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Liebesromane an einem Ort

reader.chapterIm Schatten der Gefahr


Isa Wagner

Die neonbeleuchteten Straßen Hamburgs lagen in einer kühlen, gläsernen Stille, als Isa Wagner ihre Kanzlei betrat. Der Empfangsbereich war menschenleer, nur das gedämpfte Summen der Kaffeemaschine drang durch die makellos polierten Wände. Isa ließ ihre Aktentasche auf dem gläsernen Tresen fallen und zog ihren Mantel enger, obwohl die Heizung auf angenehme Temperatur lief. Eine unbestimmte Schwere lag in der Luft, dicht und unnachgiebig – wie ein Vorbote von etwas Bedrohlichem.

Ihr Büro war wie immer makellos ordentlich, ein Spiegelbild ihrer selbst. Der große Schreibtisch aus dunklem Holz war sauber, darauf nur ein Laptop, eine Tasse und ein schwerer Aktenordner mit einer roten Markierung. Isa schloss die Tür hinter sich und ließ sich auf den ledernen Bürostuhl fallen, der ein vertrautes, beruhigendes Knarzen von sich gab.

Die Dokumente, über die sie sich in den letzten Nächten gebeugt hatte, lagen unter der Oberfläche dieser scheinbar nüchternen Ordnung. Verborgene Wahrheiten, die sie entschlüsselt hatte – oder zumindest glaubte, entschlüsselt zu haben. Namen, Daten, Zahlungen. All das deutete auf ein Netzwerk hin, das größer war, als sie zunächst vermutet hatte. Ein Netzwerk, das sich wie ein dunkler Schatten durch Hamburgs Finanz- und Justizsystem zog.

Ihr Blick wanderte zum Fenster. Die funkelnden Lichter der Stadt spiegelten sich in der Scheibe, verzerrte Abbilder einer Welt, die sich hinter falscher Perfektion versteckte. Isa trank einen Schluck kalten Kaffee und runzelte die Stirn, als sie den ersten Aktenordner aufklappte. Hier, in den stillen Stunden der Nacht, fühlte sie sich am klarsten. Und am sichersten. Zumindest hatte sie das geglaubt.

Ein leises Summen aus ihrer Tasche riss sie aus ihren Gedanken. Ihr verschlüsseltes Telefon – das einzige Gerät, dem sie in dieser Angelegenheit vertraute. Isa zog es hervor, und ihre graublauen Augen verengten sich, als sie die Nachricht las:

"Hafen. 23:00. Lagerhaus 17. Alle Antworten warten dort. Kommen Sie allein."

Isa starrte auf die Worte, die wie kleine Nadeln in ihre Gedanken stachen. Ihr Herz schlug schneller. Der Absender war anonym, wie sie es erwartet hatte. Doch diese Botschaft – so präzise und doch so kryptisch – war wie ein Funke, der das Feuer ihrer Recherchen entfachte. Antworten. Endlich.

Doch was, wenn es eine Falle war?

Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, während sie das Telefon in der Hand hielt. Bilder schossen ihr durch den Kopf: Das Gesicht ihres verstorbenen Vaters, die Enttäuschung in den Augen ihrer Mutter, wenn sie erfahren würde, wie tief Isa bereits in gefährliche Gewässer eingetaucht war. Und dann diese Beweise, diese unbestreitbaren Beweise, die irgendwo auf sie warteten – oder zumindest hoffte sie das.

Ihre Finger zögerten über der Tastatur. Sie wusste, dass das Risiko hoch war. Aber die Korruption, die sie aufdecken wollte, bedrohte nicht nur ihre Karriere, sondern auch ihre tiefsten Überzeugungen. Zurückweichen war keine Option. Nicht jetzt.

Isa straffte ihre Schultern, schob die Akten zurück in die Schublade ihres Schreibtisches und verschloss diese mit einem leisen Klicken. Sie griff nach ihrem Mantel, warf einen letzten Blick auf das halbdunkle Büro und verließ die Kanzlei.

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Der Hamburger Hafen schien nachts eine eigene Persönlichkeit zu besitzen. Die riesigen Kräne ragten wie stählerne Riesen über die Containerlandschaft, während kalter, salziger Wind über die stillen Wasserflächen wehte. Isa zog ihren Mantel enger und hielt in der einen Hand ein notdürftig zusammengefaltetes Papier mit der Wegbeschreibung, die sie sich gemacht hatte.

Die Straßenlaternen warfen ein schwaches, gelbliches Licht auf den Beton, doch die Schatten zwischen den Containern blieben undurchdringlich. Es war zu still. Selbst die Geräusche der Stadt schienen von den Wänden aus Metall verschluckt zu werden.

Lagerhaus 17 lag am äußersten Rand des Hafens, ein verlassener Bau mit gebrochenen Fensterscheiben und einer Tür, die nur noch schwach an ihren Angeln hing. Isa hielt inne und spürte, wie ihr Herz schneller zu schlagen begann. Sie überprüfte ihre Umgebung, zwang sich, ruhig zu bleiben. Nichts Verdächtiges – zumindest nichts, was sie sehen konnte.

Sie öffnete die Tür, die ein scharfes Quietschen von sich gab, und trat ein. Der Geruch nach Staub und Rost füllte sofort ihre Nase. Im Inneren war es dunkel, abgesehen von einer einzigen Glühbirne, die von der Decke hing und schwach flackerte.

Eine Gestalt trat aus den Schatten. Der Mann war nervös, das konnte Isa sofort erkennen. Sein Kopf ruckte bei jedem kleinen Geräusch, und seine Hände umklammerten ein zusammengefaltetes Dokument. „Sie sind allein?“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

Isa nickte, ihre graublauen Augen fixierten ihn. „Sie haben mich hergebeten. Was haben Sie?“

„Ich... ich habe die Beweise. Alles, was Sie brauchen. Aber wir müssen uns beeilen. Sie beobachten...“

„Wer?“ Isa trat einen Schritt näher, ihre Stimme scharf. „Wer beobachtet uns?“

Der Mann öffnete den Mund, doch bevor er antworten konnte, zerriss ein Knall die Luft. Isa zuckte zusammen, als der Mann vor ihr taumelte und zu Boden stürzte. Blut breitete sich rasch unter ihm aus, während seine Augen ins Leere starrten.

„Verdammt!“ Isa duckte sich instinktiv, ihr Herz hämmerte in ihrer Brust. Ein zweiter Schuss hallte durch das Lagerhaus, schlug knapp neben ihr in die Wand ein. Panik griff nach ihr, doch sie zwang sich, nachzudenken.

Sie ließ sich zu Boden fallen, robbte hinter eine alte Holzkiste und versuchte, ihre Umgebung zu erfassen. Schatten huschten zwischen den Containern draußen vorbei. Verfolger. Sie wusste nicht, wie viele es waren, aber eines war klar: Sie musste hier raus.

Mit einem schnellen Blick nach rechts entdeckte sie einen Ausgang an der Rückseite des Lagers. Doch der Weg war gefährlich – offen, ohne Deckung.

„Denken, Isa, denken“, murmelte sie leise zu sich selbst. Ihr Blick wanderte zu einer Reihe alter Kisten, die etwas Deckung boten. Wenn sie schnell genug war, konnte sie darüber hinaus in die nächste Gasse schlüpfen.

Isa atmete tief ein und sprintete los. Ihre Schritte hallten in der metallischen Stille, Schüsse schlugen in den Boden hinter ihr ein, die Funken sprühten. Ihre Lippen bewegten sich lautlos, sie zählte die Sekunden zwischen den Schüssen, schätzte die Position der Angreifer ein.

Endlich erreichte sie die Tür, riss sie auf und stolperte hinaus. Die kalte Nachtluft schlug ihr ins Gesicht, doch sie hielt nicht an. Ihre Füße trugen sie durch die verworrenen Gassen des Hafens, vorbei an Containern und leeren Straßen.

Ihr Atem ging schwer, als sie schließlich eine Seitenstraße erreichte, die aus dem Hafengebiet führte. Sie wagte es nicht, zurückzuschauen, nicht jetzt. Erst als sie sicher war, dass sie alleine war, lehnte sie sich gegen eine Wand und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen.

Der Mann war tot. Die Antworten, die sie suchte, lagen nun irgendwo in einer Blutlache zurückgelassen. Und doch war sie sicher, dass ihre Verfolger nicht nur wegen ihm dort gewesen waren. Sie hatten gewusst, dass sie kommen würde.

Isa schloss für einen Moment die Augen und zwang sich, ihre Panik zu unterdrücken. Es war nicht die Zeit, zu verzweifeln. Noch nicht. Sie hatte überlebt – diesmal.

Doch in ihrem Inneren wusste sie, dass dies erst der Anfang war. Die Dunkelheit, die sie im Hafen gesehen hatte, war ein Spiegel ihres eigenen Dilemmas. Sie hatte sich in ein Spiel eingelassen, das größer und gefährlicher war, als sie sich je hätte vorstellen können. Und sie war weit davon entfernt, die Spielregeln zu kennen.

Mit zittrigen Händen zog Isa ihr Telefon hervor und tippte eine neue Nachricht an ihren Informanten. Doch diesmal gab es keine Antwort.

In der Stille der Nacht fühlte sich Isa einsamer als je zuvor.