Kapitel 3 — Tief unter der Oberfläche
Artur Sazonov
Der Schein der schweren Kronleuchter warf lange, unruhige Schatten an die Wände des prunkvollen Arbeitszimmers von Artur Sazonov. Es war ein Raum, der Macht und Geschichte ausstrahlte, durchdrungen von dem Geruch alter Bücher, Zigarrenrauch und polierten Hartholzmöbeln. Der massive Schreibtisch, mit kunstvollen Gravuren versehen, dominierte die Szenerie, während schwere, dunkelrote Vorhänge das fahle Mondlicht von den hohen Fenstern fernhielten. Die Standuhr in der Ecke tickte beharrlich, ihr leises, gleichmäßiges Geräusch trug eine fast bedrohliche Ruhe in sich.
Artur saß kerzengerade hinter dem Schreibtisch, eine Gestalt wie aus Stein gemeißelt. Seine Finger glitten langsam über die vergoldeten Ecken eines Aktenordners, den ein Handlanger vor wenigen Minuten auf den Tisch gelegt hatte. Seine Augen – stechend, wie kalte Klingen – fixierten die Dokumente, doch sein Geist war bei den unausgesprochenen Wahrheiten, die zwischen den Zeilen lauerten. Namen, Zahlen, Bewegungen. Es war eine Art Schachbrett, und Artur war der Spieler, der die Züge anderer stets mehrere Schritte im Voraus kalkulierte.
„Und du bist dir sicher, dass sie angenommen hat?“ fragte er, seine Stimme leise, aber schneidend, wie ein Tropfen Säure auf angespanntem Glas.
Sergei, ein Mann von mittlerer Größe in einem makellos geschnittenen Anzug, stand unsicher vor dem Schreibtisch. Seine Schultern hingen leicht eingefallen, und das leichte Zittern seiner Hände, die er hinter seinem Rücken verschränkte, konnte er kaum verbergen. Der Schweiß auf seiner Stirn glänzte trotz der kühlen, unbewegten Luft des Raumes.
„Ja, Boss,“ antwortete er hastig, ohne den Mut zu finden, Arturs Blick zu erwidern. „Kira Walz hat den Auftrag akzeptiert. Sie wird Morozov ins Visier nehmen.“
Artur lehnte sich langsam zurück, ein Hauch von Zufriedenheit auf seinen schmalen Lippen. Seine Hände falteten sich vor ihm, die Finger wie ein Netz verschränkt, das sich um seine Ziele legte.
„Gut. Morozov ist ein gefährlicher Mann.“ Seine Stimme war ruhig, doch die Betonung auf „gefährlich“ schnitt durch die Luft wie das Wispern eines Messers. Sergei wechselte unruhig von einem Fuß auf den anderen. „Er glaubt, er könne die alten Wege der Bratva brechen, dass seine sogenannten Reformen ihn unantastbar machen. Aber er irrt sich. Diese Arroganz... sie wird sein Untergang sein.“
Sergei nickte stumm, während Artur fortfuhr, seine Worte mit der Präzision eines Chirurgen zu setzen.
„Kira ist das perfekte Werkzeug. Tödlich, präzise und – am wichtigsten – sie weiß es nicht besser. Ihr kleiner Mordauftrag wird unser Problem lösen. Sollte sie Erfolg haben, ist Morozov Geschichte. Sollte sie scheitern... nun, dann haben wir eine nützliche Marionette geopfert, ohne dass es uns belastet.“
Ein kaltes Lächeln zog sich über Arturs Lippen, als sein Blick Sergei wieder fixierte. „Aber... es gibt eine Frage, die mich beschäftigt. Was weiß Morozov bereits? Hat er etwas geahnt? Oder hat er dich ausgehorcht?“ Seine Augen bohrten sich in die von Sergei, wie ein Raubtier, das die Schwächen seiner Beute aufspürt.
„Nein, Boss!“ Sergeis Stimme überschlug sich beinahe, als er die Hände hob, um seine Unschuld zu beteuern. „Ich habe alles genau nach Ihren Anweisungen gemacht. Er weiß nichts von unserem Plan.“
Artur ließ den Mann zappeln, bevor er langsam nickte. Der Genuss, seine Untergebenen in Unsicherheit zu halten, war ihm nicht fremd. Macht war ein scharfes Schwert, und er wusste, es präzise zu führen.
„Das hoffe ich. Denn eins musst du verstehen, Sergei.“ Seine Stimme wurde weicher, was die bedrohliche Kante nur noch verstärkte. „Wenn dies scheitert – wegen deiner Nachlässigkeit –, werde ich dafür sorgen, dass dein Versagen zum Lehrstück für alle wird.“
Die Worte hingen schwer im Raum, und Sergei schluckte hörbar. „Verstanden, Boss,“ stammelte er und verneigte sich leicht, ehe Artur ihn mit einer beiläufigen Geste entließ. Sergei war nichts weiter als ein Schachbauer, nützlich – aber entbehrlich.
Kaum war die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen, griff Artur nach einem Kristallglas auf dem Schreibtisch, halb gefüllt mit goldenem Whisky. Er wirbelte die Flüssigkeit langsam, die Schlieren zeichneten unruhige Muster, die von seinen Gedanken widerhallten. Der Name Morozov hallte in seinem Geist wider, ein unerbittliches Echo. Ein junger Aufsteiger, der glaubte, Traditionen seien Hindernisse, keine Fundamente. Artur hatte zu viele Jahre und zu viel Blut investiert, um seine Machtbasis zu riskieren.
Ein Klopfen an der Tür holte ihn aus seinen Überlegungen. „Herein,“ befahl er knapp.
Ein weiterer Mann trat ein, die Anspannung in seinen Zügen kaum verborgen. Eine Akte klemmte unter seinem Arm, und sein Blick verriet, dass die überbrachte Nachricht Unruhe bringen würde.
„Boss, wir haben neue Informationen über Morozovs Aktivitäten.“ Seine Stimme war angespannt, und er zögerte kurz, bevor er weitersprach. „Er hat sich mit einer Gruppe Geschäftsleuten in einem seiner Clubs getroffen. Es war eine geschlossene Veranstaltung, aber unsere Quelle sagt, dass er über... neue Allianzen gesprochen hat.“
„Neue Allianzen?“ Arturs Augenbrauen zogen sich zusammen. Das Glas in seiner Hand hielt inne, während sein Blick den Mann durchbohrte. „Mit wem?“
Der Informant zögerte merklich, bevor er antwortete. „Es scheint, dass er Unterstützung von Mikael Petrov sucht.“
Das Glas in Arturs Hand erstarrte, der Whisky darin schimmerte wie flüssiges Gold unter dem schweren Licht des Kronleuchters. Petrov. Ein Rivale, ein Mann, der in den Schatten lauerte, stets bereit, Schwächen auszunutzen. Ein Bündnis zwischen Morozov und Petrov? Das war mehr als ein Schlag ins Gesicht; es drohte, die Balance der Bratva zu zerstören.
„Petrov,“ murmelte Artur, seine Stimme ein leises Grollen. Seine Gedanken rasten. Ein solches Bündnis war eine Bedrohung – aber vielleicht auch eine Gelegenheit. Wenn er es rechtzeitig unterbrechen oder selbst manipulieren konnte, könnte er das Blatt wenden.
„Sorge dafür, dass wir über unsere üblichen Kanäle ein Treffen mit Petrov arrangieren. Und sei diskret.“ Seine Worte waren messerscharf, und der Mann nickte schnell, bevor er den Raum verließ.
Artur nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas, die Wärme des Whiskys kontrastierte mit der Kälte seiner Gedanken. Die Welt war ein Schachbrett, und er der Großmeister. Kira Walz? Sie war die Schachfigur, die er auf das Schlachtfeld gesetzt hatte. Ein Bauer, der einen König in Schach setzen konnte – wenn die Züge richtig gesetzt waren.
Die Standuhr tickte leise weiter, doch Artur hörte sie kaum. Er lehnte sich zurück, die Schatten des Raumes schienen ihn zu umhüllen, während er die nächsten Züge plante. Danilas Träume waren zerbrechlich, und Artur war bereit, sie zu zerschmettern.
In der Ferne hallte ein leises Donnern, das durch die dicken Mauern drang. Artur lächelte kalt. Der Sturm hatte gerade erst begonnen.