App herunterladen

Liebesromane an einem Ort

Kapitel 2Der glanzvolle Ball


Clara von Rheydt

Die Dunkelheit der Nacht hüllte das Schloss Hohenstein in einen Schleier von Geheimnis und Erhabenheit. Die weitläufigen Flügel des Anwesens leuchteten in einem warmen Schein, der aus zahllosen Fenstern drang, und warfen das Licht in die kühle Herbstluft. Clara spürte, wie ihr Herz schneller schlug, während die Kutsche durch den von Fackeln gesäumten Weg auf das prunkvolle Anwesen zufuhr. Die kalte Luft, die durch die schmalen Kutschenspalten drang, schien sich mit ihrer inneren Unruhe zu vermischen. Neben ihr saß Luise, die Hände in ihrem Schoß gefaltet, ihre Lippen zu einem ermutigenden Lächeln geformt. Doch selbst Luise, deren sonst so unerschütterliche Haltung Clara stets Halt gegeben hatte, wirkte heute angespannt.

„Du siehst blendend aus“, sagte Luise schließlich, ihre Stimme weich, aber mit einem Hauch von Dringlichkeit. „Niemand wird heute Abend über etwas anderes sprechen als über deine Rückkehr.“

Clara blickte an sich hinunter. Das leuchtend blaue Kleid, das Luise ihr geliehen hatte und das sie nur widerwillig angenommen hatte, schmiegte sich elegant an ihren Körper. Die schlichten Perlen ihrer Halskette schimmerten dezent im flackernden Licht der Laternen. Doch ihre Handflächen waren feucht, ihre Nerven zum Zerreißen gespannt. Die Eleganz der Kleidung konnte nicht die Unsicherheit verbergen, die wie ein Schatten an ihr haftete. Sie sah sich in Gedanken bereits als Eindringling, ein ungebetener Gast, ein Relikt einer Familie, deren Name einst geachtet worden war und nun nur noch in geflüsterten Gerüchten weiterlebte.

„Ich hoffe, du hast recht“, entgegnete sie schließlich mit einem schwachen Lächeln, das kaum die aufsteigende Panik in ihrer Brust verdecken konnte. Doch in ihrem Inneren formten sich bereits die bekannten Zweifel. War sie wirklich stark genug, sich dem zu stellen? Hatte sie die Kraft, einen Raum voller neugieriger, vielleicht feindseliger Blicke zu überstehen?

Die Kutsche hielt schließlich vor den mächtigen Marmorstufen des Eingangs zum Schloss. Ein Bediensteter in makelloser Livree öffnete die Kutschentür, und Clara zwang sich, tief durchzuatmen, während sie die Kälte der Nacht auf ihrer Haut spürte. Sie trat aus, ihre Finger umklammerten unbewusst den glatten Stoff ihres Kleides. Der Anblick der prunkvollen Türen, die in das Innere des Schlosses führten, schien sie gleichzeitig einzuladen und abzustoßen. Rings um sie herum glitten Kutschen heran, Gäste stiegen aus und wurden von neugierigen Blicken empfangen. Flüstern erhob sich, leise, kaum wahrnehmbar, doch Claras Ohren brannten von der unüberhörbaren Ahnung, dass sie der Mittelpunkt der Gespräche war.

„Lass sie ruhig reden“, flüsterte Luise, als sie eine Hand beruhigend auf Claras Arm legte. „Du bist stärker als sie alle.“

Clara schloss kurz die Augen, um ihre Nerven zu sammeln, und trat dann mit Luise an ihrer Seite die Marmorstufen hinauf. Der Schein der Fackeln tanzte über die Steinwände, und mit jedem Schritt verstärkte sich die Melodie von Geigen und Celli, die aus dem Inneren des Schlosses strömte. Als die Türen sich vor ihnen öffneten, wurde Clara von einer Welle aus Wärme, Licht und Musik empfangen.

Der Ballsaal war ein Meisterwerk aus Glanz und Opulenz. Der riesige Kronleuchter über ihnen schimmerte wie ein Geflecht aus gefrorenem Licht, während die Marmorböden die Schritte der Ankömmlinge sanft reflektierten. Goldene Verzierungen und kunstvolle Gemälde an den Wänden zeigten Szenen alter Schlachten und Familienporträts, darunter eines, das Claras Aufmerksamkeit für einen Moment fesselte: Ein Mann, dessen stechend blaue Augen eine verblüffende Ähnlichkeit mit Alexanders Blick hatten, thronte majestätisch in einem aufwendig gestalteten Sessel. Sie wandte sich ab, bevor ihre Gedanken weiter abdriften konnten, und konzentrierte sich auf die Menge, die sich unmerklich teilte, um Platz zu machen, während sie mit Luise eintrat.

Jedes Paar Augen schien auf sie gerichtet. Einige schauten neugierig, andere mit einem kritischen Funkeln, das Clara das Blut in den Adern gefrieren ließ. Ihre Wangen glühten, doch sie hielt den Kopf hoch, ein Lächeln auf den Lippen, das sie aus ihrer Kindheit beherrschte – höflich, kontrolliert, undurchdringlich.

„Clara von Rheydt“, erklang plötzlich eine tiefe, wohlklingende Stimme neben ihr. Sie drehte sich um und sah sich einem Mann gegenüber, dessen Auftreten von Selbstbewusstsein und einer Spur von Arroganz durchdrungen war. „Ich bin Baron Maximilian von Arnsberg. Erlauben Sie mir, Sie auf das Herzlichste willkommen zu heißen.“

Seine Verbeugung war elegant, fast übertrieben, und Clara erwiderte sie mit einer Höflichkeit, die sie in ihrer Kindheit gelernt hatte. Doch etwas an seinem Lächeln ließ sie sich unwohl fühlen. Es war zu breit, zu selbstsicher, als hätte er bereits entschieden, dass sie ihm gehörte. „Vielen Dank, Herr Baron“, sagte sie mit ruhiger Stimme, doch ihre Hand verkrampfte sich leicht, als er ihr einen Arm anbot.

„Ein solch glanzvolles Ereignis wird durch Ihre Anwesenheit nur noch bezaubernder“, fügte der Baron hinzu und neigte den Kopf, während seine Augen sie auf eine Weise musterten, die Clara das Gefühl gab, entblößt dazustehen.

Noch bevor sie sich entscheiden konnte, wie sie reagieren sollte, spürte sie eine andere Präsenz. Der Raum schien plötzlich kleiner, die Luft dichter. Sie hob den Blick und entdeckte ihn.

Alexander von Hohenstein stand am Rand des Ballsaals, umgeben von einer kleinen Gruppe von Gästen. Doch seine tiefblauen Augen waren auf sie gerichtet, schienen sie zu durchdringen und jeden Gedanken, den sie zu fassen versuchte, hinwegzufegen. Clara spürte, wie ihr Atem stockte. Er war genauso, wie sie ihn sich vorgestellt hatte – und doch ganz anders. Seine markanten Gesichtszüge verrieten Selbstdisziplin und Stärke, doch in seinem Blick lag etwas, das sie nicht einordnen konnte. Etwas Dunkles, etwas, das sie gleichermaßen faszinierte und beunruhigte.

„Möchten Sie tanzen, Fräulein von Rheydt?“ Die Stimme des Barons brachte sie zurück in die Realität. Sie schüttelte hastig den Kopf. „Verzeihen Sie, Herr Baron, ich muss … mich umsehen.“

Bevor er protestieren konnte, wandte sie sich ab und ließ sich von Luise durch die Menge führen, die wie ein Meer von Gesichtern und schillernden Kleidern wirkte.

„Clara, beruhige dich“, flüsterte Luise, als sie in die Nähe der langen Fenster gelangten, die hinaus in die Gärten führten. „Du machst das großartig. Niemand kann dir etwas vorwerfen.“

Clara wollte etwas erwidern, doch in diesem Moment geschah etwas Eigenartiges. Luise wirkte plötzlich nervös, fast fahrig. Ihre Hände glitten unruhig über die Stofffalten ihres Kleides, und ihre Augen wanderten suchend durch den Raum, als erwarte sie jemanden. „Ich … ich muss kurz verschwinden“, sagte sie schließlich, ihre Stimme zögerlich. „Es ist nur … eine Kleinigkeit, die ich klären muss. Warte hier, ja?“

„Luise, was—“ begann Clara, doch ihre Freundin war bereits verschwunden, bevor sie ihre Frage beenden konnte. Sie blieb allein zurück, verloren in einem Raum voller Fremder.

Ein Schatten fiel über sie, und Clara drehte sich um. Da stand Alexander von Hohenstein, nur wenige Schritte entfernt, mit einer Präsenz, die den Raum um ihn herum zu beherrschen schien. „Fräulein von Rheydt“, sagte er mit einer leichten, fast unmerklichen Verbeugung. Seine Stimme war tief und klang wie das Flüstern eines Geheimnisses, das sie nicht zu hören wagte. „Ich habe gehört, Sie sind das erste Mal in unserem bescheidenen Zuhause.“

Clara suchte nach Worten, doch sie schienen ihr zu entgleiten. Schließlich zwang sie sich zu einem Lächeln. „Es ist beeindruckend, Herr von Hohenstein. Ich danke Ihnen für die Einladung.“

Sein Blick verweilte auf ihr, und sie spürte, wie ihre Unsicherheiten ans Licht gezerrt wurden. Doch zugleich schien in seinem Ausdruck etwas zu liegen, das sie nicht deuten konnte. War es Neugier? Respekt? Oder etwas Tieferes?

„Das Vergnügen ist ganz auf unserer Seite“, sagte er schließlich. „Ich hoffe, Sie fühlen sich willkommen.“

Die ersten Takte eines neuen Walzers erklangen. Alexander hielt ihr die Hand hin, und ohne nachzudenken, legte sie ihre Finger in seine. „Darf ich um diesen Tanz bitten?“

Ihr Herz setzte einen Schlag aus, doch sie nickte.

Während er sie auf die Tanzfläche führte und die Musik sie umhüllte, spürte Clara, wie die Welt um sie herum verblasste. Der Raum, die Menschen, die Blicke – all das zählte plötzlich nicht mehr. Es gab nur ihn und den leisen Rhythmus ihrer Schritte. Doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass dies erst der Anfang war. Sie war Teil eines Spiels geworden, dessen Regeln sie noch nicht verstand. Und Alexander von Hohenstein war ein Gegner – oder vielleicht ein Verbündeter –, den sie nicht ignorieren konnte.