Kapitel 2 — Der unerbittliche Wächter
Niklas Falk
Das metallische Klicken von Stiefeln auf dem kalten Betonboden hallte durch die langen, sterilen Korridore von Blackgate. Die Luft war schwer, erfüllt von dem Geruch nach Desinfektionsmitteln und Metall. Neonlichter an der Decke flackerten gelegentlich, warfen harte Schatten entlang der Wände und verstärkten die bedrückende Kälte des Ortes. Niklas „Raven“ Falk hielt einen gleichmäßigen, entschlossenen Schritt, die Hände fest hinter dem Rücken verschränkt. Sein kantiges Gesicht war wie in Stein gemeißelt, die eisblauen Augen unverwandt geradeaus gerichtet. Doch hinter der kontrollierten Fassade regte sich eine leise Spannung.
Er wusste, warum er hier war. Dr. Hartmann hatte ihn persönlich ausgewählt, um Häftling 784 zu verhören – Elena Weiß. Der Name war ihm bereits bekannt, lange bevor er sie zum ersten Mal sehen würde. Ihre Akte war detailliert, gefüllt mit Berichten über investigativen Journalismus, Enthüllungen und mutige, fast waghalsige Aktionen. Ihr letzter Coup – die Beweise gegen Blackgate – hatte sie direkt in die Fänge der Organisation geführt. Und doch war es nicht nur ihr Scharfsinn, der Dr. Hartmann alarmiert hatte. Es war die Hartnäckigkeit, die in jeder Zeile ihrer Akte mitschwang. Niklas konnte nicht leugnen, dass er neugierig war. War sie wirklich so gefährlich, wie die Leitung es behauptete?
Seine Stiefel stoppten abrupt vor einer massiven Metalltür. Der Wächter, ein jüngerer Mann mit nervösen Augen, salutierte hastig. Sein Atem schien in der stillen Umgebung lauter als normal. „Häftling 784 wird bereitgestellt, Sir“, sagte er, seine Stimme zitterte leicht.
Niklas musterte ihn kurz, ohne eine Gefühlsregung zu zeigen. „Gut. Machen Sie weiter.“ Der Wächter tippte hastig auf das Terminal neben der Tür, und ein hydraulisches Zischen ertönte, als sich die Tür öffnete. Niklas trat ein.
Der Verhörraum war karg, ein trostloser Ort, gebaut für Effizienz und Einschüchterung. Ein wackeliger Metalltisch stand in der Mitte, flankiert von zwei simplen Stühlen, die so unbequem aussahen, wie sie wahrscheinlich waren. Die grelle, flackernde Lampe über der Szene verstärkte das Gefühl der Beklommenheit. Das Summen einer Überwachungskamera, die sich kaum merklich in der Ecke drehte, erfüllte den Raum mit einer ständigen Präsenz. Niklas spürte den kalten Blick der Kontrolleure im Hintergrund, die jeden seiner Schritte überwachten. Dr. Hartmanns Worte hallten in seinem Kopf wider: „Wir dürfen nichts dem Zufall überlassen.“
Sein Blick wanderte zum leeren Stuhl, bevor er sich setzte. Für einen Moment betrachtete er den Raum, ließ die sterile, bedrückende Atmosphäre auf sich wirken. Diese Umgebung war Teil des Spiels – ein Werkzeug, genauso wie die Worte, die er wählen würde. Niklas wusste, dass sein Erfolg in diesem Verhör nicht von Drohungen abhing, sondern von der Fähigkeit, sie zu analysieren und ihre Schwächen zu lesen.
Es dauerte nicht lange, bis die Tür erneut aufging. Zwei Wachen führten Elena Weiß herein. Trotz der groben Behandlung blieb sie aufrecht, ihre schmalen Schultern straff, ihr Blick trotzig. Ihr hellblondes Haar war zerzaust, und die dunklen Schatten unter ihren grauen Augen zeugten von einer schlaflosen Nacht. Für einen Moment verweilte Niklas’ Blick auf ihr. Es war keine physische Stärke, die sie ausstrahlte. Es war etwas anderes – eine innere Entschlossenheit, die ihn unwillkürlich an Szenen aus seiner Vergangenheit erinnerte. Menschen, die trotz unmöglicher Umstände nicht brachen.
Die Wachen drückten sie auf den Stuhl, und eine Grimasse der Verachtung huschte über ihr Gesicht, als sie sich befreien wollte. Doch sie blieb sitzen, hielt den Kopf hoch und starrte Niklas direkt an. Ihre grauen Augen, trotz der Erschöpfung, funkelten wie kaltes Feuer. Die Wachen zögerten, bevor sie den Raum verließen. Niklas hob die Hand – ein stummes Zeichen, dass sie sich entfernen sollten. Sobald die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, herrschte eine drückende Stille, unterbrochen nur vom sachten Summen der Neonbeleuchtung.
Niklas betrachtete sie regungslos. „Frau Weiß“, begann er schließlich, seine Stimme kühl und kontrolliert, „Sie wissen, warum Sie hier sind.“ Seine Worte waren präzise, wie ein Messer, das sorgfältig angesetzt wurde.
Sie lehnte sich leicht nach vorne, die Hände in den Fesseln vor ihr verschränkt. „Wenn ich raten müsste, nehme ich an, es hat etwas mit Freiheit der Presse und investigativem Journalismus zu tun“, erwiderte sie mit beißendem Sarkasmus. Ihre Augen funkelten gefährlich, trotz der offensichtlichen Erschöpfung.
Niklas ließ sich nicht provozieren. Seine Miene blieb unbewegt, während er nach einem Tablet griff, das vor ihm auf dem Tisch lag. Mit einer kleinen Bewegung wischte er über den Bildschirm und sprach ruhig weiter: „Ihre Recherchen haben Sie in eine gefährliche Position gebracht. Sie sind sich dessen bewusst, nehme ich an.“
„Gefährlich für wen? Für mich oder für Blackgate?“ Ihre Stimme war scharf, und sie lehnte sich zurück, als ob sie mit dieser Haltung die Kontrolle über die Situation zurückgewinnen wollte. „Wenn Sie mich hierhergebracht haben, um mich einzuschüchtern, verschwenden Sie Ihre Zeit. Ich habe nichts zu sagen.“
Niklas hob eine Augenbraue. Ihre Sturheit überraschte ihn nicht, aber sie war intensiver, als er erwartet hatte. Er legte das Tablet beiseite und verschränkte die Arme. „Sturheit ist keine Tugend, Frau Weiß. Sie haben Informationen, die eine Bedrohung darstellen. Sie könnten es sich viel einfacher machen, indem Sie kooperieren.“
„Einfach?“, wiederholte sie, ein bitteres Lächeln umspielte ihre Lippen. „Wie einfach war es für die Menschen, die durch Blackgate verschwunden sind, ohne eine Spur zu hinterlassen? Wie einfach war es für die Familien, die keine Antworten bekommen haben?“ Ihre Stimme zitterte leicht, doch sie hielt den Blickkontakt unverwandt.
Niklas musterte sie schweigend. Ihre Worte trafen etwas in ihm, etwas, das er tief in sich begraben hatte. Bilder aus seiner Vergangenheit flackerten auf: Missionen, die außer Kontrolle gerieten, Entscheidungen, die Leben kosteten. Für einen Moment schien das flackernde Licht über ihnen synchron mit seinem inneren Konflikt.
„Sie wissen nicht, in welcher Position Sie sich befinden“, sagte er schließlich, seine Stimme eine Spur härter. „Ihre Prinzipien werden Ihnen keinen Schutz bieten, wenn Sie sich weiterhin weigern, mit uns zu kooperieren.“
„Und was, wenn ich nicht kooperiere? Werden Sie mich brechen? Mich in eines eurer Labore schicken?“ Sie beugte sich vor, ihre Stimme war jetzt leiser, aber voller Feuer. „Ich habe Angst davor, nichts zu tun. Angst davor, in einer Welt zu leben, in der Organisationen wie Blackgate ungestraft bleiben. Wenn Sie glauben, ich werde mich beugen, dann kennen Sie mich nicht.“
Niklas blieb regungslos, doch innerlich regte sich ein seltsamer Respekt. Diese Frau, so erschöpft und verletzlich sie aussah, hatte eine Stärke, die ihn faszinierte. Aber er konnte es sich nicht leisten, diese Faszination zuzulassen. Er musste sich auf die Mission konzentrieren, auf den Zweck, der ihn hierher gebracht hatte.
„Ihre Haltung ändert nichts an den Tatsachen“, sagte er schließlich, seine Stimme wieder ruhig und kontrolliert. „Sie befinden sich in einer Hochsicherheitsanlage. Niemand wird Sie hier finden. Niemand wird Sie retten. Es liegt ganz bei Ihnen, wie dieses Gespräch weitergeht.“
Elena lachte leise, ein bitteres, kurzes Lachen, das in der Stille widerhallte. „Niemand wird mich retten? Glauben Sie wirklich, dass ich darauf gewartet habe? Ich bin hier, weil ich die Wahrheit aufgedeckt habe. Und Wahrheit ist wie Wasser – man kann versuchen, sie einzusperren, aber sie findet immer einen Weg, durch die Risse zu sickern.“
Niklas hielt ihren Blick. Sie war wie eine Festung, und er wusste, dass er sie heute nicht brechen würde. Vielleicht war das auch nicht sein Ziel. Er rieb sich mit einer Hand über das kantige Gesicht, dachte kurz nach und erhob sich dann.
„Das Gespräch ist beendet“, sagte er kühl. „Für jetzt.“
Er nickte Richtung Tür, und die Wachen traten wieder ein. Elena wurde auf die Füße gezwungen, doch ihre Haltung blieb aufrecht, stolz, als sie aus dem Raum geführt wurde. Niklas beobachtete sie, seine Gedanken ein Wirbel aus Pflichtgefühl und wachsendem Zweifel. Irgendetwas an ihr war anders. Sie war keine gewöhnliche Gefangene, und das machte sie gefährlich – nicht nur für Blackgate, sondern vielleicht auch für ihn selbst.
Als die schwere Tür hinter ihr ins Schloss fiel, blieb Niklas allein zurück. Der Raum war still, nur das Summen der Überwachungskamera blieb. Er starrte auf den leeren Stuhl vor sich, und für einen flüchtigen Moment fragte er sich, ob er selbst noch an die Prinzipien glaubte, die ihn einst hierher geführt hatten. Das flackernde Licht über ihm spiegelte seine Unruhe wider. Gefühle hatten keinen Platz in Blackgate. Und doch konnte er die leise Stimme in seinem Inneren nicht ignorieren, die fragte: Was, wenn sie recht hat?