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Liebesromane an einem Ort

reader.chapterDie Nachricht


Hanna Winter

Das Rauschen des Regens, der unablässig gegen das Fenster schlug, war das Einzige, das die Stille in meiner kleinen Berliner Wohnung durchbrach. Der graue Nachmittag schien sich in die Wände meiner Gedanken zu schleichen, wo der Schatten von Lara allgegenwärtig war. Ein Jahr war vergangen, seit sie verschwunden war, und in dieser Zeit hatte ich keine Antworten gefunden. Nur Schuld. Eine Schuld, die mich wie ein bleiernes Gewicht durch jeden Tag trug, mich daran hinderte, auch nur einen Moment lang Frieden zu finden.

Ich saß am Küchentisch, eine Tasse schwarzen Kaffees in der Hand. Der bittere Geschmack schien die Müdigkeit in mir nicht zu vertreiben, sondern sie nur zu verstärken. Die Wohnung, sonst mein Rückzugsort, fühlte sich leer und trostlos an. Staub hatte sich in den Ecken gesammelt, und ein zerknittertes Poster von einer alten Ausstellung hing halbherzig an der Wand – ein stilles Zeugnis meiner Vernachlässigung. Der Küchentisch war bedeckt mit einem chaotischen Stapel aus vergilbten Notizen, Zeitungsausschnitten und alten Fotos. Bilder von Lara. Ich redete mir ein, dass dies alles Teil meines Versuchs sei, sie zu finden, die Wahrheit über ihr Verschwinden herauszufinden. Doch tief in mir wusste ich, dass es nicht mehr als ein schwaches Alibi war, ein Vorwand, um mich nicht der Leere in meinem Inneren stellen zu müssen.

Ein plötzlicher Klingelton an der Tür riss mich aus meinen Gedanken. Für einen Moment blieb ich regungslos sitzen, irritiert. Ich erwartete niemanden, und doch löste das Geräusch in mir eine unerklärliche Unruhe aus – wie ein kalter Schauer, der über meine Haut lief. Schließlich stellte ich die Kaffeetasse ab und ging zur Tür.

Als ich sie öffnete, war niemand zu sehen. Nur ein kleines Paket lag auf der Fußmatte, in schlichtes braunes Papier gehüllt. Es trug weder Namen noch Absender. Ich hob es auf und schloss hastig die Tür, mein Herzschlag beschleunigte sich unwillkürlich. Zurück am Küchentisch betrachtete ich das Paket misstrauisch. Kein Absender, kein Hinweis, wer es geschickt haben könnte. Ein Teil von mir wollte es einfach ignorieren, doch meine Finger öffneten es schon, bevor ich bewusst eine Entscheidung traf.

Das Band löste sich leicht, das braune Papier enthüllte eine schlichte schwarze Schachtel. Meine Hände zitterten leicht, als ich den Deckel hob. Darin lag eine goldene Maske, kunstvoll gearbeitet und so lebendig funkelnd, dass sie das spärliche Licht meiner Wohnung zu verschlucken schien.

Mein Atem stockte. Sie war identisch mit jener Maske, die Lara kurz vor ihrem Verschwinden erhalten hatte.

Unter der Maske lag ein Zettel, klein und unscheinbar, doch die Worte darauf brannten sich in mein Bewusstsein ein: ein Datum, ein Ort.

Mein Herz raste jetzt so laut, dass ich sicher war, es würde die Stille der Wohnung durchbrechen. Ich ließ mich in den Stuhl zurückfallen, die Maske in meiner Hand. Die glatten Kanten schienen in meinen Fingern zu kalt, zu fremd. Mein Geist taumelte unter der Flut von Gedanken und Erinnerungen, die die Maske ausgelöst hatte. War Lara ebenso überwältigt gewesen, als sie ihre eigene Maske erhalten hatte? Hatte sie gespürt, dass ihr Schicksal mit diesem einen Moment unwiderruflich besiegelt war?

Unwillkürlich drängte sich mir unser letztes Gespräch in den Sinn. Es war eine kalte Novembernacht gewesen, und wir hatten uns in einem Café getroffen. Lara hatte dieses Funkeln in den Augen gehabt, das sie immer hatte, wenn sie sich einer neuen Sache vollkommen verschrieben hatte. Sie sprach von einem Event, das sie organisierte, von einer Welt voller Geheimnisse, die sie zu verstehen hoffte.

„Es ist wie ein anderes Universum“, hatte sie gesagt, und ihre Stimme hatte gehaucht vor Aufregung geklungen. „Ein Ort voller Macht und Möglichkeiten. Du würdest es faszinierend finden, Hanna.“

Ich hatte sie gewarnt. Ihr gesagt, sie solle vorsichtig sein. Dass diese Welt gefährlich war. Aber sie hatte nur gelächelt.

„Du überdenkst alles viel zu sehr“, hatte sie leise gelacht. „Manchmal muss man einfach springen.“

Und sie war gesprungen. Ich hatte sie nicht aufgehalten.

Die Maske schien plötzlich schwer in meiner Hand zu werden, als könnte sie all die Schuld wiegen, die ich ein Jahr lang versucht hatte, zu verdrängen. Mein Atem stockte, als ich mich unwillkürlich fragte, was Lara durchgemacht hatte, bevor sie verschwand. Hatte sie Angst gehabt? Hatte sie nach mir gerufen?

Ich zwang mich, die Maske zurück in die Schachtel zu legen, doch ihre Präsenz ließ sich nicht abschütteln. Die goldenen Verzierungen, die sie umgaben, wirkten wie ein Hohn – ein Symbol für eine Welt, die ich nicht verstand, die Lara verschluckt hatte und jetzt nach mir griff.

Ich griff nach meinem Laptop und tippte den Namen des Ortes auf dem Zettel in die Suchleiste. Ein Schloss. Ein altes Anwesen in Bayern. Die Familie Falkenburg. Und Konstantin von Falkenburg. Sein Name war wie ein dunkler Schatten, der über all meinen Recherchen über Laras Verschwinden hing. Ich wusste nicht viel über ihn, aber ich hatte genug Hinweise, um zu ahnen, dass er mit all dem zu tun hatte.

Das Datum auf dem Zettel war nur wenige Wochen entfernt. Ich schloss die Augen und versuchte, meinen Atem zu kontrollieren. Alles in mir schrie, dass ich mich fernhalten sollte, dass ich mich nicht in diese Welt begeben durfte. Doch ich wusste, dass ich keine Wahl hatte. Die Wahrheit über Lara lag dort, und ich musste sie finden – um jeden Preis.

Ich schob den Laptop beiseite und griff erneut nach der Maske. Ihr kühler Glanz spiegelte mein Gesicht wider, aber es war verzerrt, fremd, wie das Gesicht einer anderen Person. Vielleicht war das auch besser so. Wenn ich mich auf diese Reise begab, würde ich jemand anderes sein müssen – jemand Stärkeres, jemand, der keine Angst hatte.

Ein leises Geräusch ließ mich abrupt innehalten. Ein Rascheln, kaum hörbar, irgendwo in der Wohnung. Ich hielt den Atem an, lauschte. Nichts. Durch das Fenster hörte ich nur den Regen, der gegen die Scheibe schlug. Doch das Gefühl lauerte noch immer in mir – das unheimliche Gefühl, dass ich nicht allein war.

Ich legte die Maske zurück, schloss die Schachtel und stand auf, um die Tür zu verriegeln. Als ich zurück zum Tisch ging, lag der Zettel noch vor mir. Der Karneval erwartete mich. Und ich konnte den Gedanken nicht abschütteln, dass ich schon längst Teil seines Spiels geworden war.