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Liebesromane an einem Ort

reader.chapterDie verborgene Einladung


Selina

Der Regen hatte aufgehört, doch die schweren Wolken, die sich am Himmel stauten, warfen eine düstere Stimmung über die Stadt. Durch das Fenster des kleinen Cafés strömte trübes Licht, das die warmen Töne der alten Holztische und geblümten Vorhänge kaum aufhellen konnte. Selina saß reglos am Tisch, die Finger um eine fast leere Tasse Espresso geschlungen, während ihr Blick immer wieder auf das Stück Papier fiel, das vor ihr lag. Die Einladung war auf cremefarbenem Karton gedruckt, mit einer Schrift, die geschwungen und elegant war, fast wie ein Relikt aus einer anderen Zeit. Der zarte Duft von Sandelholz, der vom Papier aufstieg, drang in ihre Sinne und ließ ungewollt Erinnerungen an Damien wach werden – an seine Welt, an ihn.

Wie eine Falle, dachte sie, eine sorgfältig gestaltete Falle, die dennoch eine unerklärliche Anziehungskraft ausübte.

„Du kannst das unmöglich ernsthaft in Betracht ziehen.“ Isabelles Stimme schnitt klar und eindringlich durch das leise Murmeln der Cafébesucher. Sie lehnte sich nach vorn, ihre blauen Augen voller Sorge, die ihre sonst lebhafte Ausstrahlung überschattete. Sie griff nach Selinas Händen und umschloss sie fest. „Nach allem, was er dir angetan hat, nach allem, was das ausgelöst hat—“

„Ich weiß,“ unterbrach Selina sie, ihre Stimme leise, aber fest. Sie zog ihre Hände zurück und rieb sich über die Schläfen, als würde sie versuchen, die Gedanken in ihrem Kopf zu glätten. Es war nicht das erste Mal, dass Isabelle sie daran erinnerte, und dennoch fühlte es sich jedes Mal wie ein Schlag in die Magengrube an.

„Aber was, wenn ich endlich Antworten bekomme? Was, wenn ich endlich erfahre, was wirklich passiert ist?“ Ihre smaragdgrünen Augen richteten sich erneut auf die Einladung, ein Schatten huschte über ihr Gesicht.

Isabelle schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust. „Antworten? Glaubst du wirklich, Damien Blackwood wird dir irgendetwas sagen, was nicht Teil eines seiner Spiele ist? Selina, dieser Mann ist giftig. Er hat dich manipuliert, benutzt und dann weggeworfen, als du ihm nicht mehr von Nutzen warst. Erinnerst du dich—“

„An den Anruf,“ unterbrach Selina sie erneut, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern, ihre Augen glasig. Ein Bild blitzte vor ihrem inneren Auge auf: Damiens Stimme am Telefon, kalt, berechnend, als er ihr mitteilte, dass die Geschichte, an der sie gearbeitet hatte, nie veröffentlicht werden würde. Es war ihr Stolz, ihre Karriere, ihr Leben gewesen – und er hatte es mit einem Satz zerstört.

„Er hat dich zerstört,“ vollendete Isabelle den Satz, ihre Stimme zitterte vor Frustration.

Selina schwieg, ihre Finger glitten über den Rand der Einladung, als versuche sie, durch den bloßen Kontakt eine Antwort zu finden. Was sie spürte, war beunruhigend vertraut: dieser Drang, etwas zu verstehen, das unverständlich geblieben war.

„Ich kann nicht einfach so tun, als wäre das alles nicht passiert,“ sagte sie schließlich, ihre Stimme war leise, aber voller Entschlossenheit. „Es hat mein Leben ruiniert, Isabelle. Meine Karriere, meine Beziehungen, alles.“

„Und du glaubst, dass er dir die Wahrheit sagen wird?“ Isabelles Ton war nun fast verzweifelt. „Selina, er hat dich belogen, dich betrogen, und du willst ihm erneut die Gelegenheit geben, Macht über dich zu haben?“

Isabelle lehnte sich zurück, schüttelte den Kopf und atmete tief durch. „Ich verstehe, dass du Antworten willst. Aber Damien gibt nie etwas von sich preis, ohne etwas dafür zu bekommen. Du weißt, wie er mit Menschen spielt.“

Selina sah sie an, ihre Augen voller Unsicherheit, aber auch einer Entschlossenheit, die Isabelle nur zu gut kannte. „Es ist nur ein Abend,“ sagte sie schließlich. „Ich gehe hin, höre mir an, was er zu sagen hat, und das war’s. Ich werde mich nicht wieder in seine Welt ziehen lassen.“

Isabelle lachte trocken, eine Spur von Bitterkeit in ihrem Blick. „Das ist genau das, was er will. Dass du denkst, du hättest die Kontrolle. Aber Damien gibt nichts umsonst. Denk daran, Selina. Es gibt immer einen Preis.“

Ein Moment der Stille entstand zwischen ihnen. Draußen begannen die ersten Sonnenstrahlen, sich durch die Wolkendecke zu kämpfen, und ein zaghafter Lichtschein fiel auf Selinas Gesicht. Die Wärme des Lichts war trügerisch, ein schwaches Hoffnungsversprechen, das die Schwere des Augenblicks nicht minderte.

„Ich werde vorsichtig sein,“ versprach Selina leise, und obwohl sie die Worte aussprach, spürte sie, wie wenig sie selbst daran glaubte.

Isabelle schüttelte den Kopf und griff nach ihrer Tasche, bevor sie sich erhob. „Wenn du wirklich gehst, dann ruf mich an, sobald du dort bist. Und wenn irgendetwas nicht stimmt, irgendetwas, dann verlässt du diesen Ort sofort. Verstanden?“

Selina nickte langsam und zwang sich zu einem schwachen Lächeln. „Verstanden.“

Isabelle zögerte noch einen Moment, dann beugte sie sich vor und drückte Selinas Hände ein letztes Mal. „Pass auf dich auf, Selina. Und lass dich nicht wieder von ihm einwickeln.“

Selina sah ihr nach, als sie das Café verließ, die Tür hinter sich leise schließend. Der Regen hatte aufgehört, doch die Pfützen auf dem Asphalt und die schwere, feuchte Luft erinnerten daran, dass die Welt noch immer von grauen Wolken bedeckt war.

Sie hob die Einladung auf und las die Worte ein weiteres Mal. „Ein exklusiver Abend in der Villa Blackwood…“ Ihre Finger zitterten, als sie die Karte wieder zurück auf den Tisch legte. Es fühlte sich an, als würde sie einen Stein in die Tiefen eines dunklen Sees werfen, ohne zu wissen, was auf dem Grund lauerte.

Auf dem Heimweg spürte sie die Blicke der Menschen, die sie passierten, doch sie fühlte sich wie in einer Blase gefangen, die alles um sie herum dämpfte. Eine ältere Frau stieß aus Versehen gegen sie und murmelte eine Entschuldigung, doch Selina reagierte kaum.

Als sie ihre Wohnung erreichte, warf sie die Einladung achtlos auf die Kommode im Flur. Doch kaum hatte sie die Tür geschlossen, blieb ihr Blick wie magisch an dem cremefarbenen Papier haften. Es war, als würde die Einladung sie verspotten, sie herausfordern, den Mut aufzubringen, sich ihrer Vergangenheit zu stellen.

Schließlich griff sie nach ihrem Handy und tippte eine Nachricht an Isabelle: „Ich habe mich entschieden. Ich werde gehen.“

Es dauerte nur wenige Sekunden, bis eine Antwort kam. „Versprich mir, dass du auf dich aufpasst.“

Selina starrte auf den Bildschirm, bevor sie antwortete: „Ich verspreche es.“

Doch als sie das Handy beiseitelegte und sich auf die Couch sinken ließ, fühlte sie, wie ein unheimliches Kribbeln ihren Nacken hinaufkroch. Vorfreude oder Furcht – sie konnte es nicht sagen. Vielleicht beides.

Die Einladung lag noch immer auf der Kommode, ein Symbol für alles, was sie verloren hatte – und alles, was sie zu gewinnen hoffte.