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Liebesromane an einem Ort

reader.chapterProlog: Laras letzte Nacht


Lara Sommer

Die Dunkelheit der Krypta schien lebendig zu sein, ein stiller, atmender Zuschauer ihres Eindringens. Jede Kerze, die ihren mühsam erkämpften Lichtschein auf die feuchten Steinwände warf, schien die Schatten nur dichter zu machen. Lara Sommer spürte, wie ihr Herz in ihrer Brust raste, während sie vorsichtig den nächsten Schritt setzte. Ihre leisen Atemzüge hallten wie ein Echo durch den kalten Raum, und sie zwang sich, nicht zurückzuschauen. Das Gefühl von Gefahr lag wie ein stählernes Band um ihre Kehle, doch sie ließ sich nicht beirren.

Die Krypta der Falkenburgs war kein Ort, den jemand freiwillig betrat. Doch Lara war nicht irgendjemand. Ihre Entschlossenheit hatte sie hierhergebracht, an diesen verborgenen Ort, um Beweise zu finden. Beweise, die der Welt zeigen würden, wer Konstantin von Falkenburg wirklich war. Ihr Leben hatte sie seit jenem Anruf vor drei Monaten verändert, als sie erfahren hatte, dass Konstantin tiefer in die Machenschaften verstrickt war, die ihren eigenen beruflichen Untergang herbeigeführt hatten. Und Hanna... Lara schloss für einen Moment die Augen. Ihre Freundin würde das verstehen. Sie musste. "Ich tue das auch für dich", flüsterte sie leise, kaum hörbar, bevor sie sich wieder auf ihre Mission fokussierte.

Ihre Finger glitten über die glatte Oberfläche der Sarkophage, die in zwei langen Reihen standen, als sie sich durch den Raum bewegte. Überall waren Symbole eingraviert – Wappen, lateinische Inschriften, die von einer Macht zeugten, die Jahrhunderte überdauert hatte. Einige Wörter entzifferte sie flüchtig: *Virtus et Silentium* – Tugend und Schweigen. Die Familie Falkenburg hatte diese Tugend nie gekannt, dachte sie bitter.

Ein leises Klirren ließ sie innehalten. Ihre Hand verharrte über einem der Sarkophage, ihr Blick sprang nervös in die Dunkelheit. War da jemand? Sie lauschte angestrengt. Nichts. Nur das leise Tropfen von Wasser in der Ferne. Ihre Kehle wurde trocken, doch sie schüttelte den Kopf und zwang sich, weiterzugehen. Sie durfte sich jetzt nicht von ihrer Angst überwältigen lassen.

Hinter einem der Sarkophage entdeckte sie schließlich, was sie gesucht hatte: ein fast unsichtbarer Spalt in der Wand. Ihre Fingerspitzen glitten über die Kante, bis sie den Mechanismus fand, der den verborgenen Raum öffnen würde. Mit einem sanften Druck löste sich die Steinplatte fast lautlos und gab den Blick auf einen engen, verborgenen Durchgang frei.

Der Raum dahinter war kleiner, gedrungener und noch bedrückender als die Krypta selbst. Doch an den Wänden hingen Pergamente, alte Dokumente, die Geschichten von Intrigen und Verschwörungen erzählten. Auf einem massiven Tisch lagen Bündel von Briefen, versiegelt mit dem Wappen der Falkenburgs, und eine kunstvoll gearbeitete Truhe aus dunklem Holz zog sofort Laras Aufmerksamkeit auf sich. Sie kniete sich hin, ihre Finger zitterten, als sie den Verschluss der Truhe löste.

Als sie den Deckel hob, stockte ihr der Atem. Sie fand Papiere, die detaillierte Transaktionen und Abmachungen dokumentierten, die Konstantins Aufstieg erklärten – Bestechung, Erpressung, Manipulation. Sie enthielten Namen, Daten, alles, was sie brauchte, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Doch etwas anderes ließ ihr Blut in ihren Adern gefrieren: ein Porträt. Darauf war Konstantin, jung, fast noch ein Kind, neben einem Mann, dessen Gesicht sie kannte. Es war der Mann, der Jahre zuvor ihre eigene Karriere zerstört hatte, der sie bedroht hatte, als sie versuchte, seine Machenschaften aufzudecken. Die Erkenntnis schnitt durch sie wie ein Messer. All dies war miteinander verbunden.

Die Angst kroch wie eine Kältewelle durch ihren Körper, doch noch stärker war das Feuer ihrer Entschlossenheit. Sie sammelte hastig die wichtigsten Dokumente zusammen. Ihre Hände zitterten, als sie einen letzten Blick auf die Truhe warf. Nicht alles konnte sie mitnehmen, aber genug, um ihre Mission zu erfüllen.

Plötzlich erstarrte sie. Ein kaum wahrnehmbares Geräusch – ein Atemzug, ein Schritt? Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Langsam hob sie den Kopf, und dann hörte sie die Stimme.

„Du hättest nicht hierherkommen sollen.“

Die kalte, leise Stimme ließ sie wie angewurzelt stehenbleiben. Konstantin von Falkenburg stand im Türrahmen, eine silberne Leuchte in der Hand, die sein Gesicht in ein unheimliches Licht tauchte. Seine goldene Maske fehlte, und zum ersten Mal sah Lara die kühlen, berechnenden Züge des Mannes, der die Fäden in dieser Welt zog. Er trug einen perfekt sitzenden schwarzen Anzug, dessen Einfachheit seine Macht nur noch mehr betonte.

„Wusste ich doch, dass du zu neugierig bist, liebe Lara.“ Seine Stimme hatte einen samtigen Unterton, der Gefahr versprach. Er trat näher, jeden seiner Schritte genau abgewogen. „Aber ich hätte nicht gedacht, dass du so weit gehen würdest.“

Lara kämpfte, ihre Fassung zu bewahren. Sie richtete sich auf und funkelte ihn an. Ihre Stimme war fester, als sie sich fühlte. „Was auch immer du zu verbergen versuchst, Konstantin, es wird nicht funktionieren. Die Welt wird erfahren, was du getan hast.“

Er blieb vor ihr stehen, so nah, dass Lara seinen teuren, würzigen Duft wahrnehmen konnte. Seine eisblauen Augen hielten ihren Blick gefangen. „Die Welt?“ Er lachte leise, fast spöttisch. „Du glaubst wirklich, dass die ‚Welt‘ sich für die Wahrheit interessiert? Die Menschen wollen Illusionen, keine Wahrheiten. Und ich... bin ein Meister der Illusion.“

Lara spürte, wie ihr Herz raste, doch sie zwang sich, ihren Blick nicht abzuwenden. „Vielleicht. Aber ich werde sie dazu bringen, hinzusehen.“

„Oh, Lara...“, sagte Konstantin und ließ seinen Blick kurz über die Dokumente auf dem Tisch wandern. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, das nichts Menschliches hatte. „Du bist klug, das gebe ich zu. Aber nicht klug genug, um dieses Spiel zu gewinnen.“

Seine Worte klangen fast wie eine Herausforderung, und für einen Moment glaubte sie, in seinen Augen eine Spur von Bedauern zu sehen, so flüchtig, dass sie sich nicht sicher war, ob sie es sich nur eingebildet hatte.

Bevor sie antworten konnte, schnippte Konstantin mit den Fingern. Aus den Schatten traten zwei maskierte Gestalten hervor, ihre Bewegungen leise, präzise und unheimlich synchron. Ihre Masken waren schwarz, schlicht, doch mit gravierten Symbolen, die an die Krypta erinnerten. Ein eisiger Schauer lief Lara über den Rücken.

„Nein!“ Ihre Stimme schnitt durch die bedrückende Stille, aber die Gestalten kamen näher. Ihr Blick huschte panisch zu den Dokumenten auf dem Boden, doch sie wusste, dass keine Zeit blieb, sie zu sichern.

„Du hättest wirklich nicht hierherkommen sollen“, wiederholte Konstantin, diesmal fast bedauernd. Er wandte sich um und ging zur Tür. „Sie gehört euch.“

Laras Schreie hallten durch die Krypta, durchdrangen die Dunkelheit, bis sie abrupt verstummten.

Die Krypta war wieder still. Konstantin stand für einen Moment im Türrahmen, blickte ohne Regung zurück in den Raum. Seine Hand glitt an den goldenen Rand seiner Maske, die er langsam wieder über sein Gesicht zog. Dann drehte er sich um und verschwand in den Schatten, während das Echo von Laras Schrei noch in der Luft lag.