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Liebesromane an einem Ort

Kapitel 2Ein Schiff ins Ungewisse


Belle Devereaux

Der Morgen brach kühl und grau an, als ob selbst der Himmel die Last der Entscheidungen spürte, die Belle heute treffen musste. Sie stand am Rande eines Feldes, das einst üppig und lebendig gewesen war, nun jedoch von den Schatten des Krieges gezeichnet war. Die Luft roch nach Tau, aber auch nach Asche, ein ständiger Begleiter, der sie wie ein unsichtbarer Mantel umhüllte. Der Wind spielte mit losen Haarsträhnen, während sie den gewebten Schal fester um ihre Schultern zog, um die Kälte abzuwehren.

Vor ihrem inneren Auge sah sie die Felder, wie sie einst gewesen waren: schimmernde Reihen von Baumwolle, die sich unter der Sonne wie ein Meer aus Schnee erstreckten, begleitet vom Summen der Zikaden und dem Lachen der Arbeiter, die ihr abends Grüße zuriefen. Doch jetzt war alles nur noch Stille – eine drückende, unerbittliche Stille, die sie an die verkohlten Ruinen ihres Zuhauses erinnerte.

„Belle!“ Die Stimme ihrer Mutter Charlotte durchbrach die Stille, wie ein Riss in einer angespannte Oberfläche. Charlotte stand aufrecht, aber ihre Haltung verriet eine Müdigkeit, die tiefer ging als reine Erschöpfung. Ihr Haar war streng zu einem Knoten geschlungen, doch ein paar Strähnen hatten sich gelöst und umrahmten ihr Gesicht wie ein Schleier aus Sorge. Neben ihr hielt sie Samuel, der sich schutzsuchend an sie lehnte, den Kopf auf ihre Hüfte gedrückt.

Mit einem letzten Blick über das Feld wandte sich Belle ab und ging auf sie zu. Jeder Schritt fühlte sich an, als würde er sie weiter von einer verlorenen, unerreichbaren Welt fortreißen.

„Du bist spät dran“, sagte Charlotte leise, ihre Stimme zärtlich, aber eindringlich. In ihrer Hand hielt sie einen Umschlag, den sie mit einem ernsten Ausdruck betrachtete. „Wir müssen reden, bevor du gehst.“

„Was ist es, Mama?“ Belle spürte, wie ein Kloß in ihrem Hals wuchs, während die Worte ihrer Mutter sie nach vorne trieben wie eine unausweichliche Strömung.

Charlotte hielt den Umschlag hoch, als ob er die Schwere ihrer Worte in sich trug. „Das hier... ist von Baron Wilhelm von Rosenberg. Er hat geschrieben, um dir seine Bedingungen und sein Versprechen darzulegen.“

Ein Schauder lief Belle über den Rücken. Der Name war wie ein unheilvolles Echo, das sie seit Wochen verfolgte. Wilhelm von Rosenberg – ein Name, der sich schwer und kalt in ihre Zukunft eingrub.

„Ich will diesen Mann nicht heiraten“, sagte Belle, und ihre Stimme klang wie zerbrechendes Glas. „Das weißt du, Mama.“

Charlotte legte ihre Hand sanft auf Belles Arm. „Und ich möchte nicht, dass du es musst. Aber wir haben keine Wahl. Wir können nicht hier bleiben. Wir können es uns nicht leisten, stolz zu sein. Du bist unsere einzige Hoffnung, Belle.“ Ihre Stimme zitterte, doch ihr Griff auf Belles Arm war stark. „Deine Heirat könnte uns retten.“

Belles Augen füllten sich mit Tränen, und für einen Moment wurde ihr Blick verschwommen, als ob ein schwerer Nebel sie umhüllte. „Was ist mit dir? Und mit Samuel? Was wird aus euch?“

Charlotte hielt inne, bevor sie tief Luft holte. „Ich werde versuchen, uns über Wasser zu halten. Und wenn Gott gnädig ist, wird eines Tages auch für uns ein Weg in eine bessere Zukunft offenstehen. Aber du...“ Sie schluckte schwer, und ihre Stimme wurde weicher. „Du hast jetzt die Chance, deinem Leben einen Sinn zu geben, Belle. Einen Sinn, der uns vielleicht alle retten kann.“

Die Worte fühlten sich wie eiserne Ketten um Belles Herz an. Sie wandte den Blick ab, um den Schmerz in ihrem Gesicht zu verbergen. In diesem Moment spürte sie etwas Warmes und Weiches ihre Hand umschließen. Samuel. Seine kleinen Finger klammerten sich an sie, und sie sah zu ihm hinunter. Seine Augen, so weit und unschuldig, blickten zu ihr auf, als ob sie die stärkste Person der Welt wäre.

„Ich verspreche dir, Sam“, flüsterte sie und kniete vor ihm nieder. Ihre Stimme klang brüchig, aber entschlossen. „Egal, was passiert, ich werde einen Weg finden, dich und Mama zu schützen. Das verspreche ich dir.“

Samuel nickte langsam, seine Lippen bebten, aber er hielt sich tapfer. Belle drückte ihn fest an sich, spürte seine Wärme, als ob sie Kraft aus ihm schöpfen könnte.

„Es gibt jemanden hier, der dich sprechen möchte“, sagte Charlotte plötzlich, ihre Stimme vorsichtig und zurückhaltend. Sie deutete mit dem Kopf in Richtung des alten Hauses, wo ein Mann im Schatten wartete.

Belle runzelte die Stirn, während sie den Fremden musterte. Er trug die Uniform eines Unionssoldaten, doch etwas an seiner Haltung – die Art, wie er seine Hände in die Taschen steckte und auf den Boden blickte – schien nicht ganz passend. Ein seltsamer Kontrast aus Sorglosigkeit und unterschwelliger Anspannung umgab ihn.

Langsam ging Belle auf ihn zu, jeder Schritt beschleunigte ihren Herzschlag. Der Wind trug die Geräusche des kargen Hofes zu ihr, das Knarren alter Bretter und das ferne Rufen eines Vogels, und doch schien die Welt um sie herum stillzustehen.

„Miss Devereaux?“ Der Mann hob seinen Kopf, und Belle erblickte ein Gesicht, das von harten Linien und einem rätselhaften Blick geprägt war. Seine Augen schienen sie zu durchbohren, und obwohl seine Haltung freundlich wirkte, lag da eine Unruhe, die sie nicht einordnen konnte.

„Wer sind Sie?“ fragte sie direkt, ihre Stimme fest, obwohl ihr Herz schneller schlug.

Er zog ein Stück Papier aus seiner Tasche und reichte es ihr. „Nathaniel Carter. Ich bringe Ihnen dies im Auftrag von Baron Wilhelm.“

Belle nahm den Brief misstrauisch und spürte die rauen Papierkanten an ihren Fingern. Sie öffnete ihn nicht, sondern hielt ihn fest, während sie den Mann vor sich weiter musterte.

„Was wollen Sie von mir, Mr. Carter?“

Nathaniel schien kurz zu zögern, bevor er sprach. „Ich will Ihnen helfen, Miss Devereaux. Sie sollten wissen, worauf Sie sich einlassen. Die Welt, in die Sie gehen, ist anders als die, die Sie kennen.“ Seine Stimme wurde leiser, beinahe vertraulich. „Menschen dort... sie werden Ihre Andersartigkeit bemerken. Aber das ist kein Schwachpunkt. Es ist Ihre Stärke.“

Belles Misstrauen blieb, aber eine Spur von Neugierde regte sich in ihr. „Warum tun Sie das?“

Ein Schatten von Schmerz huschte über sein Gesicht, schnell verborgen hinter einem schwachen Lächeln. „Vielleicht, weil ich weiß, wie es sich anfühlt, alles zu verlieren.“ Er zog einen zweiten Brief hervor. „Behalten Sie dies bei sich. Für jemanden in Europa. Es könnte wichtig werden.“

Belles Finger umschlossen die Briefe. „Wer sind Sie wirklich?“

Nathaniel sah sie an, seine Augen voller Geheimnisse. „Nur ein Mann, der versucht, das Richtige zu tun.“

Bevor sie etwas erwidern konnte, wandte er sich ab und verschwand im Schatten des Morgens.

Zurück bei Charlotte und Samuel hielt Belle die Briefe fest. Sie spürte Charlottes Augen auf sich, und in diesem Moment wusste sie, dass es kein Zurück gab.

„Ich werde gehen, Mama“, sagte sie schließlich, ihre Stimme ruhig, aber sie bebte kaum merklich. „Aber das hier ist nicht das Ende.“

Charlotte umarmte sie, während Samuel sich fest an sie klammerte. Belle spürte, wie der Wind die Asche ihrer Vergangenheit verwehte, während vor ihr die Ungewissheit lag. Doch tief in ihrem Inneren brannte ein Funke, der Licht in die Dunkelheit bringen könnte.