Kapitel 2 — Echo der Zeiten
Ragnar
Das rhythmische Hämmern aus der Schmiede und das Knistern der Feuer erfüllten die klare Morgenluft von Skjoldheim, während Ragnar über den Platz schritt. Der Boden unter seinen Füßen war noch feucht von der nächtlichen Kälte, und die frische Würze von frisch geschnittenem Holz schien dem Tag einen friedlichen Anstrich zu verleihen. Doch Ragnar konnte den Druck in seiner Brust nicht abschütteln, ein dumpfes, wachsendes Unbehagen, das sich in den letzten Tagen wie eine zweite Haut um ihn gelegt hatte.
Er blieb stehen und ließ seinen Blick über den Platz schweifen. Männer und Frauen arbeiteten an neuen Gebäuden und gingen ihren gewohnten Tätigkeiten nach, doch ihre Bewegungen waren steif, ihre Stimmen gedämpft. Es war ein unbestimmbares Etwas, das über dem Dorf lag, ein Schatten des Misstrauens und der Furcht, das nicht greifbar, aber allgegenwärtig war.
Am Rand des Platzes fiel sein Blick auf Freydis, die mit energischen Bewegungen ihre Waffen überprüfte. Ihr kurzes, rotes Haar schimmerte im Licht der aufgehenden Sonne, und ihre grimmige Entschlossenheit war wie ein Anker inmitten der Unruhe, die Ragnar umgab.
„Freydis,“ rief er und ging auf sie zu.
Sie blickte auf, eine Axt in der Hand, deren Schneide sie scharf beäugte. „Ragnar. Du siehst aus, als hättest du die halbe Nacht Wache gestanden.“
„Vielleicht,“ antwortete er und ließ ein schwaches Lächeln aufblitzen. „Aber ich bin nicht der Einzige, der so aussieht.“
Freydis schnaubte leise und ließ die Axt in den Halfter an ihrem Gürtel gleiten. „Unruhige Nächte sind nichts Neues. Aber in letzter Zeit fühlt es sich an, als würden wir einen Sturm spüren, der noch nicht am Horizont aufgezogen ist.“
„Hanna hat Ähnliches gesagt,“ erwiderte er nachdenklich. „Ihre Träume sind voller Warnungen. Sie glaubt, dass etwas nicht stimmt. Und ehrlich gesagt – ich spüre es auch.“
Freydis verschränkte die Arme und musterte ihn mit scharfem Blick. „Die Tiere verhalten sich seltsam, und der Wald ist stiller als sonst. Und dann ist da das, was ich gestern Nacht gesehen habe.“ Ihre Stimme senkte sich, als ob sie die Worte selbst kaum aussprechen wollte. „Einen Vogel aus glänzendem Metall, lautlos und schneller als jeder Falke. Er flog über den Himmel, Ragnar. Ich schwöre es bei den Göttern.“
Ragnar runzelte die Stirn, seine Gedanken rasten. „Ein metallener Vogel?“
„Ja,“ bestätigte sie. Ihre Augen brannten vor Ernsthaftigkeit. „Und bevor du fragst – nein, ich hatte keinen Tropfen Met. Meine Augen täuschen mich nicht.“
Noch bevor Ragnar antworten konnte, unterbrach ein leises, aufgeregtes Murmeln die Stille. Er wandte sich um und sah, wie sich eine Gruppe von Dorfbewohnern am Flussufer versammelte. Ohne ein Wort bedeutete er Freydis, ihm zu folgen, und gemeinsam eilten sie zum Ursprung des Aufruhrs.
Am Fluss fanden sie Emily, Hannas junge Schülerin, die mit beiden Händen seltsame Objekte hielt. Ragnar stockte, als er die glatten, glänzenden Gegenstände sah. Sie wirkten unnatürlich, fremd, wie etwas, das nicht in diese Welt gehörte. Um Emily hatten sich die Dorfbewohner versammelt, flüsterten miteinander und warfen misstrauische Blicke auf die Objekte.
„Was ist hier los?“ fragte Ragnar mit fester Stimme, und die Menge fiel augenblicklich in erwartungsvolle Stille.
Emily trat zögernd vor, ihre Hände zitterten leicht. „Ich habe diese Dinge am Fluss gefunden,“ sagte sie. Ihre Stimme war leise, doch ihre Augen zeigten eine Entschlossenheit, die Ragnar beeindruckte. „Sie... sie sind nicht von hier. Das weiß ich einfach.“
Ragnar nahm eines der Objekte aus ihrer Hand. Es war leicht und fühlte sich fremdartig an, seine glatte Oberfläche reflektierte das Licht auf ungewohnte Weise. Das Material war ihm völlig unbekannt, und doch spürte er instinktiv, dass es bedeutend war. „Hanna muss das sehen,“ murmelte er. Dann richtete er sich an die Dorfbewohner: „Zurück an eure Arbeit! Es gibt nichts zu sehen, das euch betrifft.“
Die Menge löste sich widerwillig auf, ihre skeptischen Blicke und das leise Getuschel blieben Ragnar jedoch nicht verborgen. Er wusste, dass solche Ereignisse das Misstrauen im Dorf nur weiter schüren würden.
Freydis beobachtete die Szene mit einem düsteren Ausdruck. „Das wird nicht gut ausgehen, Ragnar. Solche Dinge säen nur Angst. Und Angst ist der beste Nährboden für Verrat.“
„Das weiß ich,“ entgegnete er, seine Stimme ruhig, aber angespannt. „Deshalb müssen wir einen klaren Kopf bewahren. Komm, wir bringen das zu Hanna.“
***
In Hannas Hütte breitete sich eine gespannte Stille aus. Die Artefakte, die Emily gefunden hatte, lagen auf dem Tisch, und Hannas Finger glitten behutsam über die glatten Oberflächen, während sie nachdachte. Ragnar konnte die Schärfe in ihrem Blick erkennen, ein Ausdruck, der ihn immer wieder daran erinnerte, wie sehr sie aus einer anderen Welt stammte – und doch zu ihnen gehörte.
„Das ist Kunststoff,“ sagte sie schließlich, ihre Worte langsam und bedacht. „Etwas, das in eurer Zeit nicht existiert. Es stammt aus meiner Welt... oder vielleicht sogar aus einer, die noch weit in meiner Zukunft liegt.“
Ragnar massierte seine Schläfen und ließ die Information auf sich wirken. „Das bedeutet, dass die Zeitlinien wieder instabil werden, nicht wahr?“
„Ja,“ antwortete sie mit bedrückter Miene. „Und schneller, als ich es erwartet hätte. Wenn solche Dinge hierher gelangen können, werden die Grenzen zwischen den Zeiten dünner. Sie könnten jederzeit aufbrechen.“
Die Tür öffnete sich, und Leif trat ein. Seine Augen wanderten sofort zu den Artefakten, und sein Gesichtsausdruck spiegelte eine unruhige Mischung aus Erkenntnis und Besorgnis wider. „Ich habe es gespürt,“ sagte er, ohne eine Begrüßung. „Die Anomalien werden stärker. Die Luft fühlt sich... falsch an, als ob sie vibriert. Es ist schwer zu erklären, aber etwas Großes kündigt sich an.“
Ragnar sah zu Hanna, deren Blick sich mit Leifs traf. „Wir müssen das Dorf warnen,“ sagte sie entschieden.
„Warnen?“ Freydis, die bisher schweigend in der Ecke gestanden hatte, trat vor. „Das wird die Leute nur noch mehr aufbringen. Männer wie Torbjørn suchen nur nach einem Anlass, um dich anzugreifen, Hanna. Wenn wir mit Geschichten über instabile Zeitlinien ankommen, wird das alles nur eskalieren.“
„Freydis hat recht,“ stimmte Ragnar zu. „Wir müssen vorsichtig sein, wie wir vorgehen. Aber eines ist sicher: Wir dürfen nicht untätig bleiben. Das würde uns verwundbarer machen.“
Hannas Gesicht verhärtete sich, und ihre Stimme war von Entschlossenheit durchdrungen. „Dann lasst uns wachsam bleiben und vorbereitet sein. Ich werde weiter nach einer Lösung suchen. Doch wir müssen vereint bleiben. Sonst wird uns das zerstören.“
Die Worte hingen schwer in der Luft, während Ragnar erneut zu den fremdartigen Artefakten auf dem Tisch blickte – stumme Vorboten einer drohenden Gefahr.
***
Am Abend, als die Dunkelheit das Dorf einhüllte, versammelten sich einige Dorfbewohner um Torbjørn, der auf dem Platz stand und mit durchdringender Stimme sprach. Ragnar beobachtete ihn aus der Ferne, seine Arme vor der Brust verschränkt.
„Diese seltsamen Dinge, die wir erleben, begannen, als diese Frau zu uns kam!“ rief Torbjørn. „Sie bringt Wissen aus einer fremden Welt, das nur Unglück und Chaos mit sich bringt!“
Ragnars Zorn brodelte, doch er zwang sich zur Ruhe. Torbjørn wusste, wie man Zweifel säte, doch Ragnar war entschlossen, nicht zuzulassen, dass seine Worte die Gemeinschaft spalteten.
Als die Zuhörer sich schließlich zerstreuten, trat Ragnar zu ihm. „Pass auf, was du sagst, Torbjørn,“ warnte er mit leiser, aber bedrohlicher Stimme. „Das Dorf braucht Einheit, keine Zwietracht.“
Torbjørn begegnete ihm mit einem schmalen Lächeln. „Vielleicht zerstören Geheimnisse die Einheit mehr als meine Worte, Ragnar.“
Ragnar sah ihm nach, während Torbjørn in der Dunkelheit verschwand. Ein unheilvolles Gefühl erfüllte ihn. Die kommenden Tage würden entscheidend sein – für Hanna, das Dorf und die fragile Balance zwischen den Zeiten.