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Liebesromane an einem Ort

Kapitel 2Die Botschaft


Leona Falkenstein

Regentropfen prasselten gegen die schmutzigen Fensterscheiben und zogen dünne, verzerrte Linien über das Glas. Die Straßenlaternen draußen warfen schwaches, flackerndes Licht in die kleine Wohnung, die in einer vergessenen Seitenstraße Berlins lag. Leonas Augen waren fest auf den Bildschirm ihres Laptops gerichtet, das blasse Licht spiegelte sich in ihren haselnussbraunen Augen wider. Der karge Raum um sie herum war in Schatten gehüllt, beleuchtet nur von der einsamen Schreibtischlampe, deren schwacher Schein ein winziges Stück Wärme in die sonst kalte Atmosphäre brachte.

Die Wände waren kahl, abgesehen von ein paar vergilbten Zeitungsausschnitten und Notizen, die mit dünnen Fäden zu einem komplizierten Netz verbunden waren. Auf dem kleinen Tisch neben ihr stapelten sich Bücher über Kryptografie, Psychologie und alte Militärtaktiken. Ein leeres, erkaltetes Kaffeetasse stand vergessen daneben.

Leona strich sich eine lose Strähne ihres dunkelbraunen Haares hinters Ohr, das zu einem lockeren Zopf gebunden war. Ihre Finger flogen über die Tastatur, als sie sich durch eine Reihe verschlüsselter Dateien hackte. Jeder Klick war präzise, jeder Befehl gut durchdacht. Sie suchte nach einem Namen, einem Ort, irgendeinem Hinweis. Noah. Sein Name pulsierte in ihrem Kopf, ein ständiges Mantra, das sie antrieb.

Ein leises Klicken drang plötzlich an ihr Ohr. Sie hielt inne, die Finger über der Tastatur schwebend. Doch es war nur das Geräusch des alten Heizkörpers, der an diesem Abend nicht mehr als ein leises Summen von sich gab. Sie atmete tief durch und versuchte, die Anspannung loszulassen, die sich in ihren Schultern festgesetzt hatte.

Ihre Gedanken drifteten zurück in die Vergangenheit. Bilder flackerten vor ihrem inneren Auge auf: Noah, wie er lachend durch den Garten ihrer Großeltern rannte, seine blonden Locken im Wind tanzend. Sie erinnerte sich an sein schelmisches Grinsen, wenn er sie bei einem ihrer Versteckspiele überraschte, und an die Nacht, als sie ihm versprach, immer auf ihn aufzupassen.

Doch sie hatte ihr Versprechen gebrochen. Der Schmerz darüber stach wie ein Dolch in ihrer Brust. Leona schüttelte den Kopf, um die Erinnerungen zu vertreiben. Jetzt war nicht die Zeit für Selbstmitleid. Sie musste fokussiert bleiben.

Plötzlich erschien eine Meldung auf dem Bildschirm. Zugang gewährt. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als sie die neu geöffneten Dateien durchsah. Unter den wirren Daten und Codes stach ein Name hervor: Noah Falkenstein. Ihre Hände zitterten leicht, als sie den Namen anklickte.

Die Datei enthielt spärliche Informationen, vieles war geschwärzt oder gelöscht. Doch einige Wörter waren lesbar: "Subjekt", "Operation Nachtfalke", "Standort unbekannt". Ihr Magen zog sich zusammen. Was hatte die Bruderschaft mit Noah zu tun? Die Erwähnung einer geheimen Operation ließ alle Alarmglocken in ihr schrillen.

Leona lehnte sich zurück und rieb sich die Augen. Die Müdigkeit forderte ihren Tribut, doch Aufgeben war keine Option. Sie öffnete eine weitere Datei, hoffte auf mehr. Doch bevor sie weitermachen konnte, hörte sie ein Geräusch. Ein leises, kaum wahrnehmbares Knarren, irgendwo in der Wohnung.

Sofort war sie hellwach. Ihre Sinne schärften sich, und ihr Blick wanderte langsam durch den Raum. War da jemand? Ihr Griff umschloss instinktiv das Messer, das neben dem Laptop lag. Die kalte Klinge fühlte sich vertraut an, ein tröstliches Gewicht in ihrer Hand.

Die Schatten tanzten an den Wänden, angetrieben vom flackernden Licht der Straßenlaternen. Sie stand leise auf, ihre Schritte kaum hörbar auf dem abgenutzten Holzboden. Leona bewegte sich in Richtung des Fensters, wobei sie darauf achtete, im Schatten zu bleiben. Einzig der Regen und das entfernte Rauschen der Stadt waren zu hören.

Sie spähte vorsichtig durch den schmalen Spalt zwischen den Vorhängen. Nichts Ungewöhnliches. Nur die leere Straße, beleuchtet von vereinzelten Laternen. Dennoch blieb das ungute Gefühl. Sie war nicht paranoid – jahrelange Erfahrung hatte sie gelehrt, ihren Instinkten zu vertrauen.

Ein weiterer Laut ließ sie herumwirbeln. Es klang, als wäre etwas im Treppenhaus bewegt worden. Ihr Atem ging flach, während sie zur Tür schlich. Das Auge am Spion war kaputt, also blieb ihr nur das Risiko. Sie legte ihr Ohr an die Tür und lauschte angestrengt.

Stille.

Vielleicht spielte ihr Verstand ihr einen Streich. Zu viele schlaflose Nächte, zu viel Kaffee und Adrenalin. Sie schüttelte den Kopf und wollte gerade zurück zum Schreibtisch gehen, als ein dumpfer Schlag gegen die Tür ertönte. Das Holz vibrierte unter der Wucht.

Leonas Herz raste. Sie hob das Messer, ihre Muskeln angespannt. Wer auch immer draußen war, wusste, dass sie hier war. Ein zweiter Schlag, stärker diesmal. Die Tür hielt, aber wie lange noch?

Sie atmete tief durch, versuchte, einen klaren Kopf zu behalten. Es gab keinen Hinterausgang, und die Fenster führten drei Stockwerke nach unten auf die Straße. Nicht unmöglich, aber riskant.

Der dritte Schlag ließ die Tür erzittern, und ein kleines Stück Holz splitterte ab. Sie musste handeln. Schnell zog sie den kleinen USB-Stick aus dem Laptop und steckte ihn in ihre Hosentasche. Die Dateien waren zu wichtig, um sie zurückzulassen.

Ein schneller Blick zurück zum Fenster. Der Regen hatte zugenommen, und der Wind peitschte gegen die Scheiben. Keine Zeit mehr zu überlegen. Sie riss das Fenster auf, die kalte, nasse Luft schlug ihr entgegen. Ohne zu zögern kletterte sie hinaus, stellte die Füße vorsichtig auf das schmale Sims.

Unter ihr glitzerte der nasse Asphalt. Ein falscher Schritt, und es wäre vorbei. Hinter sich hörte sie, wie die Tür aufgebrochen wurde. Holz knackte, und schwere Schritte betraten die Wohnung.

Sie bewegte sich seitwärts, drückte sich eng an die Wand. Ihre Finger griffen nach dem eisernen Fallrohr. Der Regen machte es rutschig, aber sie umklammerte es fest. Langsam begann sie, sich nach unten zu hangeln.

Über ihr erschien eine Gestalt am Fenster. Ein dunkler Schatten gegen das Licht der Wohnung. Sie konnte das Gesicht nicht erkennen, aber sie spürte den Blick auf sich. Ein kurzes Zögern, dann lehnte sich die Person hinaus.

Leona beschleunigte ihre Bewegung, ihre Füße suchten hastig nach Halt auf den unebenen Mauersteinen. Plötzlich zischte etwas an ihrem Kopf vorbei und prallte funkenstiebend an der Wand ab. Eine Klinge. Sie warf einen schnellen Blick nach oben. Ein weiterer Wurf stand unmittelbar bevor.

Ohne nachzudenken ließ sie sich fallen. Der Aufprall auf dem harten Boden raubte ihr den Atem, doch sie fing sich ab und rollte zur Seite. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihr linkes Bein. Keine Zeit dafür.

Sie sprang auf und sprintete die Gasse hinunter, das Messer fest in der Hand. Hinter ihr hörte sie Schritte, die in Eile die Feuertreppe hinab kamen. Wer auch immer sie verfolgte, war gut ausgebildet.

Die Gasse war ein Labyrinth aus Mülltonnen, Pfützen und Schatten. Das Wasser spritzte unter ihren Stiefeln auf, als sie um die Ecke bog. Ihr Atem ging stoßweise, doch die Adrenalin trieb sie voran.

Vor ihr tauchte eine Straße auf, belebt mit späten Passanten und Autos. Wenn sie es dorthin schaffte, könnte sie in der Menge untertauchen. Doch kurz bevor sie die Gasse verließ, spürte sie eine Hand, die nach ihr griff.

Sie wirbelte herum, das Messer instinktiv nach vorne gestoßen. Ihre Klinge traf auf Metall, als ihr Angreifer einen Block mit einem eigenen Messer machte. Für einen Moment standen sie sich gegenüber, Regen tropfte von ihren Gesichtern.

Er war groß, muskulös, mit eisgrauen Augen, die sie kalt musterten. Seine schwarzen Haare klebten nass an seiner Stirn. Die Lederjacke, die er trug, war ein unverkennbares Zeichen. Die Bruderschaft.

"Leona Falkenstein", sagte er mit ruhiger, kontrollierter Stimme. "Du solltest das hier nicht schwerer machen, als es ist."

Sie kniff die Augen zusammen. "Wer zum Teufel bist du?"

"Jemand, der Antworten sucht. Genau wie du."

Sie nutzte den Moment der Worte, um einen schnellen Hieb zu führen, doch er war schnell und wich aus. Sein Fuß fegte ihren Standbein weg, und sie fiel hart zu Boden. Der Schmerz schoss durch ihren Körper, aber sie rollte sich ab und sprang wieder auf die Füße.

"Beeindruckend", murmelte er, ohne eine Spur von Emotion.

Sie blieb in Kampfhaltung, das Messer vor sich erhoben. "Wenn du glaubst, ich komme einfach so mit, täuschst du dich."

Er zuckte kaum merklich mit den Schultern. "Dann machen wir es auf die harte Tour."

Er stürmte vor, und sie trafen erneut aufeinander, Klinge auf Klinge. Jeder ihrer Angriffe wurde pariert, jeder Versuch, Abstand zu gewinnen, vereitelt. Er war gut – zu gut.

Ein Tritt traf sie in die Seite, und sie verlor für einen Moment die Balance. Er nutzte die Gelegenheit, packte ihr Handgelenk und drehte es schmerzhaft, bis das Messer aus ihrer Hand fiel. Sie biss die Zähne zusammen, um nicht aufzuschreien.

"Genug jetzt", sagte er mit kühler Bestimmtheit.

Doch Leona war noch nicht bereit aufzugeben. Mit einem schnellen Kopfstoß traf sie ihn an der Stirn. Er taumelte zurück, überrascht von ihrer Hartnäckigkeit. Sie nutzte den Moment, um nach ihrem Messer zu greifen, doch er war schneller wieder bei Sinnen, als sie gehofft hatte.

Bevor sie reagieren konnte, spürte sie einen scharfen Schmerz an ihrem Nacken. Ein Druckpunkt. Ihre Sicht verschwamm, die Beine wurden weich. Sie versuchte, sich zu wehren, doch ihre Glieder gehorchten ihr nicht mehr.

"Schlaf gut", war das Letzte, was sie hörte, bevor die Dunkelheit sie umfing.

Der Regen prasselte weiter auf den leeren Asphalt, während die Gasse wieder in Stille verfiel. Das einzige Zeugnis des Kampfes waren die verstreuten Wasserpfützen und die entfernten Schritte von jemandem, der Leona an einen unbekannten Ort brachte.