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Liebesromane an einem Ort

Kapitel 1Prolog: Schatten in der Dunkelheit


Hanna

Ein pulsierendes, goldenes Licht flackerte in den Falten der Dunkelheit, als Hanna sich durch die endlosen Gänge bewegte. Der Boden, ein schimmernder Teppich aus Schwarz und Gold, schien unter ihren Schritten zu atmen, als ob die Welt selbst lebendig und von ihrer Anwesenheit erfasst wäre. Überall um sie herum erklang eine Musik, die zugleich wunderschön und verstörend war – keine Melodie, sondern ein Flüstern, ein hypnotisches Murmeln, das aus den Schatten selbst zu kommen schien und ihre Sinne betörte. Der Duft von Wachs und Rauch lag in der Luft, begleitet von einem schwachen Eisenaroma, das an getrocknetes Blut erinnerte.

Hanna konnte sich nicht erinnern, wie sie hierhergekommen war. Die Wände des Labyrinths, prunkvoll und mit filigranen Mustern aus Gold und Onyx verziert, ragten hoch empor und schienen sich in endlosen Windungen fortzusetzen. Sie hörte Lachen – hohl, weit entfernt – und spürte die Augen fremder Gestalten auf sich, obwohl sie niemanden sehen konnte. Die Luft war schwer, wie von einem unsichtbaren Druck erfüllt, und ein Gefühl von Dringlichkeit drängte sie vorwärts, als ob etwas unsagbar Wichtiges auf sie wartete. Oder jagte.

Dann, aus einer Biegung vor ihr, tauchten sie auf: die Maskierten. Männer und Frauen in prachtvollen Gewändern, ihre Bewegungen anmutig, doch seltsam mechanisch, wie Marionetten an unsichtbaren Fäden. Ihre Masken veränderten sich unaufhörlich – kunstvolle Tiergesichter wandelten sich in groteske Fratzen, prunkvolles Gold wurde zu erschreckendem Schwarz. Es war, als ob die Masken lebten, mit einer eigenen, unberechenbaren Energie. Ihre Augen blieben verborgen, und doch fühlte Hanna ihre Blicke – brennend, forschend, durchdringend. Die Maskierten bewegten sich in einem langsamen, hypnotischen Tanz, ihre Schritte im Einklang mit dem Flüstern der Musik.

„Hanna…,“ flüsterte eine Stimme aus der Ferne. Es war kaum mehr als ein Hauch, doch es ließ sie innehalten. Ihr Name hallte durch die Gänge, wurde von den Wänden zurückgeworfen und vervielfacht. Sie drehte sich um, glaubte für einen Moment, jemand würde hinter ihr stehen. Doch es war niemand da – nur der Schatten, der sich an die Wände klammerte wie ein lebendiges Wesen, das sie umklammern wollte.

Sie wollte antworten, wollte ihre Fragen in die Dunkelheit hinausrufen, doch ihre Stimme war fort, wie versiegelt. Stattdessen zwang sie sich weiterzugehen, ihre schweren Atemzüge in ihrer Brust wie ein unnachgiebiger Taktgeber. In der Ferne, gerade noch sichtbar, zeichnete sich eine Tür ab, golden und mit einem labyrinthartigen Muster verziert, das sie unerklärlich vertraut fand. Sie hob die Hand, zögerte. Das Muster auf der Tür ähnelte dem Symbol ihres abgelegten Amuletts. Ein Schauer durchlief sie, ließ ihre Finger zittern. Das Amulett, das sie so lange mit sich getragen hatte, lag nun weit entfernt in der realen Welt… und doch schien es hierher zu gehören, zu dieser Tür, zu diesem Ort.

Die Tür öffnete sich von selbst, lautlos und schwerelos, als habe sie auf Hannas Ankunft gewartet.

Ein glitzernder Saal erstreckte sich vor ihr, schimmernd wie ein Traum aus Gold und Schatten. Die Decke war ein endloser Himmel aus Spiegeln, in dem die Tänzer reflektiert wurden, ihre Bewegungen verzerrt und vervielfacht zu einem unentwirrbaren Kaleidoskop. Dennoch schienen die Spiegel mehr als bloße Reflexionen zu zeigen – in ihren Tiefen tanzten Schatten, die nicht zu den Gästen gehörten. Hanna trat hinein, ihre Schritte schwer und zögerlich, als ob die Luft selbst sie zurückhalten wollte. Das Flüstern schwoll an, Worte wurden greifbar: „Wahrheit… Täuschung… Vergangenheit… Zukunft…“ Die Stimmen sickerten durch ihre Gedanken, verschmolzen miteinander, bis sie kaum noch unterscheiden konnte, ob sie von außen kamen oder aus ihrem Inneren stammten.

Die Tänzer hielten inne. Ihre maskierten Gesichter drehten sich synchron zu Hanna, als ob sie von einer unsichtbaren Macht gelenkt wurden. Ihre Blicke – oder das, was sich hinter den Masken verbarg – fixierten sie. Hannas Herz raste, doch sie zwang sich, weiterzugehen, getrieben von einer Mischung aus Angst und Entschlossenheit. Sie spürte, dass sie hier war, um eine Wahrheit zu finden – oder ihr zu entkommen.

Am Ende des Saals stand ein großer Spiegel, dessen Rahmen kunstvoll gestaltet war, mit verschlungenen, goldenen Ornamenten, die zu pulsieren schienen, als lebten sie. Der Spiegel zog sie an, wie ein Magnet, der ihre Gedanken und ihren Körper beherrschte. Sie ging darauf zu, Schritt für Schritt, unfähig, den Blick abzuwenden. Die Luft wurde schwerer, und die Stimmen verwandelten sich in ein Crescendo, eine Welle von Klang und Bedeutung, die sie zu überrollen drohte.

Als sie vor dem Spiegel stand, sah sie ihr eigenes Spiegelbild, doch etwas daran stimmte nicht. Ihr Gesicht war nicht ihr eigenes – zumindest nicht vollständig. Ihre Augen wirkten fremder, schärfer, und zur Hälfte war ihr Gesicht von einer goldenen Maske bedeckt, deren Oberfläche in flüssigen Wellen zu glühen schien. Das Spiegelbild hob die Hand, doch es spiegelte ihre Bewegung nicht exakt wider. Es war unabhängig, lebendig.

„Wer bist du?“ flüsterte Hanna, und diesmal fand ihre Stimme Gehör. Die Worte fühlten sich an, als zerrissen sie die Dichte der Luft um sie herum. Das Spiegelbild verzog die Lippen zu einem Lächeln – vertraut und doch fremd, als ob es zu jemandem gehörte, den sie kannte und gleichzeitig fürchtete.

„Ich bin das, was du verbergen willst,“ antwortete die Spiegelgestalt, ihre Stimme wie ein Echo, das in alle Richtungen vibrierte. „Ich bin das, was du nicht sehen willst. Die Wahrheit hinter der Maske.“

Hannas Atem stockte. Die Worte sickerten in ihren Geist wie Gift, schürten eine Angst, die sie nicht benennen konnte. „Warum trägst du diese Maske?“ fragte sie, ihre Stimme klein, beinahe unhörbar. Doch die Gestalt antwortete nicht. Sie hob die Hand, und Hanna fühlte sich gezwungen, dasselbe zu tun. Ihre Finger berührten die kalte, glatte Oberfläche des Spiegels, und im selben Moment brach er auseinander.

Ein ohrenbetäubender Knall hallte durch den Saal. Splitter aus goldenem Glas flogen in alle Richtungen, ein Sturm aus Licht und Schatten. Hanna stolperte zurück, schützte ihr Gesicht mit den Armen, während die Maskierten in einem einzigen, unmenschlichen Schrei ausbrachen. Ihre Stimmen waren verzerrt, entmenschlicht, und der gesamte Saal begann zu beben, als ob die Realität selbst Risse bekam.

Hanna stürzte zu Boden, spürte den kalten Stein unter ihren Händen. Die Welt um sie herum zerfiel, die Wände lösten sich in Dunkelheit auf, und die Stimmen wurden zu einem einzigen, fordernden Chor.

Dann öffnete sie die Augen.

Sie lag in ihrem Bett, ihr Körper klamm vor Schweiß, ihr Atem schwer. Das Zimmer war still, doch die Dunkelheit schien dichter, schwerer als sonst. Neben ihr auf dem kleinen Tisch lag das Amulett ihrer Mutter, das goldene Symbol darauf kalt und reglos, und doch schien es sie anzustarren. Ihr Blick blieb daran haften, während in ihrem Geist die Worte nachhallten.

„Die Wahrheit hinter der Maske…,“ flüsterte sie, und ihre Stimme klang fremd in der bedrückenden Stille. „Die Vergangenheit… kommt zurück.“