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Liebesromane an einem Ort

Kapitel 3Flüstern im Geheimgarten


Elisabeth von Lichtenfels

Der Morgen begann mit einer klaren, kühlen Herbstsonne, deren Licht die Rosen im Garten des Schlosses in ein goldenes Leuchten tauchte. Elisabeth war früh erwacht, ihre Gedanken ein Strudel aus Strategien, Sorgen und der unvermeidlichen Maskerade des Hoflebens. Schlaf war kaum ein Trost gewesen, doch sie schob die Müdigkeit beiseite. Heute würde sie die Dynamik des Hofes erkunden – ein Schlangennest, das sie durchschauen musste.

Anna half ihr in ein schlichtes, aber elegantes Kleid aus dunkelgrünem Samt. Der hohe Spitzenkragen und die dezente Stickerei am Saum verliehen ihr Würde, ohne sie zu auffällig wirken zu lassen. Elisabeth hatte gelernt, dass Understatement oft mächtiger war als Prunk – ein Prinzip, das sie meisterhaft beherrschte. Als sie durch die Flure des Schlosses schritt, lauschte sie den gedämpften Gesprächen und dem leisen Klirren von Dienern, die Geschirr trugen. Jede Bewegung, jedes Flüstern war ein Puzzlestück, das sie erkennen musste, um die Oberhand zu gewinnen.

In den Gärten angekommen, ließ sie ihre Augen über die akkurat geschnittenen Hecken und die kunstvoll angelegten Blumenbeete schweifen. Die Weitläufigkeit des Anwesens beeindruckte sie, doch es war ein schmaler, kaum sichtbarer Pfad, der ihre Aufmerksamkeit erregte. Er führte abseits der Hauptwege in eine von hohen Hecken umrahmte, stille Enklave. Ein Ort, der aussah, als hätte er Geheimnisse zu erzählen.

Der Geheimgarten war ein stiller, abgeschiedener Ort – eine Oase der Stille inmitten der höfischen Spannung. Das leise Plätschern eines kleinen Brunnens erfüllte die Luft, durchzogen vom Duft der Rosen und Lavendelfelder. Elisabeth ließ ihre Finger über die samtigen Blüten streifen, während ihre Gedanken zurückglitten: an das Gesicht ihres Vaters, blass in den letzten Tagen vor seinem Sturz, und an das Medaillon, das er ihr gegeben hatte. Die Erinnerung war scharf, ein Schmerz, der nie ganz verblasste – und doch klammerte sie sich daran wie an einen Anker, der sie an ihre Mission erinnerte.

Ihre Aufmerksamkeit wurde von einer kleinen Gravur in einer der steinernen Bänke abgelenkt. Symbole, die wie stilisierte Masken wirkten, waren in den Stein gemeißelt – kaum sichtbar, doch sorgfältig gearbeitet. Waren sie dekorativ oder ein Hinweis auf die Vergangenheit dieses Ortes? Die Frage blieb unbeantwortet, denn eine Stimme, tief und ruhig, durchbrach die Stille.

„Ein Ort, der zur Stille einlädt. Aber auch zur Vorsicht.“

Elisabeth zuckte zusammen, ihre Finger schnell von der Gravur zurückgezogen. Sie wandte sich um, ihre Haltung instinktiv gerade, die Hände an den Rocksaum gelegt, um Fassung zu wahren. Ein Mann stand am Eingang des Gartens. Groß und athletisch, mit kurzem, dunkelblondem Haar und Augen, die wie Silber blitzten – wachsam, durchdringend. Sein schlichtes Gewand ließ ihn wie einen Ritter erscheinen, doch seine Bewegungen und seine Präsenz verrieten mehr.

„Seid gegrüßt“, sagte sie höfisch, ihre Stimme ruhig, aber mit einem Hauch von Vorsicht. „Ihr habt mich überrascht.“

Der Mann trat langsam vor, seine Bewegungen geschmeidig wie die eines Raubtiers, das seine Beute abschätzte. „Das war nicht meine Absicht, Mylady“, sagte er mit einem kaum merklichen Lächeln, das so schnell verblasste, wie es gekommen war. „Ich wusste nicht, dass der Garten bereits besucht wird.“

„Es ist ein öffentlicher Garten, oder etwa nicht?“ Elisabeth hielt seinen Blick standhaft, suchte nach Hinweisen in seinen Augen, die ihm mehr entlocken könnten, als seine Worte preisgaben.

„Manche Orte sind offener als andere“, erwiderte er und ließ seinen Blick über die Rosen und den Brunnen gleiten, bevor er zu ihr zurückkehrte. „Doch ich nehme an, Ihr seid erst seit kurzem mit ihm vertraut.“

Elisabeths Augen verengten sich kaum merklich. Dieser Mann war kein gewöhnlicher Ritter. Seine Worte waren zu bedacht, seine Haltung zu kontrolliert. Doch sie ließ sich nichts anmerken. „Ihr scheint Euch besser auszukennen.“

„Man lernt, die stillen Orte zu schätzen, wenn die lauten von Intrigen erfüllt sind“, sagte er, und sein Blick ruhte mit einer Intensität auf ihr, die sie beinahe aus der Fassung gebracht hätte.

„Eine Weisheit, die man am Hof oft verlernt, fürchte ich“, erwiderte sie höfisch, während ihr Verstand fieberhaft arbeitete. Wer war dieser Mann, der so viel wusste und doch so wenig preisgab?

Er neigte leicht den Kopf. „Johann von Waldenberg, Ritter im Dienste des Herzogs.“

Elisabeth nickte, ließ sich jedoch keine Regung anmerken, die ihr Interesse verraten hätte. „Elisabeth von Lichtenfels“, antwortete sie mit gemessener Höflichkeit.

Ein leichtes Zucken umspielte Johann von Waldenbergs Mundwinkel. „Ein Name, der an diesem Hof bereits für Aufsehen sorgt.“

Elisabeth legte den Kopf leicht schräg. „Ihr scheint gut informiert zu sein, Herr von Waldenberg.“

„Ein Ritter sollte wissen, wer in den Kreisen seiner Majestät wandelt.“ Sein Ton war unverbindlich, doch seine grauen Augen erzählten eine andere Geschichte. „Und Ihr Name ist mehr als neu – er ist bedeutungsvoll.“

„Bedeutung bleibt im Auge des Betrachters“, konterte Elisabeth mit einem kühlen Lächeln, das weder Zustimmung noch Ablehnung erkennen ließ.

Ein Moment der Stille entstand, unterbrochen nur vom Plätschern des Brunnens. Elisabeth spürte die Spannung zwischen ihnen, fordernd und doch unausgesprochen. Johann von Waldenberg war ein Mann, den sie weder einschätzen noch ignorieren konnte.

„Ich danke Euch für Eure Gesellschaft, Herr von Waldenberg“, sagte sie schließlich, höflich, aber unmissverständlich. „Doch ich fürchte, ich habe andere Pflichten, die auf mich warten.“

Johann verneigte sich leicht, doch seine Augen blieben auf ihr, wachsam bis zur letzten Sekunde. „Natürlich, Mylady. Es war mir eine Freude.“

Als Elisabeth den Garten verließ, spürte sie seinen Blick, der sie begleitete – eine Präsenz, die sie nicht abschütteln konnte. Doch kaum hatte sie den Hauptgarten erreicht, bemerkte sie einen weiteren Blick.

Margarethe von Hohenstein lehnte an einem Rosenbogen, ihre Haltung lässig, doch ihre Augen funkelten vor Argwohn. Die goldglänzenden Locken der Gräfin fielen makellos über ihre Schultern, und ihr extravagantes Kleid betonte ihre Schönheit auf beinahe provokante Weise.

„Ein interessanter Ort für eine Unterhaltung, Mylady“, sagte Margarethe mit einem süßlichen Lächeln, das jedoch vor Gift triefte.

Elisabeth hielt inne, ihre Fassung unerschütterlich. „Und doch scheint Ihr ebenfalls hier zu verweilen, Gräfin.“

Margarethe lachte leise, ein Klang, der eher eine Warnung als Amusement ausdrückte. „Die Gärten sind für uns alle da, nicht wahr? Aber man muss vorsichtig sein, mit wem man die Stille teilt. Worte haben ihre Art, sich durch die Hecken zu schlängeln.“

„Manchmal tragen Worte weniger Gewicht als die Absichten, die sie formen.“ Elisabeths Stimme war ruhig, aber der scharfe Unterton entging Margarethe nicht.

Die Gräfin trat näher, ihre Schritte geschmeidig wie die einer Jägerin. „Ich hoffe, Ihr fühlt Euch hier bereits wohl, Mylady. Der Hof kann ein gefährlicher Ort sein, wenn man nicht weiß, wem man trauen kann.“

„Eine nützliche Warnung“, erwiderte Elisabeth mit einem höflichen Lächeln. „Doch für den Moment, Gräfin, muss ich mich verabschieden. Die Pflicht ruft.“

Margarethe neigte leicht den Kopf, ein Ausdruck scheinbarer Demut, der jedoch durch ihre blitzenden Augen widerlegt wurde.

Zurück in ihren Gemächern half Anna ihr, den Mantel abzulegen. „Ihr wurdet beobachtet, nicht wahr?“ fragte die Zofe leise.

„Von mehr als einer Person“, antwortete Elisabeth knapp, ihre Gedanken noch immer bei den Ereignissen im Garten.

„Seid wachsam, Mylady“, warnte Anna, ihre Hände flink. „Dieser Ort ist eine Arena. Aber Ihr seid stärker, als sie denken.“

Elisabeth blickte hinaus in die goldene Herbstlandschaft. Ja, sie war stark. Aber sie ahnte, dass die Begegnung im Geheimgarten noch eine tiefere Bedeutung hatte, die sie erst begreifen musste.