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Liebesromane an einem Ort

Kapitel 3Verborgene Wahrheiten


Hanna/Siv

Die Nacht war still, eine drückende, beunruhigende Stille, die keine Hoffnung versprach. Der Mond verbarg sich hinter dichten Wolken, und die Sterne leuchteten kaum heller als die Schatten, die den schmalen Pfad umgaben. Hanna zog ihren Mantel enger um sich, während sie die vertrauten Umrisse des Weges zum Hain der Götter suchte. Doch selbst die Kälte, die in ihre Knochen kroch, ließ sie weniger frösteln als die Gedanken, die sich in ihrem Inneren verdichteten.

Leifs Auftreten in der großen Halle ließ sie nicht los. Sein Charme, durchzogen von einer unterschwelligen Berechnung, hatte eine Unruhe in ihr ausgelöst, die sie nicht abschütteln konnte. Es war nicht nur das, was er gesagt hatte, sondern wie er es gesagt hatte – als trüge er ein Geheimnis, das auf sie wartete. Etwas an ihm fühlte sich falsch an, und doch schien es vertraut, wie ein Schatten einer Erinnerung, die sich ihrem Griff entzog.

Der Hain lag vor ihr, und die Luft dort erschien schwerer, dichter. Die uralten Eichen wirkten nicht wie sonst, majestätisch und erhaben, sondern geduckt, als ob eine unsichtbare Last sie niederdrückte. Der Altar in der Mitte glomm schwach im silbrigen Mondlicht, das sich durch eine Lücke in den Wolken tastete. Ein schwacher Geruch von Moder und feuchtem Holz lag in der Luft, gemischt mit etwas Metallischem, das Hanna nicht zuordnen konnte. Sie blieb stehen, ihre Augen suchten das Dunkel ab, als ein leises Rascheln an ihrer rechten Seite erklang.

„Du bist nicht die Einzige, die in den Schatten wandelt“, durchbrach eine Stimme die Stille. Hanna fuhr herum. Ihre Hand glitt wie von selbst zu dem kleinen Dolch an ihrer Hüfte. Ihre Finger schlossen sich fest um den Griff.

Leif trat aus den Schatten, sein Gesicht halb im Licht, halb verborgen. Seine Augen ruhten auf ihr, durchdringend, schwer zu deuten. „Eine Vorliebe für nächtliche Wanderungen, wie ich sehe“, fügte er hinzu, seine Stimme ruhig, unaufgeregt, mit einem Hauch von Spott, der sie nur noch mehr anspannte.

„Was machst du hier?“ Hannas Stimme war scharf, trotz ihres Bemühens, gefasst zu klingen. Ihre Finger umklammerten den Dolch so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten, als könne diese Geste ihre Unsicherheit verbergen.

Leif trat näher, seine Bewegungen geschmeidig und vorsichtig, wie die eines Mannes, der sein Gegenüber genau beobachtet. „Vielleicht dasselbe wie du“, antwortete er, sein Blick wanderte zum Altar im Zentrum des Hains. „Ein Ort der Götter, heißt es. Oder vielleicht ein Ort, der ihre Abwesenheit umso deutlicher spüren lässt.“

Ein plötzlicher Windstoß fuhr durch die Bäume, ließ die Äste knarren und die Blätter flüstern. Hanna spürte, wie sich die Härchen auf ihren Armen aufstellten. Was er sagte, mochte zweideutig erscheinen, aber etwas an seinen Worten ließ sie aufhorchen. „Sprich nicht in Rätseln“, sagte sie schließlich. „Warum bist du hier, Leif? Wer bist du wirklich?“

Er drehte sich zu ihr um, sein Blick ruhte schwer auf ihr. Sein Gesicht, eben noch maskenhaft, zeigte eine Spur von Nachdenklichkeit – und etwas, das fast wie Bedauern wirkte. „Du bist direkt. Das schätze ich“, begann er, bevor seine Augen ihre suchten. „Hanna... oder sollte ich dich Siv nennen? Ist das nicht der Name, den sie hier benutzen? Wie du dich auch nennen möchtest – wir beide wissen, dass du nicht hierhergehörst.“

Hannas Atem stockte. Die Bedeutung seiner Worte traf sie wie ein Schlag, ließ sie für einen Moment die Kontrolle über ihre Gedanken verlieren. „Woher...“, setzte sie an, doch ihre Stimme brach.

Leif hob beschwichtigend eine Hand, als wolle er sie beruhigen. „Ich weiß es, weil ich es selbst kenne“, sagte er ruhig, beinahe flüsternd. „Ich bin nicht von hier – nicht aus dieser Zeit.“

Die Worte schienen die Luft um sie herum zu verändern. Ein Knacken durchzog die Stille, als ein Ast unter der unsichtbaren Last des Windes brach. Hanna starrte ihn an, ihre Gedanken rasten. „Das ist unmöglich“, flüsterte sie, obwohl ein Teil von ihr längst verstanden hatte, dass es wahr war. „Wie...?“

„Ein Amulett“, erklärte er und deutete auf einen ledernen Beutel, der an seiner Brust hing. „Ähnlich deinem. Ich fand es während einer Expedition.“ Ein bitteres Lächeln zog über sein Gesicht. „Es war der Beginn einer Reise, die mich hierher führte – und hier hielt.“

Hanna wich einen Schritt zurück, als ob die Distanz ihr helfen könnte, die Flut ihrer Gedanken zu sortieren. „Warum hast du mir nichts gesagt?“ Ihre Stimme war schärfer, als sie es beabsichtigt hatte. „Warum diese Geheimniskrämerei?“

Leif schnaubte leise, ein Geräusch, das halb Lachen, halb Bitterkeit war. „Wem hätte ich vertrauen sollen? Den Kriegern, die dich umgeben? Den Dorfbewohnern, die mich anstarren, als wäre ich ein Geist? Oder dir, die ihre Geheimnisse ebenso sorgfältig bewahrt wie ich?“

Seine Worte trafen einen Nerv. Doch Hanna ließ sich nichts anmerken. „Und was willst du jetzt?“ fragte sie, ihre Augen verengt. „Zurück in unsere Zeit? Oder etwas anderes?“

Leif hielt inne, bevor er antwortete. „Das bleibt abzuwarten“, sagte er schließlich, sein Ton vage. „Je länger ich hier bin, desto mehr sehe ich, wie brüchig diese Zeit ist. Es gibt Möglichkeiten – und Gefahren.“

Ein leises Zucken ging durch Hannas Gesicht, kaum wahrnehmbar. „Das Amulett“, begann sie vorsichtig. „Weißt du, wie man es benutzt?“

Leif zögerte, und für einen Moment schien er fast verletzlich. „Ich weiß genug, um zu wissen, dass es mehr ist, als es zu sein scheint. Aber ich glaube, dass wir beide es gemeinsam entschlüsseln könnten.“

Hannas Kiefer verspannte sich. „Ich habe damit abgeschlossen“, log sie, ihre Stimme fest. „Es hat mehr Schaden angerichtet, als es je hätte nützen können.“

Leif schüttelte langsam den Kopf, sein Lächeln war dünn und wissend. „Vielleicht hast du das dir selbst eingeredet“, sagte er. „Aber wir beide wissen, dass die Vergangenheit nie wirklich loslässt.“

Ein Knarren ertönte in den Ästen über ihnen, als ob der Hain selbst auf ihre Worte reagierte. Hanna spürte, wie die Wut in ihr aufstieg. „Was auch immer du vorhast, Leif – ich werde nicht zulassen, dass du dieses Dorf gefährdest.“

Leif trat einen Schritt näher, sein Blick war fest auf sie gerichtet. „Gefahr kommt in vielen Formen“, sagte er leise. „Manchmal ist es das, was wir nicht wissen, das uns am meisten schadet. Überleg dir gut, Hanna. Wir könnten eine Allianz sein – oder Feinde. Die Wahl liegt bei dir.“

Er wandte sich ab, ließ sie mit der Dunkelheit, den Geräuschen des Hains und ihren Gedanken allein zurück. Hanna stand da, regungslos, bis der Wind erneut durch die Bäume fuhr und sie frösteln ließ. Schließlich löste sie sich aus ihrer Starre und drehte sich um.

Als sie den Heimweg einschlug, war ihr Herz schwer. Der Hain schien sie mit seinen Schatten zu begleiten, und die Sterne blickten kalt auf sie herab. Leifs Worte hallten in ihrem Kopf wider, doch noch lauter war die Frage, ob sie sich selbst noch trauen konnte.