Kapitel 3 — Die kalte Hand der Macht
Dr. Lena Hartmann
Das leise Summen des Datenmonitors durchbrach die tiefe Stille im abgedunkelten Büro von Dr. Lena Hartmann. Das kalte Licht des Bildschirms tauchte die scharf geschnittenen Konturen ihres Gesichts in einen unnatürlichen Glanz, während die Schatten ihrer Bewegungen über die grauen Wände tanzten. Mit präzisen Bewegungen glitten ihre perfekt manikürten Nägel über die Tastatur, ein rhythmisches Klappern, das wie ein Uhrwerk klang. Auf dem Monitor flimmerte die Akte von Häftling 784 – Elena Weiß. Die Berichte waren detailliert, jede Zeile ein scharfes Messer, das sich in ihre Strategien fügte. Ihre grauen Augen funkelten kühl, berechnend, während sie die Worte las, die das Profil der Journalistin zeichneten.
Ein leises Zischen kündigte die sich lautlos öffnende Tür an. Ein junger Wissenschaftler trat ein, die Schultern leicht nach unten geneigt, eine schwarze Ledermappe mit dem emblematischen Logo von Blackgate eng an die Brust gedrückt. Seine Schritte waren vorsichtig, beinahe lautlos, während er sich dem Schreibtisch näherte. Dr. Hartmann ließ sich nicht von ihrem Bildschirm abwenden.
„Dr. Hartmann,“ begann er mit gedämpfter Stimme, die Nervosität kaum verbergend, „die Ergebnisse des letzten Versuchs sind fertig.“
„Legen Sie sie auf den Tisch.“ Ihre Stimme war glatt wie Eis, frei von jeder Emotion.
Schnell gehorchte er, platzierte die Mappe exakt am Rand ihres Schreibtisches und widerstand dem Drang, sie anzusehen. Einen Moment lang schien er zu zögern, unsicher, ob er entlassen war.
„Häftling 784 ist widerstandsfähiger, als ich erwartet habe,“ sprach sie plötzlich, ohne ihn anzublicken. Ihre Stimme war leise, doch das Gewicht ihrer Worte ließ den Raum schrumpfen. „Das macht sie gefährlich. Widerstand bedeutet Einfluss, und Einfluss bedeutet Chaos. Chaos können wir uns nicht leisten.“
Nun hob sie den Kopf und fixierte ihn mit einem Blick, der so scharf war, dass er beinahe körperlich fühlbar wurde. Der Mann hielt den Atem an, seine Finger krampften sich um die Mappe, als wäre sie seine letzte Rettung.
„Wissen Sie, warum sie hier ist?“ Ihre Frage war präzise, ein Skalpell, das seine Unsicherheit sezierte.
„Weil… weil sie Informationen gegen Blackgate gesammelt hat, Ma’am.“
„Das ist die offensichtliche Antwort.“ Sie erhob sich mit einer geschmeidigen Bewegung, die ihre Dominanz untermauerte. Jeder Klick ihrer Absätze auf dem kühlen Boden klang wie ein Urteilsspruch. „Aber wahre Macht wird nicht durch das Offensichtliche bedroht. Sie wird durch die Idee bedroht. Die Idee, dass jemand wie sie die Kontrolle infrage stellen könnte. Wahrheit, Moral, Gerechtigkeit – alles naive Konzepte, die man auslöschen muss, bevor sie Wurzeln schlagen.“
Der Wissenschaftler nickte hastig, doch sein Blick blieb starr auf den Boden gerichtet.
„Wie weit sind die Vorbereitungen für die nächsten Experimente fortgeschritten?“ Ihre Stimme war ruhig, doch die Kälte darin ließ den Wissenschaftler erschauern.
„Die Probanden… ich meine, die Häftlinge… sind in den vorgesehenen Zellen. Wir haben die Protokolle angepasst, aber… es gibt noch keine klare Vorgabe, welche Daten von Häftling 784 extrahiert werden sollen.“
Ein Schatten glitt über ihr Gesicht, kaum wahrnehmbar, doch tief genug, um den Raum mit Anspannung zu füllen. „Unklarheiten bedeuten Inkompetenz. Und Inkompetenz ist etwas, das ich nicht dulde.“
„Entschuldigen Sie, Ma’am. Ich werde sofort—“
„Genug.“ Mit einer knappen Handbewegung schnitt sie ihm das Wort ab. „Verlassen Sie den Raum.“
Der Mann atmete hörbar ein, bevor er hastig zur Tür eilte. Als er den Raum verließ, fiel die Stille wie eine eiserne Decke über das Büro. Dr. Hartmann lehnte sich gegen ihren Schreibtisch, ihre Finger aneinandergelegt, während ihre Gedanken rasten. Elena Weiß war mehr als nur eine Gefangene – sie war eine Unbekannte in einer Gleichung, die keine Variablen erlaubte.
Ihr Blick wanderte zu einem Nachrichtenfeed, der stumm auf einem zweiten Monitor lief. Schlagzeilen über Korruption und Machtmissbrauch flammten auf, Themen, die untrennbar mit Elenas Vergangenheit verbunden waren. Hartmanns Kiefer spannte sich an.
„Nicht in meiner Welt,“ murmelte sie, leise, fast wie ein Gebet.
Ein Piepton unterbrach ihre Gedanken. Auf dem Bildschirm erschien das Gesicht eines Sicherheitschefs, die steife Haltung und der ernste Ausdruck zeugten von der allgegenwärtigen Angst vor Fehlern.
„Dr. Hartmann,“ begann er mit einer Mischung aus Respekt und Anspannung, „Agent Falk hat das Verhör von Häftling 784 abgeschlossen. Keine signifikanten Fortschritte.“
Ihre Augen verengten sich, ihre Lippen formten eine dünne, gnadenlose Linie. „Keine Fortschritte? Ich habe ihn ausgewählt, weil er effizient ist. Soll ich das als Scheitern werten?“
„Er hat sie nicht gebrochen, Ma’am. Aber… es gab Spannungen. Sie hat ihn herausgefordert, und seine Reaktionen waren… ungewöhnlich.“
Sie neigte den Kopf leicht zur Seite, wie eine Raubkatze, die ihre Beute mustert. „Interessant. Sehr interessant.“
„Wollen Sie Maßnahmen ergreifen?“ fragte er zögernd.
Ein dünnes, kühles Lächeln zog sich über ihre Lippen. „Noch nicht. Beobachten Sie ihn genau. Wenn er Anzeichen von Ungehorsam zeigt, informieren Sie mich sofort.“
„Verstanden, Ma’am.“
Der Bildschirm wurde dunkel, und erneut umfing sie die Stille. Einen Moment lang schloss sie die Augen, als würde sie sich sammeln. Dann stand sie auf, bewegte sich langsam zu einem deckenhohen Schrank und öffnete eine Schublade.
Drin lag eine kleine Spritze, gefüllt mit einer klaren Flüssigkeit, die im Licht glitzerte. Der kryptische Code darauf war ein Zeugnis ihrer wissenschaftlichen Ambitionen. Sie hielt die Spritze in ihrer Hand, betrachtete sie mit einer fast zärtlichen Intensität, die in groteskem Kontrast zu ihrer Bedeutung stand.
„Die Wahrheit,“ flüsterte sie, leise, aber mit unheilverkündender Entschlossenheit, „ist ein Konstrukt. Und ich entscheide, wie sie aussieht.“
Mit schnellen Schritten verließ sie den Raum, ihre Absätze hallten wie ein Metronom der Macht durch den leeren Gang. Vor ihr lag die nächste Phase – Experimente, Entscheidungen und das Schicksal von Häftling 784.
Die kalte Hand der Macht schloss sich um die Zukunft, unnachgiebig und unerbittlich. In ihrer Welt war kein Platz für Schwäche. Nicht für Elena Weiß. Nicht für Niklas Falk. Nicht für irgendjemanden.