Kapitel 2 — Spuren im Schattennetz
Carla
Die Nacht hatte sich wie ein dichter Nebel über Kreuzberg gelegt, das Büro des Investigativmagazins war jedoch ein Leuchtfeuer unermüdlicher Betriebsamkeit. Der Geruch von Kaffee, abgestandener Luft und Elektronik hing schwer im Raum. Das rhythmische Tippen auf Tastaturen wurde nur gelegentlich von Seufzern unterbrochen. Durch die großen Fenster konnte Carla die Lichter der Stadt sehen, die sich im feinen Regen spiegelten, während sie über ihren Laptop gebeugt saß. Das blaue Licht des Bildschirms tauchte ihr Gesicht in ein kaltes Leuchten, das ihre lebhaften braunen Augen betonte. Sie strich sich eine widerspenstige Locke aus dem Gesicht und biss sich auf die Unterlippe, während sie konzentriert weitertippte.
„Ich habe die Protokolle überprüft“, murmelte Carla, den Blick fest auf den Bildschirm gerichtet. „Bisher sieht es sauber aus, aber ich kann nicht garantieren, dass wir nicht beobachtet werden. Es gibt immer Spuren, die man hinterlässt.“
Lena stand hinter ihr, die grauen Augen scharf auf den Bildschirm gerichtet, die Arme vor der Brust verschränkt. Ihre stille Präsenz war wie ein Schatten – wachsam und kontrolliert. Ihre Stimme war ruhig, fast mechanisch, als sie entgegnete: „Das ist nicht gut genug. Sichere alles ab. Kein Risiko.“
Carla drehte sich halb um und warf ihr ein ironisches Lächeln zu. „Kein Risiko? Das sagst du immer, und dann sitzen wir mitten im Sturm.“ Ihre Worte waren leicht, doch die Anspannung in ihrer Stimme verriet, dass sie die Gefahr nur allzu gut verstand.
Lena ließ den Kommentar unbeantwortet und trat einen Schritt zurück, ihre kühle Fassade unerschütterlich, auch wenn ihre Finger unruhig über ihren Mantel glitten. Carla spürte die Ungeduld, die in ihrer Kollegin brodelte, und versuchte, sich nicht anstecken zu lassen. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihren Bildschirm.
„Ich baue die Verbindungen ins Darknet auf“, sagte Carla und öffnete eine Reihe von Fenstern. Die pulsierenden Icons und die kaskadierenden Sicherheitsprotokolle vor ihr waren ein vertrauter Tanz aus Zahlen und Codes – eine Welt, die Carla besser verstand als die meisten Menschen. Sie wusste, dass das Darknet ein chaotisches Labyrinth war, in dem jede Bewegung beobachtet werden konnte. Die Gefahr war greifbar, aber auch die Herausforderung, die sie insgeheim genoss.
„Falls es irgendwo Hinweise auf GenTech gibt, die wir nicht sehen sollen, dann finden wir sie dort“, fügte sie hinzu, während ihre Finger über die Tastatur flogen.
„Mach’s schnell“, drängte Lena, ihre Stimme war ein Hauch kühler. „Und Carla…“ Sie hielt inne, wählte ihre Worte sorgfältig. „Pass auf dich auf.“
Für einen Moment hob Carla überrascht den Kopf. Lenas Ton trug einen Anflug von Sorge, der selten durch ihre Fassade brach. Carla nickte knapp, ließ sich jedoch nichts anmerken. „Kein Problem. Da bin ich Profi.“
Die Minuten vergingen, während Carla durch die Schattenwelt des Internets navigierte. Die Foren, in die sie eintauchte, waren gefüllt mit wild um sich schlagenden Verschwörungstheorien, überdrehten Diskussionen und anonymen Kommentaren. Es war ein Lärm aus Stimmen, ein chaotischer Schwall von Informationen, in dem Wahrheit und Lüge oft ununterscheidbar waren. Sie machte sich Notizen, übersprang irrelevante Einträge, doch ihre Stirn legte sich tiefer in Falten, je länger sie suchte.
„Die Foren sind voll von… allem und nichts“, murmelte sie schließlich, während sie durch die Beiträge scrollte. „Gerüchte über GenTech, Verschwörungsgeschichten, aber nichts Handfestes. Es ist wie immer: viel Rauch, aber wenig Feuer.“
Lena trat näher, ihre Schritte leise auf dem Holzboden. „Dann such nach etwas anderem. Namen, Verbindungen, irgendetwas, das uns weiterbringt.“
Carla unterdrückte ein Seufzen. „Ja, Lena, ich weiß. Nur, weil du daneben stehst, wird es nicht schneller gehen.“ Ein Hauch von Schärfe lag in ihrer Stimme, doch sie konzentrierte sich weiter auf ihren Bildschirm. Sie wusste, dass Lena es nicht böse meinte – sie war so, wie sie immer war: zielgerichtet, analytisch, unerbittlich.
Dann stieß Carla plötzlich auf etwas. Es war ein Beitrag, versteckt in einem kaum besuchten Forum, eingebettet zwischen irrelevanten Diskussionen. Der Titel lautete: „Verschwundene Patienten – GenTech vertuscht alles?“ Die Worte schienen förmlich aus dem Bildschirm zu springen.
„Ich hab’ was“, sagte Carla leise, während sie klickte. Der Beitrag war kurz, aber vielsagend: „Niemand spricht über das Labor in München. Patienten verschwinden, Experimente werden verdeckt durchgeführt. Wer die Wahrheit sucht, sollte dort anfangen.“ Darunter befanden sich mehrere verschlüsselte Links und einige anonyme Kommentare, die sich über die Glaubwürdigkeit des Posts stritten.
„München“, wiederholte Lena und trat näher, ihre Stimme nachdenklich. „Das passt zu den Daten. Viele der gemeldeten Nebenwirkungen stammen aus Experimenten in der Region. Das könnte ein Treffer sein.“
Carla nickte und begann, die Links zu entschlüsseln. Ihre Hände zitterten leicht vor Konzentration, als sie durch die Sicherheitsschleifen arbeitete. Es war eine vertraute Mischung aus Adrenalin und Anspannung. Die Verschlüsselung war komplex, doch Carla war besser. Sie war immer besser.
Nach mehreren Minuten öffnete sich schließlich eine Datei. Auf dem Bildschirm erschien ein unscheinbares Dokument mit einer Liste von Koordinaten und verschleierten Namen. Es wirkte harmlos, doch Carla wusste, dass es das nicht war.
„Das muss das Labor sein“, flüsterte sie und drehte sich zu Lena um. Doch bevor sie weitersprechen konnte, flackerte der Bildschirm plötzlich.
Ein Warnfenster erschien. „Ungewöhnliche Aktivität erkannt. Verbindung wird überwacht.“ Die Worte leuchteten in bedrohlichem Rot.
Carla spürte, wie ihr Herzschlag schneller wurde. Ihr Körper spannte sich an, und ein kalter Schweiß brach auf ihrer Stirn aus. Für einen Moment war sie wie erstarrt, dann begann sie hektisch, die Verbindung zu kappen.
„Verdammt“, fluchte sie leise. „Jemand ist uns auf die Spur gekommen.“
„Schalt alles ab“, befahl Lena, ihre Stimme war scharf wie ein Messer. „Sofort.“
Carla reagierte instinktiv, ihre Finger flogen über die Tastatur, um Spuren zu löschen und die Sicherheitsprotokolle zu aktivieren. Doch sie wusste, dass es vielleicht schon zu spät war. Wer auch immer sie beobachtete, hatte sie bereits gesehen.
Als der Bildschirm schließlich dunkel wurde, lehnte Carla sich zurück und ließ ihre zitternden Hände in den Schoß fallen. Sie sog tief die Luft ein. „Das war knapp“, murmelte sie, ihre Stimme ein Hauch von Erschöpfung. „Jemand mag nicht, dass wir diese Informationen haben.“
Lena sagte nichts. Ihre grauen Augen fixierten Carla mit einer Intensität, die fast greifbar war. „Das heißt, wir sind an der richtigen Spur“, sagte sie schließlich, ihre Stimme leise, aber bestimmt.
Carla ließ ein trockenes Lachen hören. „Oder wir haben uns gerade in ein Wespennest gesetzt.“
Für einen Moment war der Raum still, nur das stetige Prasseln des Regens gegen die Fenster war zu hören. Die Spannung war fast greifbar, wie ein unsichtbares Band, das den Raum durchzog.
„Wir müssen herausfinden, wer uns beobachtet“, sagte Carla schließlich und begann, ihren Laptop wieder hochzufahren. „Ich werde sehen, was ich herausfinden kann. Aber wir sollten uns auf weitere Probleme einstellen.“
Lena nickte knapp. „Mach das. Ich werde alles zu München durchgehen. Wir müssen mehr über dieses Labor herausfinden.“
Die beiden Frauen tauschten einen Blick, der mehr sagte als Worte. Carla spürte die Last des Ungewissen auf ihren Schultern, doch sie wusste, dass sie nicht aufgeben würde. Nicht jetzt. Nicht, wenn sie so nah dran waren.
Die Nacht schien dunkler geworden zu sein, und die Schatten um sie herum wuchsen. Doch Carla wusste, dass sie die richtigen Spuren gefunden hatten. Jetzt blieb nur noch die Frage, wie lange sie durchhalten konnten, um sie zu verfolgen.