Kapitel 2 — Unwillkommene Verbindungen
Emilia Brandt
Der Morgen war grau und kühl, als Emilia Brandt den Hauptbahnhof von München betrat. Der scharfe Geruch von Kaffee und Brötchen aus den umliegenden Bäckereien mischte sich mit der stickigen Luft der unterirdischen Gänge. Sie zog den Reißverschluss ihrer schwarzen Lederjacke etwas höher, während feine Regentropfen, die noch an den Schultern hafteten, allmählich verdunsteten. Es war ein Wetter, das den Übergang von Sommer zu Herbst spürbar machte, kalt und unbarmherzig wie die Aufgabe, die vor ihr lag. Der Aktenordner in ihrer Tasche fühlte sich schwer an, ein physisches Gewicht, das ihre innere Anspannung spiegelte.
Als sie die Rolltreppe emporstieg, bemerkte sie die Bewegung um sich herum – Menschen, die in Eile an ihr vorbeiströmten, Blicke, die sie nur flüchtig streiften, und doch fühlte sie sich beobachtet. Ihre Augen wanderten instinktiv zu den Überwachungskameras, die die Ecken der Halle überwachten. Ein Teil von ihr war sich sicher, dass niemand hier auf sie achtete. Und dennoch – in ihrem Beruf war Paranoia mehr Tugend als Schwäche.
Draußen erwartete sie ein Taxi, dessen glatte, schwarze Karosserie sich im Regen spiegelte. Sie öffnete die Tür, ließ sich auf den Rücksitz fallen und wandte sich an den Fahrer. „Falkenberg Quantum Systems, bitte“, sagte sie knapp. Der Fahrer warf ihr einen kurzen Blick durch den Rückspiegel zu, nickte und startete den Wagen.
Die Straßen von München zogen in trübem Grau an ihr vorbei, doch Emilias Gedanken waren woanders. Lucian Falkenberg. Der Name hatte sich in ihr Bewusstsein gebrannt, seitdem sie die Signatur in den Daten entdeckt hatte. Er war nicht nur ein Tech-Visionär, sondern ein Mann, der gleichermaßen bewundert und gefürchtet wurde. Seine Firma war ein Synonym für Innovation – und Macht. Der Cyberangriff, der sie hierhergeführt hatte, trug die unverkennbare Handschrift von jemandem mit seinen Ressourcen und seiner Reichweite. Und wenn die Analyse ihrer Daten korrekt war, war Falkenberg Quantum Systems der Ursprung des Angriffs.
Als das Taxi vor dem Hauptquartier hielt, sah Emilia durch das Fenster und betrachtete den gewaltigen Wolkenkratzer, der aus schwarzem Glas und Stahl bestand. Die nassen Straßen und das schwache Licht des grauen Himmels spiegelten sich in der Fassade des Gebäudes, das wie eine Festung wirkte. Ein Gefühl von Unbehagen kroch in ihr hoch, die Art von Unbehagen, die sie in den letzten Jahren gelernt hatte zu ignorieren. Sie atmete tief durch, bezahlte den Fahrer und trat hinaus in den Regen.
Die Lobby des Gebäudes war eine Synthese aus kühlem Minimalismus und technischer Perfektion. Die Böden glänzten wie poliertes Silber, und holographische Displays an den Wänden präsentierten futuristische Animationen. Sie registrierte mehrere Sicherheitskameras, die unauffällig, aber dominant die Ecken einnahmen, Erkennungsgeräte, die das Kommen und Gehen der Besucher scannten, und Scanner, die leise summten, während Angestellte durch die Drehkreuze schritten. Kontrolliert. Überall. Falkenberg Quantum Systems machte keinen Hehl daraus, dass hier jede Bewegung überwacht wurde.
Ein junger Mann am Empfang – makelloser Anzug, makellos einstudiertes Lächeln – wandte sich an sie. „Willkommen bei Falkenberg Quantum Systems. Wie kann ich Ihnen helfen?“ Seine Stimme klang modulationslos, fast maschinell.
„Emilia Brandt, Bundesnachrichtendienst. Ich habe einen Termin mit Herrn Falkenberg.“ Ihre Stimme war ruhig, präzise, aber die subtile Betonung ihres Titels war beabsichtigt. Ein leiser Hinweis auf Autorität.
„Einen Moment, bitte.“ Der Empfangsmitarbeiter tippte mit professioneller Effizienz auf seiner Tastatur und blickte dann auf. „Es tut mir leid, Frau Brandt, aber Herr Falkenberg musste Ihren Termin leider absagen. Eine kurzfristige Änderung seines Zeitplans.“ Seine Stimme blieb höflich, doch Emilia bemerkte die leichte Spannung in seiner Haltung – die Art von Spannung, die Menschen zeigten, wenn sie wussten, dass die nächste Reaktion unangenehm sein könnte.
„Das ist inakzeptabel.“ Ihre Worte waren kühl und schneidend. „Ich bin hier wegen einer dringenden Angelegenheit, die seine persönliche Aufmerksamkeit erfordert.“
„Wenn Sie wünschen, kann ich Sie mit—“
„Das wird nicht nötig sein.“ Sie unterbrach ihn, ihre Stimme so scharf wie ein Skalpell. Doch bevor sie sich abwenden konnte, vibrierte ihr Handy in ihrer Tasche. Sie zögerte, spürte das Gewicht des Moments, bevor sie den Anruf annahm.
„Frau Brandt.“ Die Stimme war tief, glatt und von einer kühlen Autorität durchzogen, die nur Lucian Falkenberg haben konnte.
„Herr Falkenberg“, antwortete sie, ihre Haltung straff. Die Ruhe, die sie ausstrahlte, war das Ergebnis jahrelanger Disziplin, doch innerlich war sie angespannt. Es war, als hätte er auf diesen Moment gewartet.
„Ich habe gehört, dass mein Termin mit Ihnen abgesagt wurde“, fuhr er fort, ein Hauch von Ironie in seiner Stimme. „Das ist natürlich bedauerlich. Vielleicht können wir das auf andere Weise lösen.“
„Ich bin hier, um Antworten zu finden“, entgegnete sie, scharf und direkt. „Ihre Namenssignatur wurde in einem Angriff identifiziert, der globale Infrastrukturen gefährdet hat. Ich denke, Sie verstehen die Dringlichkeit.“
„Oh, durchaus“, erwiderte er, und seine Stimme trug einen Anflug von Amüsement. „Warum kommen Sie nicht in mein Büro? Ich lasse jemanden kommen, um Sie abzuholen.“
Bevor sie antworten konnte, hatte er aufgelegt. Sekunden später trat ein schlanker Mann in einem perfekt sitzenden Anzug an sie heran. „Herr Falkenberg erwartet Sie. Bitte folgen Sie mir.“
Der Aufzug, der sie in die oberen Etagen brachte, war ein Raum aus Spiegeln und Chrom. Während er lautlos emporstieg, beobachtete Emilia ihr eigenes Spiegelbild. Ihre grünen Augen trafen die ihren, doch hinter der Fassade lag Anspannung. Die Möglichkeit, dass Lucian Falkenberg für den Angriff verantwortlich war, oder schlimmer noch, dass er mehr wusste, als er zugab, lastete schwer auf ihr.
Als die Türen sich öffneten, trat sie in einen Raum, der wie die Manifestation von Macht wirkte. Das Büro war lichtdurchflutet, mit bodentiefen Fenstern, die einen Blick auf die regennasse Skyline Münchens boten. Alles hier – vom dunklen Holz des Schreibtisches bis zur präzisen Anordnung der minimalistischen Möbel – war darauf ausgelegt, Eindruck zu machen.
Lucian Falkenberg stand auf und kam auf sie zu. Er war groß, sein Gang geschmeidig, fast wie der eines Raubtiers. Sein Anzug schien wie eine zweite Haut, und seine eisblauen Augen fixierten sie mit solch einer Intensität, dass sie das Gefühl hatte, jede Faser ihrer Gedanken läge offen vor ihm.
„Frau Brandt“, sagte er, seine Stimme warm und einladend. „Es ist mir eine Ehre, Sie zu empfangen.“
„Ich bevorzuge es zu stehen.“ Ihre Stimme war kühl, ihre Haltung unnachgiebig.
„Wie Sie wünschen.“ Er lächelte leicht, ließ sich jedoch selbst in seinen Stuhl sinken. „Nun, lassen Sie uns sehen, wie ich Ihnen helfen kann.“
Emilia verschwendete keine Zeit. „Die Quantenverschlüsselungstechnologie, die in dem Angriff verwendet wurde, stammt von Ihrem Unternehmen. Wie erklären Sie sich das?“
Lucian lehnte sich zurück und verschränkte die Finger. „Das ist eine ernste Anschuldigung. Ich versichere Ihnen, dass Falkenberg Quantum Systems keinerlei Verbindungen zu solchen Aktivitäten hat.“
„Das ist keine Antwort.“ Ihre Worte waren scharf.
„Vielleicht nicht die Antwort, die Sie hören wollen.“ Er hielt ihren Blick, seine Stimme ruhig, doch Emilia spürte das Gewicht hinter seinen Worten. „Aber ich bin daran interessiert, Ihnen zu helfen.“ Er griff in eine Schublade und legte ein elegantes Datenmodul auf den Tisch. „Das hier könnte Ihnen nützlich sein.“
„Was ist das?“ Ihre Stimme war misstrauisch.
„Nennen wir es einen Vertrauensvorschuss.“ Sein Lächeln war undurchschaubar. „Aber ich rate Ihnen, vorsichtig zu sein. Vertrauen kann gefährlich sein.“
Sie nahm das Modul, fühlte das kühle Metall in ihrer Hand. „Ich werde herausfinden, was Sie verbergen.“
„Das hoffe ich.“ Sein Ton ließ offen, ob er das als Drohung oder Einladung meinte.
Als sie das Büro verließ, war das Gewicht des Moduls in ihrer Tasche wie eine stille Drohung. Lucian Falkenberg war gefährlich – und dieses Spiel hatte gerade erst begonnen.