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Liebesromane an einem Ort

reader.chapterProlog: Die Übergabe


Sophia Bergmann

Die Sonne war längst hinter den bayerischen Alpen versunken, als Sophia Bergmann mit gemischten Gefühlen vor der prächtigen Villa am Starnberger See stand. Ihre Hände umfassten fest einen schmalen, versiegelten Umschlag. Das Wachssiegel auf dem Dokument trug diskret das Logo der Luxus Concierge München – ein Symbol für Diskretion und Exklusivität, aber auch für Geheimnisse, die besser unberührt blieben. Sie erinnerte sich an die Worte ihres Chefs: „Unter keinen Umständen öffnen. Es geht um Leben und Tod.“ Diese kryptische Anweisung hatte sie während der ganzen Fahrt begleitet, doch sie hatte sie tief in sich verdrängt – bis jetzt.

Die Villa war ein Meisterwerk der Architektur. Ihre klassische Fassade, durch die akribisch angeordneten Außenlichter in warmes Gold getaucht, spiegelte sich im dunklen Wasser des Sees wider. Ein Gefühl der Kälte durchzog Sophia, das weniger mit der abendlichen Brise zu tun hatte, sondern vielmehr mit der drückenden Stille, die über dem Anwesen lag. Der Kontrast zwischen der makellosen Schönheit und der ungreifbaren Bedrohung war greifbar. Sie straffte die Schultern, atmete tief ein und ging mit entschlossenen Schritten auf den imposanten Eingang zu.

„Frau Bergmann?“ Ein Mann in einem makellosen schwarzen Anzug öffnete die Tür, bevor sie klopfen konnte. Seine Stimme war höflich, doch in seinen Augen lag eine scharfe Präzision, die sie unruhig machte. Sie hatte das Gefühl, dass er sie nicht einfach ansah – er durchdrang sie, analysierte jedes Detail.

„Ja, ich bin hier, um eine Lieferung zu überbringen“, antwortete sie kühl, wie sie es bei solchen Aufträgen gewohnt war. Ihr Job verlangte professionellen Abstand, doch die unheimliche Atmosphäre ließ ihre Worte in der Luft hängen – als würden sie von der Stille des Hauses verschluckt.

„Bitte folgen Sie mir.“ Der Mann wandte sich ab, ohne eine Einladung abzuwarten, und führte sie durch einen langen Flur. Der Marmorboden glänzte kalt im Licht der Wandlampen, ihre Absätze klangen leise auf dem Stein, wie ein vorsichtiger Puls, der die Stille nicht durchbrechen wollte. Der Duft von poliertem Holz und teurem Parfüm lag schwer in der Luft. Gemälde, vermutlich Originale, die Millionen wert waren, hingen an den hohen Wänden. Sophia war kein Fremder in dieser Welt des Überflusses, doch hier spürte sie, dass hinter der makellosen Oberfläche eine tiefere, dunklere Schicht brodelte. Sie unterdrückte den Knoten, der sich in ihrem Magen bildete.

Sie wurden in einen Salon geführt. Die riesigen Fenster boten einen atemberaubenden Blick auf den still daliegenden Starnberger See – eine Szenerie, die fast zu perfekt war, um echt zu sein. Doch Sophias Blick blieb an der Figur in der Mitte des Raumes hängen. Auf einem Sessel aus tiefem, weinrotem Samt saß ein Mann. Er war groß, schlank, und sein Anzug war so präzise geschnitten, dass er wie eine zweite Haut wirkte. Seine Augen, dunkel und durchdringend, musterten Sophia mit einer Intensität, die sie unwillkürlich dazu brachte, tiefer durchzuatmen.

„Frau Bergmann“, begrüßte er sie mit einem leichten Lächeln, das weder freundlich noch feindselig war – es war einfach da, kalt und schwer zu deuten. „Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Fahrt.“

„Angenehm genug.“ Sophia erwiderte seinen Blick, doch sie spürte, wie ihre innere Ruhe ins Wanken geriet. Es war, als ob die Luft zwischen ihnen eine unsichtbare Spannung trug, die ihr den Atem rauben wollte. Sie zog den Umschlag aus ihrer Tasche und reichte ihn ihm. „Hier ist das Dokument, wie besprochen.“

Der Mann nahm es entgegen, ohne die Augen von ihr abzuwenden. Er musterte das Siegel flüchtig, bevor er es auf den Tisch neben sich legte. Er öffnete es nicht, sondern ließ seine Finger für einen Moment auf dem Papier verweilen, als würde er abwägen, ob er ihm vertrauen konnte.

„Interessant“, murmelte er schließlich. „Wissen Sie, Frau Bergmann, es ist erstaunlich, wie viel Macht in einem so kleinen Stück Papier liegen kann.“ Seine Worte trugen eine Schwere, die Sophia zwang, unwillkürlich zu schlucken. „Haben Sie jemals darüber nachgedacht, was es bedeutet, solche Botschaften zu überbringen, ohne zu wissen, was sie enthalten?“

Sophia hielt inne. Sie war es gewohnt, keine Fragen zu stellen. Diskretion war das Fundament ihres Berufs. Doch seine Worte – und der Ton, in dem er sie sprach – ließen eine leise Unruhe in ihr aufsteigen, die sie nur schwer unter Kontrolle halten konnte.

„Meine Arbeit erfordert keine Neugierde, sondern Vertrauen“, antwortete sie schließlich. Ihr Ton war neutral, doch das Zittern in ihrer Stimme wollte sich nicht ganz verdrängen lassen. „Ich bin lediglich die Überbringerin.“

Er lachte leise, ein Geräusch, das mehr wie ein kurzes Aufblitzen von Amüsement klang als echtes Vergnügen. „Eine kluge Antwort. Ich frage mich nur, ob Sie sich dessen so sicher wären, wenn Sie mehr wüssten.“

Sophia spürte, wie sich ihre Nackenhaare aufstellten. Es war keine Drohung, nichts Offensichtliches – und doch fühlte es sich an wie eine unsichtbare Klinge, die knapp unter ihrer Haut schwebte. Sie zog die Schultern zurück und nickte knapp. „Wenn das alles ist, werde ich mich verabschieden.“

Der Mann stand auf, eine Bewegung, die so geschmeidig war, dass sie beinahe unnatürlich wirkte. Seine Haltung war entspannt, doch jede Faser seines Körpers strahlte Kontrolle aus. „Vielen Dank, Frau Bergmann. Ihre Dienste werden sehr geschätzt.“

Sophia verließ den Salon, ihre Schritte so gleichmäßig, wie sie es erzwingen konnte. Sie wollte keine Schwäche zeigen, keine Unsicherheit. Der Mann in Schwarz führte sie zurück zur Tür. Als sie hinaustrat, umfing sie die kühle Nachtluft wie eine Erlösung – ein Moment, in dem sie endlich den Griff dieser bedrückenden Atmosphäre hinter sich lassen wollte.

Doch ihre Erleichterung hielt nicht lange an. Kaum hatte sie den Kiesweg zur Einfahrt betreten, spürte sie, wie jemand sie beobachtete. Sie drehte sich um, doch der Eingang der Villa war bereits geschlossen, und die Fenster reflektierten nur die Dunkelheit.

Dann, aus dem Augenwinkel, bemerkte sie eine Bewegung. Auf der anderen Seite des Gartens, hinter einer Reihe hoher Büsche, stand jemand. Der Umriss eines Mannes war kaum zu erkennen, doch es war eindeutig: Er sah direkt zu ihr. Sophia hielt unwillkürlich den Atem an, ihr Herzschlag beschleunigte sich. Ihre Finger zitterten leicht, während sie ihre Tasche enger an sich presste.

Der Mann regte sich nicht, als wolle er sie absichtlich beobachten, ohne sich zu verstecken. Und doch konnte sie nicht erkennen, wer er war. Eine Sekunde, vielleicht zwei, vergingen, bevor Sophia entschied, dass es keine gute Idee war, länger stehen zu bleiben. Sie wandte sich um und ging schnellen Schrittes zu ihrem Auto, das in der Einfahrt parkte.

Hinter ihr blieb alles still. Keine Schritte, kein Geräusch. Doch das Gefühl, beobachtet zu werden, ließ sie nicht los. Als sie die Autotür aufschloss, zitterten ihre Hände merklich.

„Ruhe bewahren“, flüsterte sie zu sich selbst, bevor sie den Motor startete und den Wagen in Richtung München lenkte. Doch so sehr sie es auch versuchte, die Präsenz dieses unbekannten Mannes verfolgte sie wie ein Schatten. Sophia wusste, dass dieser Auftrag anders war als alle anderen zuvor. Und sie konnte die leise Stimme in ihrem Inneren nicht zum Schweigen bringen, die ihr sagte, dass sie gerade die Grenze zu etwas Ungewissem überschritten hatte – etwas, das sie nicht mehr vollständig kontrollieren konnte.