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Liebesromane an einem Ort

Kapitel 3Erwachen


Mila

Der erste Gedanke, der Mila durch den Kopf schoss, war Schmerz. Ein dumpfer, allumfassender Schmerz, der ihren gesamten Körper durchzog und sie fast wieder in die Bewusstlosigkeit zurückzog. Doch etwas hielt sie wach – eine Präsenz, die sie wie ein Schatten umgab und nicht weichen wollte. Ihre Lider waren schwer, als wären sie mit Steinen beschwert, doch ein flackerndes Licht und das Geräusch von knarrenden Dielen zwangen sie, ihre Umgebung wahrzunehmen.

Langsam öffnete sie die Augen. Der Raum war klein, mit Wänden aus Holz, die das Alter und die Vernachlässigung des Ortes verrieten. Der Geruch von modrigem Holz und Rauch lag in der Luft, und das leise Pfeifen des Windes, der durch die Ritzen zog, verstärkte das Gefühl von Isolation. Das Schimmern einer alten Öllampe warf unruhige Schatten über die Wände, die wie lebendig wirkten.

Mila versuchte, sich zu bewegen, doch ihre Glieder fühlten sich bleischwer an, und ihr Körper protestierte bei jedem noch so kleinen Versuch, die Position zu ändern. Erst jetzt bemerkte sie die warmen Mullbinden, die fest um ihre Verletzungen gewickelt waren, und das dumpfe Pochen ihrer Wunden, das wie ein Taktgeber durch die Stille hallte. Irgendjemand hatte sie versorgt.

Ein Geräusch ließ ihren Kopf ruckartig in die Richtung drehen. Sie unterdrückte ein Keuchen, als der Schmerz durch ihren Hals schoss. Am anderen Ende des Raums stand ein Mann. Der Schatten seiner breiten Schultern fiel auf das Bücherregal vor ihm, während er sich leicht vorbeugte und ein altes, ledergebundenes Buch durchblätterte.

Mila hielt den Atem an. Die dunklen Haare des Mannes waren zerzaust, und ein Bart umrahmte sein scharf geschnittenes Gesicht. In seiner Haltung lag etwas Unnahbares, fast wie eine Mauer, die jeden von ihm fernhielt. Doch es war nicht nur seine Statur, die sie alarmierte. Es war die Art, wie er sich bewegte – kontrolliert, fast lautlos, wie jemand, der gelernt hatte, mit der Dunkelheit zu verschmelzen.

Das war ein Jäger.

Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. Angst schoss durch ihren Körper und riss sie endgültig aus der Benommenheit. Ihre Atmung beschleunigte sich, und sie musste sich zwingen, leise zu bleiben. Wenn er wusste, wer sie war... was sie war... Sie schluckte schwer. Instinktiv hob sie ihre zitternden Hände zu ihrem Hals, um die vertraute Kette zu ertasten, die sie immer trug. Zum Glück war sie noch da. Der kleine Anhänger, verborgen unter ihrer Kleidung, schien fast wie ein Schutzschild gegen die drohende Gefahr.

Sie durfte nicht in Panik geraten. Nicht jetzt.

Mila schloss die Augen und zwang sich, ihre Gedanken zu ordnen. Bilder blitzten in ihrem Geist auf – Lucians höhnisches Lächeln, die unbarmherzigen Blicke der Rudelmitglieder, ihre verzweifelte Flucht durch den Wald. Sie spürte den harten Boden unter ihren Füßen, hörte das Heulen der Verfolger hinter sich. Sie musste überleben. Doch jetzt war sie hier, in einer Hütte, mit einem Jäger.

Ein leises Stöhnen entwich ihrer Kehle, absichtlich etwas lauter, als es sein müsste. Der Mann fuhr herum, das Buch in seiner Hand kurz vergessen. Seine graublauen Augen – kalt und unergründlich wie ein Sturm über dem Meer – musterten sie mit der Präzision eines Jägers. Mila zwang sich, den Blick zu erwidern, obwohl jede Faser ihres Körpers sie dazu drängte, sich abzuwenden.

„Du bist wach,“ sagte er, seine Stimme tief und ruhig, mit einem Hauch von Abwehr.

Mila nickte schwach, mehr aus Reflex als aus Überzeugung. Ihre Kehle war trocken, und die Worte kamen nur schwer über ihre Lippen. „Wo... bin ich?“

„In Sicherheit,“ war seine knappe Antwort. Doch sein durchdringender Blick ließ keinen Zweifel daran, dass er mehr wissen wollte.

Mila hielt inne, suchte nach einer Antwort, die glaubwürdig klang. „Ich... ich erinnere mich an nichts.“ Sie ließ den Blick flackernd durch den Raum wandern, als würde sie tatsächlich versuchen, sich zu orientieren. „Ich weiß nicht, was passiert ist.“

Der Mann trat näher, seine Schritte langsam und schwer, wie die eines Raubtiers, das sein Opfer einschätzte. „Nichts?“ fragte er, seine Stimme leise und voller Misstrauen.

Mila schüttelte den Kopf, wobei sie ihren ausdruckslosen Blick aufrechtzuerhalten versuchte. „Ich... weiß nur, dass ich wegrennen wollte. Vor etwas. Jemandem.“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, und sie hoffte, dass ihre Verletzlichkeit ihn ablenken würde.

Einen Moment lang sagte er nichts. Seine Augen musterten sie eingehend, suchten nach einem Hinweis, einer Lüge. Mila spürte, wie ihre Nervosität wuchs, doch sie zwang sich, ruhig zu bleiben. Schließlich trat er zurück und ließ sich auf den wackeligen Stuhl neben dem Bett sinken.

„Du bist schwer verletzt,“ stellte er fest, fast so, als würde er für sich selbst sprechen. „Wer auch immer dich verfolgt hat, hat dich nicht ohne Grund am Leben gelassen.“

Mila schluckte schwer. Sie wollte ihn nicht an ihre Verfolger erinnern, doch die Bemerkung machte ihr klar, dass er bereits Verdacht schöpfte. Sie musste die Kontrolle über das Gespräch übernehmen.

„Wer bist du?“ fragte sie, wobei sie ihre Stimme so sanft wie möglich hielt.

Er zögerte, schien die Frage abzuwägen, bevor er antwortete. „Elias.“

Das Wort klang wie ein Hieb in der Stille. Es war ein Name, und doch verriet es nichts. Keine Absicht, keine Wahrheit.

Mila ließ ihren Blick kurz auf seine Hände sinken. Sie waren ruhig, aber die Art, wie sie sich an den Stuhl lehnten, zeigte eine unterschwellige Spannung, als wäre er bereit, jederzeit zu handeln.

„Danke,“ sagte sie schließlich, obwohl das Wort wie ein bitterer Nachgeschmack auf ihrer Zunge lag. Sie wusste nicht, ob sie ihm wirklich dankbar war – dieser Mann war ein Jäger, und er hätte sie ohne zu zögern getötet, wenn er die Wahrheit kannte.

Elias sagte nichts. Stattdessen musterte er sie erneut, als würde er versuchen, durch ihre verletzte Fassade zu sehen. Es fühlte sich unerträglich an, wie ein scharfer Dolch, der ihre Haut durchbohrte und ihre innersten Geheimnisse freilegen wollte.

Mila senkte den Blick und tat, als sei sie erschöpft, doch in ihrem Inneren brodelte die Panik. Sie musste stark bleiben. Wenn sie hier einen Fehler machte, würde er alles erfahren – und sie würde nicht überleben.

Noch während der Wind draußen stärker heulte und die Schatten an den Wänden tanzten, wusste sie eines sicher: Sie musste einen Weg finden, diesen Mann von ihrem wahren Wesen fernzuhalten. Elias war nicht einfach nur ein Jäger. Er war gefährlich. Und er war vielleicht ihre einzige Hoffnung.