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Liebesromane an einem Ort

Kapitel 2Die Unbekannte


Elias

Das Licht der flackernden Öllampe warf zitternde Schatten an die rauen Holzwände der Jagdhütte. Das Knarren der Dielen unter Elias’ Schritten mischte sich mit dem Heulen des Windes, der durch die Ritzen der Fensterläden pfiff. Der Geruch von Rauch und modrigem Holz hing schwer in der Luft, doch Elias nahm ihn kaum wahr. Seine gesamte Aufmerksamkeit lag auf der Frau, die regungslos auf dem provisorischen Bett aus zerfetzten Decken lag.

Ihr blasses Gesicht hob sich wie ein geisterhafter Kontrast von den dunklen, verklebten Haarsträhnen ab, die feucht ihre Stirn bedeckten. Blut hatte ihre Kleidung durchtränkt, und die Wunden, die er bisher gesehen hatte, waren tief und zahlreich – fast so, als habe jemand sie absichtlich dort hinterlassen, als wäre sie ein Rätsel, das die Zeit nicht lösen wollte. Und doch: Irgendetwas hielt sie am Leben. Ein flüchtiger Funke, der sich Elias’ Verstand entzog, doch seine Aufmerksamkeit gefangen hielt.

Er ließ sich auf den wackeligen Stuhl neben dem Bett nieder, die Lampe in Reichweite. Seine Finger griffen nach dem alten Verbandskasten, den er aus einem Schrank gezogen hatte. Die Kanten der Metallkiste waren rostig, und ihr Inhalt spärlich – einige Mullbinden, eine kleine Flasche desinfizierenden Alkohols, eine Nadel und ein Zwirn, dessen Tage längst gezählt schienen. Elias biss sich auf die Innenseite seiner Wange. Es würde ausreichen müssen. Es musste.

Sein Blick fiel erneut auf die Symbole, die in ihre Haut geritzt worden waren. Präzise, ritualistisch. Das verschmierte Blut hatte die Muster teilweise verdeckt, aber das schwache Leuchten blieb, als würde es sich weigern, gänzlich zu verschwinden. Ein eisiger Schauer fuhr ihm über den Rücken. Diese Zeichen waren ihm nicht fremd. Sie hatten ihn in einer Erinnerung berührt, die halb in seinem Verstand schwebte, verzerrt und unfassbar, wie ein Schatten, der sich jeder greifbaren Form entzog. Etwas in den Worten seines Vaters, den alten Jagdbüchern … Aber was? Was bedeuteten sie?

Elias schüttelte den Kopf und zwang sich zurück in die Gegenwart. Jetzt war nicht die Zeit für Rätsel. Mit geübten Bewegungen griff er nach einem Stück Stoff, tränkte es in Alkohol und begann, die Wunden zu reinigen. Die Frau zuckte nicht einmal, als die kalte Flüssigkeit ihre verletzte Haut berührte. War das ein gutes Zeichen? Oder ein schlechtes?

„Wer bist du?“ murmelte Elias, seine Stimme leise, fast verloren im Heulen des Windes. Die Frage hallte in der Stille der Hütte wider und fühlte sich dennoch falsch an, als hätte er sie nicht nur ihr gestellt, sondern auch sich selbst. „Und warum fühlt es sich an, als wäre es ein Fehler, dir zu helfen?“ Er biss die Zähne zusammen, hielt inne, als ob er auf eine Antwort wartete, die natürlich nicht kam. Das einzige Geräusch war das leise Kratzen des Windes an den Fenstern.

Seine Hand zögerte, als sein Blick auf die dünne Silberkette um ihren Hals fiel. Der Anhänger daran war ungewöhnlich, ein Kreis mit fein gravierten Runen, die seinem Blick widerstanden wie eine verschlossene Tür. Eine Tür, die er öffnen sollte – oder vermeiden musste? Er streckte die Hand aus, hielt inne, als ein Gefühl von Eindringlichkeit ihn erfasste. Sie war bewusstlos, verwundbar. Es fühlte sich falsch an. Mit einem knappen Atemzug zog er die Hand zurück und wandte sich wieder den Wunden zu.

Das Blut klebte an seinen Fingern, drang unter seine Nägel. Elias versuchte, seine Gedanken zu ordnen, doch die Worte, die sie zuvor gemurmelt hatte, ließen ihn nicht los: „... nicht ... laufen ... sie kommen ...“ Wer? Wer waren „sie“? Und warum brachte das Unausgesprochene eine Kälte mit sich, die nicht vom Wind stammen konnte?

Die letzten Wunden waren gereinigt. Elias griff nach der Nadel und dem Faden. Seine Hände zitterten leicht, und er zwang sich, sie zu beruhigen. Er hatte schon unzählige Male genäht, unzählige Wunden versorgt. Doch das hier war anders. Es war nicht nur ihr Leben, das er in den Händen hielt. Diese Symbole, ihre Gegenwart … sie fühlten sich an wie die Spitze eines Messers, das sich an seinen inneren Mauern entlangschob. Stich für Stich arbeitete er, jeder ein leises Echo seines eigenen inneren Kampfes.

Als er fertig war und die Nadel beiseitelegte, trat er zurück. Ihre Atmung war flach, aber regelmäßig. Er hatte getan, was er konnte. Der Rest lag nicht mehr in seiner Hand.

Ein plötzlicher Drang ließ ihn zum Bücherregal in der Ecke der Hütte blicken. Die verstaubten Jagdnotizen, handgeschriebenen Aufzeichnungen seines Vaters – sie hatten ihn durch so viele Kapitel seines Lebens begleitet. Und sie bargen Antworten, die er jetzt verzweifelt suchte. Seine Augen blieben an einem bestimmten Buch hängen, einem alten, ledergebundenen Werk, das er seit Jahren nicht mehr angerührt hatte.

Elias zog das Buch hervor. Die Seiten knisterten, als er es aufschlug und durch die vergilbten Blätter blätterte. Zeichnungen, alte Symbole, handschriftliche Kommentare – alles wirkte so vertraut und doch so fremd. Schließlich stieß er auf eine Abbildung, die ihn stocken ließ. Dort waren sie: dieselben Symbole, die in ihre Haut und die des Werwolfs geritzt waren. Seine Finger fuhren über die brüchige Seite, als könnte er so die Bedeutung erfassen.

Unter der Zeichnung standen Worte, die sein Vater geschrieben hatte: „Zeichen des Bundes. Ursprung unbekannt. Gefahr einer Verbindung – Mensch und Wer.“

Sein Atem stockte. „Verbindung?“ Das Wort fühlte sich an wie ein Flüstern in einem leeren Raum, voller unausgesprochener Schrecken. Die Gefahr, die darin mitschwang – hatte sein Vater dies gewusst? Wie weit reichten die Geheimnisse, die in diesen Büchern schlummerten?

Elias wollte weiterlesen, doch ein schwaches Stöhnen lenkte ihn ab. Die Frau bewegte sich leicht, ihre Augenlider flackerten. Sie war dabei, aufzuwachen.

Er legte das Buch vorsichtig zur Seite, richtete seinen Blick wieder auf sie. Seine Haltung wurde angespannt, wie die eines Mannes, der sich auf einen unausweichlichen Kampf vorbereitet. Seine Hand glitt fast unbewusst zu dem Messer an seinem Gürtel. Wer war sie? Und was würde sie ihm sagen, wenn sie die Augen öffnete?

Die Luft in der Hütte schien stillzustehen, das Flackern der Lampe war das einzige Licht, während Elias auf das Erwachen der Frau wartete. Irgendwo in der Ferne knackte ein Ast, und der Wind heulte wie eine stumme Warnung.