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Liebesromane an einem Ort

reader.chapterAnkunft in der Dunkelheit


Elena D’Amico

Der Regen trommelte unablässig auf das Dach des Taxis, das sich mühsam durch den dichten Nebel kämpfte. Die Scheinwerfer warfen schwache Lichtkegel auf den gewundenen Pfad, der sich durch den Wald schlang, doch der Dunst verschluckte jede Kontur. Elena lehnte sich zurück, presste die Hand gegen das kühle Glasfenster und beobachtete, wie die Tropfen in verworrenen Bahnen hinunterliefen. Ihr Herz schlug schneller, als sie den Schatten der mächtigen Villa Blackwood in der Ferne auftauchen sah. Trotz der Dunkelheit war ihre Silhouette unverkennbar – ein Monument der Erhabenheit, das sich düster gegen den Nachthimmel abzeichnete.

„Sind Sie sicher, dass Sie hierher möchten, Signorina?“ fragte der Fahrer und warf ihr einen skeptischen Blick über die Schulter zu. Sein Tonfall war höflich, doch ein Hauch von Besorgnis schwang mit.

„Ja, das bin ich“, antwortete Elena leise, obwohl ihre Stimme nicht so sicher klang, wie sie es beabsichtigt hatte.

Der Fahrer nickte zögerlich und murmelte etwas, das wie ein Gebet klang. „Die Leute sagen, dieser Ort ist kein gewöhnlicher“, fügte er hinzu, sein Blick kurz zur Silhouette der Villa wandernd. „Aber wer bin ich, das zu beurteilen?“

Elena schwieg, doch ihre Gedanken rasten. Der Auftrag war ihre Chance, endlich in der Kunstwelt Fuß zu fassen. Trotzdem spürte sie, wie die Kälte des Waldes durch die Ritzen ihrer Entschlossenheit kroch, Zweifel in den dunklen Ecken ihres Geistes säend.

Der Pfad wurde enger, die Äste der knorrigen Bäume schienen sich über das Fahrzeug zu beugen, als wollten sie den Weg versperren. Elena schloss unbewusst die Finger um das kleine Medaillon an ihrem Hals, das antike Schmuckstück, das sie immer trug. Der vertraute, kühle Metallkontakt beruhigte sie ein wenig, erinnerte sie daran, warum sie hier war – warum sie sich entschlossen hatte, dieser düsteren Einladung zu folgen.

Als das Taxi schließlich vor der Villa hielt, schien die Welt stillzustehen. Der Regen, der zuvor noch wie ein ständiger Begleiter auf das Fahrzeug prasselte, verstummte plötzlich. Es war, als hielte die Natur den Atem an. Elena trat zögerlich ins Freie, ihre Stiefel sanken in den matschigen Boden, und sie zog ihren Mantel fester um sich. Der Anblick der Villa verschlug ihr den Atem. Die massiven Steinwände, von dichtem Efeu überwuchert, erhoben sich wie ein uraltes Wesen vor ihr. Licht fiel nur spärlich aus einigen der hohen Fenster; ansonsten lag das Anwesen in tiefem Schatten.

Sie hielt inne und betrachtete das Gebäude, spürte, wie sich ihre Begeisterung über den Auftrag mit einem dumpfen Unbehagen mischte. Es war ein Ort voller Geschichte, ja, doch auch voller Geheimnisse, bedrohlich und doch faszinierend.

Bevor Elena Zeit hatte, ihre Umgebung genauer zu mustern, öffnete sich die massive Holztür mit einem langsamen, geheimnisvollen Knarren. Ein hochgewachsener Mann trat heraus, seine Gestalt so aufrecht wie die der Villa selbst. Der Butler, wie sie vermutete, war in einen makellos schwarzen Anzug gekleidet, sein Gesicht ausdruckslos, doch seine Augen wirkten wachsam.

„Miss D’Amico“, sagte er mit einer tiefen, fast unheimlich ruhigen Stimme. „Willkommen auf Blackwood Manor. Ich bin Samuel, der Butler. Bitte folgen Sie mir.“

Ohne auf ihre Antwort zu warten, drehte er sich um und verschwand im Inneren der Villa. Elena zögerte nur einen Moment. Sie ließ ihren Blick ein letztes Mal über die düstere Fassade gleiten. Dies war es, wofür sie sich entschieden hatte – und sie würde es nicht bereuen, nicht jetzt. Mit einem tiefen Atemzug hob sie ihr Gepäck und trat durch die Tür.

Die Luft im Inneren war schwerer, als sie erwartet hatte, erfüllt von einem Gemisch aus altem Holz, Wachs und der Zeit selbst. Ihre Schritte hallten auf dem dunklen Marmorboden wider, während sie durch die Haupthalle geführt wurde. Der Raum war so imposant wie eindringlich: gewölbte Decken, deren Höhe in der Dunkelheit verschwand, und Wände, bedeckt mit Gemälden, die Geschichten zu erzählen schienen, die sie noch nicht begreifen konnte.

Elenas Aufmerksamkeit blieb an einem der Gemälde hängen. Es zeigte eine Frau mit einem Gesichtsausdruck, der zwischen Trauer und Verzweiflung schwankte. Ihre Augen wirkten lebendig, fast so, als würden sie Elenas Anwesenheit bewusst wahrnehmen. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken.

„Die Sammlung ist … einzigartig, nicht wahr?“

Die Stimme kam aus dem Schatten, und obwohl sie ruhig war, ließ sie Elena zusammenzucken. Sie drehte sich um und erblickte Adrian Blackwood zum ersten Mal.

Er stand am Fuß der großen Treppe, sein Gesicht nur schwach vom Licht der flackernden Kerzen erhellt. Doch seine blauen Augen waren unübersehbar – intensiv, durchdringend, fast hypnotisch. Elena spürte, wie sich ihre Kehle zusammenzog. Er war nicht nur beeindruckend, sondern auch unheimlich – ein Mann, dessen Präsenz den Raum erfüllte, ohne sich zu bewegen.

„Mr. Blackwood“, stammelte Elena, während sie sich bemühte, ihre Fassung zu bewahren. „Es ist mir eine Ehre, hier zu sein. Die Villa … sie ist beeindruckend.“

„Das ist sie“, erwiderte Adrian, ein schmales Lächeln umspielte seine Lippen. „Die Villa hat ihre Geheimnisse, Miss D’Amico. Vielleicht werden sie sich Ihnen eines Tages offenbaren.“

Seine Worte ließen Raum für Interpretation, doch sie schienen mit einer Bedeutung aufgeladen, die Elena nicht ganz greifen konnte. Für einen Moment lag sein Blick schwer auf ihr, als ob er etwas in ihr suchte, das sie selbst nicht kannte.

„Aber Sie sind sicher müde von der Reise. Samuel wird Sie zu Ihrem Zimmer führen.“

Elenas Gedanken wirbelten, während sie versuchte, die Begegnung zu verarbeiten. Doch bevor sie etwas erwidern konnte, war Samuel bereits an ihrer Seite und führte sie aus der Haupthalle durch einen langen, schwach beleuchteten Korridor. Die Schatten an den Wänden tanzten im flackernden Licht der Kerzen, während sie an geschlossenen Türen vorbeigingen, hinter denen die Stille fast greifbar war.

„Dies wird Ihr Zimmer sein, Miss“, sagte Samuel schließlich, als sie vor einer massiven Doppeltür stehen blieben. Er öffnete sie und trat zur Seite.

Das Zimmer war überraschend einladend, zumindest im Vergleich zum Rest der Villa. Ein großes Bett mit schweren, burgunderfarbenen Vorhängen dominierte den Raum. Ein alter Schreibtisch stand in der Ecke, und ein Kamin warf ein warmes Glühen auf die Wände. Dennoch konnte Elena die Kälte nicht abschütteln, die durch ihre Anwesenheit zu dringen schien.

„Wenn Sie etwas benötigen, ziehen Sie einfach an der Glockenkette neben der Tür“, fügte Samuel hinzu und verließ den Raum, bevor sie etwas entgegnen konnte.

Elena ließ ihr Gepäck auf den Boden sinken und trat ans Fenster. Der Regen hatte nachgelassen, doch der Nebel blieb, verschlang die Welt außerhalb der Villa. Sie konnte die Umrisse des labyrinthartigen Gartens erkennen, der die Villa umgab, aber die Details verschwanden in der Dunkelheit.

Plötzlich fühlte sie sich unendlich müde. Sie schloss die Vorhänge, zog ihre Schuhe aus und ließ sich auf das Bett sinken. Die Matratze war weicher, als sie erwartet hatte, doch der Schlaf wollte nicht kommen. Ihre Gedanken wanderten zu Adrian Blackwood, zu seinen rätselhaften Worten und dem seltsamen Gefühl, das er in ihr ausgelöst hatte.

In der Tiefe der Nacht sank sie schließlich in einen unruhigen Schlaf, doch ihre Träume waren alles andere als erholsam. Sie sah Gemälde, deren Farben sich bewegten wie flüssiges Licht, und eine Frau, die sie aus der Dunkelheit heraus anblickte. Die Frau lächelte flüchtig, und obwohl Elena sie nicht erkennen konnte, spürte sie eine seltsame Vertrautheit, als ob sie schon einmal in ihrer Nähe gewesen war.

Ein ferner Klang weckte sie plötzlich – ein leises Flüstern, das durch die Korridore der Villa hallte. Für einen Augenblick glaubte sie, es wäre nur ein weiterer Traum, doch dann hörte sie es erneut. Es klang wie ein Echo, das aus den Tiefen des Hauses kam.

Elena setzte sich auf, ihr Herz schlug schneller. Die Dunkelheit um sie herum schien dichter zu werden, überwältigend und lebendig. Irgendetwas an diesem Ort – oder an ihr selbst – war aus dem Gleichgewicht geraten.