abzuwenden. Doch es war zu spät. Sein Blick ruhte immer noch auf ihr, schien sie zu durchbohren, als wollte er jede ihrer Bewegungen vorhersagen.

„Spielst du hier nicht ein bisschen gefährlich?“ Markus nahm einen Schluck und musterte sie über den Glasrand hinweg. „Die Vittorios sind keine gewöhnlichen Skandale. Es geht nicht nur um Ruf oder Geld – bei ihnen bedeutet ein falscher Zug, dass du nicht wieder auftauchst.“

Sophia spürte einen Anflug von Ärger, sowohl über Markus’ Worte als auch über ihre eigene Reaktion auf Leonardo. „Ich weiß, was ich tue,“ entgegnete sie schärfer, als sie beabsichtigt hatte. Sie wollte keine Schwäche zeigen, nicht hier, nicht jetzt.

Markus hob beschwichtigend die Hände, ließ das Thema aber fallen. Sophia tauchte erneut in die Menge ein, ihr analytischer Verstand arbeitete auf Hochtouren. Sie musste vorsichtig Informationen sammeln – beiläufige Gespräche beobachten, die richtigen Fragen stellen, ohne Verdacht zu erregen. Der Abend war ein taktisches Spiel, und sie wusste, dass sie sich keine Fehler leisten konnte.

Doch bevor sie eine vielversprechende Unterhaltung mit einem Abgeordneten vertiefen konnte, spürte sie eine Präsenz hinter sich, die ihre Nackenhaare aufrichtete. Die Stimme, die sie hörte, war tief, kontrolliert und erschreckend ruhig. „Sophia Keller.“ Ihr Name klang wie ein Geheimnis, das er gerade erst entdeckt hatte.

Langsam drehte sie sich um und fand sich Leonardo Vittorio gegenüber. Er stand nur wenige Schritte entfernt, ein Schatten eines Lächelns auf seinen Lippen, das ebenso charmant wie gefährlich war. „Herr Vittorio,“ sagte sie, bemüht, ihre Stimme neutral zu halten. „Es ist eine Überraschung, Sie hier zu treffen.“

„Überraschung?“ Ein Hauch von Amüsement spielte in seinen Augen. „Ich würde sagen, dass wir beide wussten, dass sich unsere Wege früher oder später kreuzen würden.“

Sophia hielt seinem Blick unbeirrt stand, auch wenn ihr Herz schneller schlug. „Ich bin nur hier, um Kontakte zu knüpfen, genau wie die anderen.“

„Kontakte.“ Leonardos Stimme wurde leiser, als würde er ein Geheimnis teilen. „Aber lassen Sie mich Ihnen etwas sagen, Frau Keller. In dieser Welt sind Kontakte nur Masken. Es geht um das, was darunter liegt – und das ist oft nicht schön.“

Bevor sie antworten konnte, trat eine Frau an Leonardos Seite – atemberaubend in einem smaragdgrünen Kleid, ihre Bewegung geschmeidig wie die einer Tänzerin. Sie warf Sophia einen prüfenden Blick zu, der mehr sagte, als Worte es jemals könnten. „Leo, wirst du mich nicht vorstellen?“ Ihr Lächeln war höflich, doch es hatte einen scharfen Unterton.

„Das ist Sophia Keller, eine Journalistin.“ Leonardos Tonfall blieb unverändert. „Und dies ist meine Verlobte, Isabella.“

Sophia zwang sich zu einem höflichen Lächeln. „Freut mich.“

Isabella erwiderte den Blick mit einer kühlen Eleganz, die Sophia unwillkürlich das Gefühl gab, dass sie gemustert wurde wie eine Gegnerin. „Ebenso,“ sagte Isabella schließlich, bevor sie sich wieder Leonardo zuwandte.

Ein leichtes Ziehen an Sophias Ellenbogen lenkte ihre Aufmerksamkeit ab. Sie drehte sich um und blickte in die dunklen Augen eines Mannes, den sie zuvor nicht bemerkt hatte. „Gabriel,“ stellte er sich leise vor. Sein italienischer Akzent und seine unauffällige Art ließen ihn fast harmlos wirken, doch sein Blick war scharf und aufmerksam. „Wir sollten reden.“

Sophia warf einen kurzen Blick über die Schulter zu Leonardo, der das Geschehen aufmerksam verfolgte, und folgte Gabriel in eine ruhigere Ecke des Saals. „Was wollen Sie?“ fragte sie leise, als sie außer Hörweite waren.

Gabriel zog einen kleinen Umschlag aus seiner Jackentasche und hielt ihn ihr hin. „Manchmal ist es besser, die Wahrheit ans Licht zu bringen, bevor sie begraben wird. Lesen Sie das. Es könnte der Anfang sein.“

Sophia nahm den Umschlag, spürte das Papier kühl in ihrer Hand. „Wer sind Sie?“ fragte sie, doch Gabriel verschwand mit einem letzten bedeutungsvollen Blick in der Menge.

Ihr Herz raste, als sie den Umschlag unauffällig in ihrer Handtasche verstaute. Der Abend hatte eine gefährliche Wendung genommen, und sie wusste, dass sie genau beobachtet wurde. Mit einem Kopf voller Fragen verließ sie die Gala. Der Weg zur Wahrheit war nicht nur dunkel, sondern tödlich – und sie war mitten hineingetreten.