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Liebesromane an einem Ort

reader.chapterDas geheimnisvolle Angebot


Sophie Keller

Sophie spürte den vertrauten Geruch von Pergament und Leder, der sich wie ein unsichtbarer Schleier in der Werkstatt ausbreitete. Die rhythmischen Bewegungen ihrer Hände, das sanfte Streichen über die vergilbten Seiten eines alten Buches, boten ihr eine fast meditative Zuflucht. Hier, inmitten der stillen Ordnung vergangener Geschichten, fand sie für kurze Augenblicke Frieden – eine Struktur, die dem Chaos ihrer Gedanken entgegenwirkte. Doch ein leises Räuspern hinter ihr durchbrach die Stille und ließ sie innehalten.

Sie drehte sich um und erblickte Anna, die in der Tür stand und sie mit einem neugierigen Lächeln musterte. „Sophie, da ist jemand, der dich sprechen möchte“, sagte Anna und warf dabei einen schelmischen Blick zurück auf den Besucher, den sie offensichtlich nicht allein stehen lassen wollte.

„Wer denn?“ Sophies Stirn legte sich in leichte Falten, während sie das Buch vor sich vorsichtig schloss.

„Ein Herr von Wolfenberg.“ Anna hob vielsagend die Augenbrauen. „Er ist… sagen wir, beeindruckend.“ Ein Zwinkern begleitete ihre Worte, bevor sie sich zur Seite lehnte, um dem Mann den Weg frei zu machen.

Ein Mann trat ein, dessen Anblick Sophie den Atem stocken ließ. Seine Größe und die Ruhe in seinen Bewegungen verliehen ihm eine fast unnahbare Präsenz. Sein dunkles, schulterlanges Haar rahmte ein Gesicht, das vor Entschlossenheit sprach, während seine eisblauen Augen wie ein kalter Nordwind durch sie hindurchzusehen schienen. Er trug einen schwarzen Mantel über einem anthrazitfarbenen Anzug, der seine athletische Statur betonte – schlicht und doch makellos.

„Frau Keller, nehme ich an?“ Seine tiefe Stimme war ruhig, getragen von einer kühlen Autorität, die sie unwillkürlich dazu brachte, sich aufzurichten.

„Ja, Sophie Keller“, antwortete sie, bemüht, ihre Stimme kontrolliert zu halten, obwohl sie die Intensität seines Blicks spürte.

„Alexander von Wolfenberg.“ Er trat näher, seine Bewegungen präzise, fast wie die eines Jägers, der seine Umgebung stets im Blick behielt. „Man hat mir von Ihnen erzählt. Es heißt, Sie bewahren die Vergangenheit mit außergewöhnlichem Geschick.“

Sophie spürte, wie ihr Herzschlag beschleunigte. Sein Name hatte einen Klang, der in ihr eine vage Erinnerung an etwas Altes, etwas Bedeutungsvolles wachrief. Doch woher wusste er von ihr? „Vielen Dank. Aber ich bin mir nicht sicher, wie ich Ihnen helfen kann.“

Alexanders Augen wanderten kurz zu dem Buch auf ihrem Tisch, dann kehrten sie mit einer durchdringenden Ruhe zu ihr zurück. „Ich besitze eine Sammlung antiker Manuskripte, die dringend restauriert werden müssen. Sie sind von unschätzbarem Wert – historisch und auf einer sehr persönlichen Ebene.“

Sophie fühlte ein leichtes Ziehen in ihrer Brust. Seine Worte klangen wie eine Herausforderung, und doch mischte sich etwas anderes darunter – eine Schwere, die sie nicht einordnen konnte. „Das klingt… interessant. Aber ich bin noch nicht lange hier in der Werkstatt tätig. Vielleicht wäre jemand mit mehr Erfahrung besser geeignet.“

„Nein.“ Alexanders Ton war fest, aber keinesfalls unhöflich, als er sie mit seinem Blick hielt. „Ihre bisherigen Arbeiten sprechen für sich. Erfahrung ist nicht das Einzige, was zählt.“

Sophie spürte einen leichten Widerstand in sich, während sie nach den richtigen Worten suchte. Seine Entschlossenheit war fast überwältigend, und doch hatte sie das Gefühl, dass hinter seinen Worten mehr lag, als er preisgab. „Wo befindet sich diese Sammlung?“

„Auf meinem Anwesen“, erklärte er, wobei er sich eine winzige Pause gönnte, als wolle er ihre Reaktion abwarten, bevor er hinzufügte: „Auf der Insel Reichenau.“

Die Erwähnung der Insel ließ Sophie unwillkürlich aufhorchen. Bilder aus Kindheitserzählungen schossen ihr in den Kopf – Märchen über Geister, verlorene Seelen und dunkle Geheimnisse. Sie hatte diese Geschichten immer als Aberglauben abgetan, doch jetzt, in seiner Gegenwart, schien die Insel einen neuen, greifbareren Schatten zu werfen.

„Die Insel Reichenau?“ Es war ihr kaum gelungen, die Überraschung aus ihrer Stimme zu nehmen.

„Ja“, sagte Alexander mit einer Ruhe, die beinahe herausfordernd wirkte. „Mein Anwesen liegt dort, ebenso wie die Manuskripte. Ich werde sicherstellen, dass Sie alles haben, was Sie benötigen – und dass Ihre Sicherheit gewährleistet ist.“

Sicherheit? Das Wort ließ Sophie innehalten. Warum sollte er das betonen? Sie schluckte schwer und versuchte, ihre wachsende Unruhe zu bändigen. Doch bevor sie nachfragen konnte, sprach Alexander bereits weiter.

„Der Auftrag wird großzügig vergütet, und ich bin überzeugt, dass nur Sie dieser Aufgabe gewachsen sind.“

Sophie spürte, wie sich ein Knoten in ihrer Brust bildete. Es war nicht nur die Dringlichkeit in seinen Worten, die sie zögern ließ, sondern auch das Gefühl, dass sie mit diesem Angebot einen Schritt in etwas Größeres, Dunkleres setzen würde.

„Ich… ich müsste darüber nachdenken“, brachte sie schließlich hervor.

Alexander nickte langsam, als hätte er nichts anderes erwartet. „Natürlich. Ich hoffe, Sie erkennen den Wert dieser Aufgabe. Die Manuskripte verdienen es, bewahrt zu werden.“

Er zog eine schlichte, elegante Visitenkarte aus der Innentasche seines Mantels und legte sie mit ruhigen Bewegungen auf den Tisch. „Hier finden Sie meine Kontaktdaten. Lassen Sie mich wissen, sobald Sie Ihre Entscheidung getroffen haben.“

Er neigte leicht den Kopf, eine höfliche Geste des Abschieds, die dennoch etwas Endgültiges hatte. Als er sich abwandte, rief Sophie impulsiv: „Herr von Wolfenberg.“

Er hielt inne und drehte sich langsam um, seine Augen fixierten sie erneut, dieses Mal mit einer Spur von Neugier.

„Warum ich?“ Die Worte kamen schneller, als sie es beabsichtigt hatte. „Warum nicht jemand mit mehr Erfahrung?“

Ein kaum merkliches Lächeln umspielte seine Lippen, doch seine Augen blieben unergründlich. „Manchmal zählt nicht die Erfahrung, sondern die Fähigkeit, das Wesentliche zu erkennen.“

Mit diesen kryptischen Worten verließ er die Werkstatt. Die Tür schloss sich sanft hinter ihm, und für einen Moment schien sich die Stille wie ein Mantel über den Raum zu legen.

Anna trat fast sofort wieder ein und strahlte vor Neugier. „Na, das war ja ein Auftritt! Wer war das?“

„Alexander von Wolfenberg“, murmelte Sophie, während sie die Visitenkarte aufhob und ihre schlichten, goldenen Lettern betrachtete.

„Von Wolfenberg?“ Annas Augen weiteten sich. „Oh, ich habe schon von ihnen gehört. Die von Wolfenbergs sind so etwas wie die heimlichen Herrscher dieser Gegend. Ihr Anwesen soll ein echtes Schloss sein! Aber…“ Sie senkte die Stimme und beugte sich leicht vor. „Man sagt, dort spukt es.“

Sophie sah sie mit erhobenen Augenbrauen an. „Spukt?“

„Ach, nur Gerüchte“, sagte Anna mit einem gezwungenen Lachen. „Aber die von Wolfenbergs sollen Geheimnisse haben. Große Geheimnisse.“

Ein Schauer lief Sophie über den Rücken, den sie jedoch schnell als Einbildung abtat. Sie hatte nie viel auf Legenden gegeben. Und doch blieb die Begegnung mit Alexander von Wolfenberg in ihrem Kopf hängen, wie ein unlösbares Rätsel.

Sophie wandte sich zum Fenster, wo der Nebel schwer über dem See lag, als wolle er die Welt dahinter verbergen. In ihr regte sich ein unbestimmtes Flüstern – ein Gefühl, dass diese Entscheidung den Verlauf ihres Lebens unwiderruflich verändern würde.