App herunterladen

Liebesromane an einem Ort

reader.chapterDas verschwundene Büro


Sophia Bergmann

Die schweren Glastüren des Gebäudes „Luxus Concierge München“ schimmerten im trüben Licht des frühen Nachmittags. Sophia zog ihre Jacke enger um sich, als ein beißender Windstoß durch die schmale Seitenstraße fegte. Normalerweise hätte sie diesen Ort mit einer gewissen Selbstsicherheit betreten – die vertrauten Abläufe, die präzise Choreografie ihres Arbeitsalltags hatten etwas Beruhigendes. Doch an diesem Tag war etwas anders. Ein nervöses Flattern in ihrer Brust begleitete jeden ihrer Schritte, und eine leise, aber beharrliche Stimme in ihrem Kopf fragte, ob sie sich etwas eingebildet hatte.

Sie schob die Tür auf und trat ein. Der Empfangsbereich war leer. Das leise Summen der Klimaanlage hallte durch die sterile, minimalistische Lobby, ohne dass ein anderer Laut die Stille durchbrach. Sophia runzelte die Stirn. Die Rezeptionistin, die sonst immer mit tadellosem Lächeln zur Stelle war, fehlte. Der Tresen war unbesetzt, die makellose Marmoroberfläche unberührt.

Die Leere war verstörend. Sie hielt inne und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Die vertrauten Sandelholzaromen, die sonst diskret durch die Räume schwebten, waren verschwunden. Ein dumpfes Echo ihrer Absätze begleitete sie, als sie weiterging.

„Hallo? Ist jemand da?“ Ihre Stimme klang gedämpft in der Leere, fehl am Platz.

Keine Antwort. Sophia trat näher an den Empfangstresen heran. Eine Lampe, die normalerweise auf die geschmackvoll arrangierten Broschüren der Agentur gerichtet war, blieb dunkel. Die Broschüren selbst waren verschwunden, ebenso wie die Visitenkartenhalter und andere Details, die dem Raum sonst Leben einhauchten. Es war, als hätte jemand jede Spur von Existenz gelöscht.

Ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken. Sie trat durch die Sicherheitstür, die in den Flur zu den Büros führte. Auch hier war niemand. Die Wände, sonst bedeckt mit gerahmten Kunstwerken und Zertifikaten, waren kahl. Die Bürozimmer entlang des Gangs standen offen, und ein Blick hinein bestätigte, was sie befürchtet hatte: Die Schreibtische waren leergeräumt, die Computer verschwunden.

Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie griff mechanisch zu ihrem Handy und wählte die Nummer von Martin Becker, ihrem Vorgesetzten. Die Leitung war tot. Sie versuchte eine weitere Nummer, diesmal die ihrer Kollegin Lisa, doch auch diese Verbindung schlug fehl.

„Das kann nicht wahr sein“, murmelte sie, während sich das Unbehagen in ihrem Magen zu einem Knoten verdichtete. Sie stützte sich kurz an der Wand ab, schloss die Augen und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Was war das hier? Ein schlechter Scherz? Ein Experiment? Ihre analytische Natur suchte nach einer logischen Erklärung, doch keine Theorie konnte die Leere und die unheilvolle Stille um sie herum erklären.

Weiter hinten im Flur hörte sie plötzlich ein Geräusch – das leise Quietschen einer Tür. Sophia erstarrte, ihre Sinne auf höchste Alarmbereitschaft gestellt. Sie drehte sich um und bemerkte einen Schatten, der über die Wand huschte.

„Herr Becker?“ Ihre Stimme zitterte leicht. Zögernd ging sie auf die Quelle des Geräuschs zu, bereit, jederzeit die Flucht zu ergreifen.

Als sie um die Ecke bog, stand tatsächlich Martin Becker vor ihr. Der normalerweise so selbstsichere Mann wirkte zerzaust und fahrig. Sein Anzug war zerknittert, und dunkle Schatten unter seinen Augen ließen ihn älter erscheinen, als sie ihn in Erinnerung hatte.

„Sophia?“ Sein Ton war überrascht, beinahe erschrocken.

„Herr Becker, was geht hier vor? Wo ist die gesamte Belegschaft? Warum ist das Büro leergeräumt?“ Ihre Fragen überschlugen sich.

Er zuckte zusammen und wich ihrem Blick aus. „Ich… ich weiß es nicht genau. Ich habe heute Morgen eine Nachricht erhalten, dass… dass die Firma geschlossen wird. Ich dachte, du wüsstest Bescheid.“

Seine Worte ergaben keinen Sinn. „Wie bitte? Das ist unmöglich. Ich war letzte Nacht noch im Einsatz. Niemand hat mir etwas gesagt.“

Beckers Gesicht verzog sich, als würde er innerlich kämpfen. „Sophia, ich… ich bin mir sicher, dass es einen Grund gibt. Vielleicht ist es… vorübergehend?“ Seine Stimme klang unsicher, und das Zittern in seinen Händen entging ihr nicht.

„Warum wirkt es dann so, als hätte es diese Agentur nie gegeben?“ Sie deutete mit ausgestrecktem Arm auf die leeren Büros. „Das hier sieht nicht nach ‚vorübergehend‘ aus.“

Becker wich einen Schritt zurück, sein Blick huschte nervös zur Tür hinter ihm. „Ich… ich kann nicht bleiben. Es ist besser, wenn du auch gehst. Du solltest dich nicht mehr mit der Agentur in Verbindung bringen.“

„Was soll das heißen?“ Sophia packte ihn am Arm, ihr Griff fest. „Sie wissen mehr, als Sie zugeben. Was ist passiert? Hat das mit meinem Auftrag gestern zu tun?“

Becker starrte sie mit panischem Ausdruck an, als hätte sie das größte Tabu angesprochen. „Ich… ich kann nichts dazu sagen. Es ist sicherer, wenn du dich raushältst.“

„Sicherer? Für wen? Für Sie?“ Sie bohrte weiter, versuchte, die wachsende Panik in ihrem Inneren zu unterdrücken.

„Für dich.“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Er senkte den Blick und schüttelte schwach den Kopf, bevor er sich losriss und hastig aus dem Gebäude verschwand. Seine Schritte hallten durch den Flur, bis die Geräusche abrupt verstummten. Sophia blieb zurück, ihre Gedanken rasten.

Sie wollte ihm nachlaufen, doch ein plötzlicher Instinkt hielt sie zurück. Stattdessen kehrte sie in den Empfangsbereich zurück. Sie griff nach ihrer Tasche, als ihr Blick durch die Glasfront fiel.

Da war er wieder. Der Mann. Der gleiche dunkle Mantel, die gleiche Haltung. Mitten auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand er und starrte direkt zu ihr hinüber. Ihre graublauen Augen trafen seine stahlblauen – ein kalter, intensiver Blick, der tief in ihre Seele zu blicken schien.

Ihr Atem stockte. Ihre Finger verkrampften sich um den Griff ihrer Tasche, während ein Schauer über ihren Rücken jagte. Sie zwang sich, nicht zu blinzeln, nicht wegzusehen, doch ihre Knie fühlten sich plötzlich weich an.

Wer war dieser Mann? Und warum hatte sie das Gefühl, er wüsste etwas über sie, das sie selbst nicht verstand?

In ihrem Kopf wiederholte sich Beckers verwirrte Warnung. Ein Teil von ihr wollte sofort aus diesem Albtraum heraus, doch ein anderer Teil, der unnachgiebige, wollte Antworten.

Schließlich sammelte sie ihre Kraft und stürmte aus dem Gebäude, den Blick fest auf den Fremden gerichtet. Doch kaum war sie draußen, war er verschwunden.

Sophia drehte sich hektisch um, suchte die Straßen und Gassen ab, doch von ihm fehlte jede Spur. Es war, als wäre er nie da gewesen.

Mit einem tiefen Atemzug zwang sie sich zur Ruhe. Doch ihr Instinkt schrie sie an, dass die Situation weit gefährlicher war, als sie bisher geahnt hatte. Sie musste herausfinden, was hier vorging – und zwar schnell.

Sophia zog ihr Handy aus der Tasche, doch bevor sie eine Nummer wählen konnte, hielt sie inne. Ein unheilvolles Gefühl durchströmte sie, als sie begriff, dass sie niemanden hatte, den sie anrufen konnte. Niemand, dem sie wirklich vertrauen konnte.

Mit eiligen Schritten verließ sie die Seitenstraße, die sie plötzlich wie eine Falle empfand. Die Kälte des Herbstnachmittags biss in ihre Haut, doch sie bemerkte es kaum. Während sie die Münchner Innenstadt durchquerte, formte sich nur ein klarer Gedanke in ihrem Kopf: Sie musste Antworten finden, bevor die Schatten, die sie umgaben, sie ganz verschlangen.