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Liebesromane an einem Ort

Kapitel 3Die investigative Journalistin


Isabelle Lehmann

Das rhythmische Klappern von Tastaturen erfüllte die stickige Luft der Redaktion von „Die Wahrheit“. Der Geruch von abgestandenem Kaffee mischte sich mit dem metallischen Duft von Druckertinte, während Stimmen voller Eile und Erschöpfung einen chaotischen Kanon bildeten. Isabelle Lehmann, umgeben von einem Wirrwarr aus Notizblöcken, Akten und halb geleerten Kaffeetassen, nahm das alles kaum wahr. Ihr Blick war auf den Bildschirm vor ihr gerichtet, wo der Cursor auf der leeren Seite blinkte – ein stiller Spott, der an ihre Nerven nagte.

„Lehmann! Haben Sie irgendetwas für mich, das nicht nach belanglosem Füllstoff klingt?“ Die Stimme ihres Chefredakteurs Frank Müller durchschnitt die Luft wie ein scharfer Messerhieb. Seine autoritäre Präsenz drückte auf die ohnehin angespannte Atmosphäre. Frank war ein bulliger Mann mit schütterem Haar und einem Gesicht, das stets nach Ungeduld wirkte, als ob die Zeit ihn persönlich verfolgte.

Isabelle drehte sich langsam um, ein falsches Lächeln auf ihren Lippen. „Geben Sie mir noch ein paar Stunden, Frank. Ich habe ein paar Eisen im Feuer.“

„Noch ein paar Stunden?“ Er beugte sich über ihren Schreibtisch, seine Krawatte schwang bedrohlich nah an ihrer Kaffeetasse vorbei. „Wir brauchen etwas Großes, Isabelle. Etwas, das unseren Lesern die Augen öffnet. Nicht diese halbgaren Geschichten über kommunale Korruption, die Sie letzte Woche abgeliefert haben. Der Vorstand sitzt mir im Nacken. Und ehrlich gesagt, ich Ihnen auch.“

„Verstanden.“ Sie biss die Zähne zusammen und zwang sich, den aufsteigenden Ärger hinunterzuschlucken, bis Frank mit einem brummenden Kommentar weiterzog.

Als sie sich wieder ihrem Bildschirm zuwandte, pochte die Frustration wie ein gellender Nachhall in ihrem Kopf. Sie hatte sich diesen Platz hart erkämpft – in einer Branche, in der Frauen wie sie oft unterschätzt wurden. Doch der Druck, immer wieder abzuliefern, hatte eine schwere Last. Frank war ein zynischer Realist, aber in einem Punkt hatte er recht: Sie brauchte eine Story, die alles veränderte, etwas, das sie und ihre Arbeit auf ein neues Level brachte.

Sie begann, sich durch die neuesten Nachrichten zu klicken, suchte nach einem Funken, irgendeinem Detail, das ihr ins Auge sprang. Die Schlagzeile erschien plötzlich, wie ein Blitz in der Dunkelheit: „Richter-Konzern ernennt Matteo Richter zum neuen CEO.“

Ihr Blick blieb an dem Foto hängen. Der Mann darauf – groß, dunkelhaarig, mit einem durchdringenden Blick – wirkte gleichzeitig unnahbar und verletzlich. Eine Kombination, die ebenso faszinierend wie irritierend war.

„Matteo Richter...“, murmelte sie leise, als wollte sie den Namen schmecken. Der Richter-Konzern war eines dieser unantastbaren Imperien, das Macht und Privilegien verkörperte. Doch Matteo? Sie konnte sich nicht erinnern, ihn je zuvor gehört oder gesehen zu haben.

Ein innerer Impuls ließ sie einen neuen Tab öffnen. Ihre Finger flogen über die Tastatur, doch die Suche brachte kaum Ergebnisse: keine Social-Media-Profile, keine Interviews, kaum Bilder. Es war, als hätte er sein Leben absichtlich aus dem Rampenlicht ferngehalten.

Das weckte ihren Instinkt. Menschen wie Matteo Richter hatten immer etwas zu verbergen. Kein Mensch erbt ein Milliardenimperium, ohne Spuren zu hinterlassen – es sei denn, er hat einen Grund dafür.

„Was hast du da, Lehmann?“ Markus Becker, ihr Kollege und ewiger Rivale, unterbrach ihre Gedankenkette. Er lehnte sich lässig über ihren Schreibtisch, seine Augen blitzten vor Neugierde.

„Nichts, was dich betrifft.“

„Ach komm schon, Izzy. Wenn du so eifrig bist, muss es eine gute Story sein.“ Sein spöttisches Grinsen brachte sie jedes Mal auf die Palme.

„Interessant genug, dass ich dir sicher nichts davon erzähle.“

„Wie du meinst.“ Markus hob die Hände in einer gespielten Kapitulationsgeste, doch seine Stimme triefte vor Süffisanz. „Aber wenn du scheiterst, ich habe da was über einen Börsenaufsichtsskandal. Vielleicht ein kleiner Wettbewerb?“

„Träum weiter.“ Sie ignorierte ihn, bis er sich schließlich schulterzuckend entfernte.

Isabelle tippte weiter, durchkämmte Datenbanken nach Hinweisen. Nichts. Matteo Richter war ein Rätsel, ein unsichtbarer Mann in einer Welt, die von Sichtbarkeit lebte.

Ihr Handy vibrierte. Sie griff danach, las die Nachricht: „Lass uns später reden. Ich habe vielleicht eine Idee für dich.“ Es war von Karl Meier, ihrem ehemaligen Chefredakteur und Mentor.

Ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht. Karl war immer da, wenn sie feststeckte, immer mit dem richtigen Rat zur richtigen Zeit. Aber diesmal fühlte sie, dass sie ihre Spur bereits gefunden hatte.

Sie entschied sich, ihn persönlich aufzusuchen, und erhob sich schnell. „Ich bin kurz draußen“, rief sie in den Raum, ohne eine Antwort abzuwarten.

Draußen war die Luft kühl und feucht, der Herbst legte sich wie ein grauer Schleier über die Stadt. Sie ließ ihre Füße ziellos durch die Straßen führen, während ihre Gedanken um Matteo Richter kreisten. Ein Mann ohne Vergangenheit, ein Erbe mit einer Macht, die er nicht zu wollen schien. Warum?

Vor einem Zeitungskiosk blieb sie stehen, griff nach einer Wirtschaftszeitung, die ebenfalls über Matteo berichtete. Der Artikel war nichtssagend, voller Floskeln über den „unerwarteten Erben“. Doch zwischen den Zeilen spürte sie die Spannung. Es war, als ob jeder wusste, dass etwas nicht stimmte – es aber niemand auszusprechen wagte.

Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als ein vertrauter Bass ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Karl Meier saß an einem der kleinen Tische eines nahegelegenen Straßencafés, eine Tasse vor sich, sein Gesicht umrahmt von Jahren journalistischer Erfahrung und einer Brille, die er stets schief auf der Nase trug.

„Setz dich, Izzy“, sagte er, ohne aufzublicken.

Sie tat es, legte die Zeitung vor sich auf den Tisch. „Ich glaube, ich habe etwas gefunden.“

„Das hoffe ich für dich. Frank hat mich kontaktiert. Er ist nicht gerade begeistert von dir.“

„Selbstverständlich nicht.“ Isabelle hob die Zeitung an und tippte auf das Bild von Matteo. „Matteo Richter. Neuer CEO des Richter-Konzerns. Gibt es etwas, das du mir über ihn sagen kannst?“

Karl lehnte sich zurück, ein amüsiertes Lächeln auf den Lippen. „Interessant, dass du ihn erwähnst. Der Name Richter ist in gewissen Kreisen... kompliziert. Der Konzern hat seinen Reichtum auf Methoden aufgebaut, über die niemand gern spricht. Aber Matteo? Der war immer ein Geist. Kaum ein Wort über ihn in den Archiven.“

„Genau das macht ihn so interessant.“

„Pass auf, Izzy.“ Karl beugte sich vor, seine Stimme gedämpft. „Wenn du dich mit den Richters anlegst, trittst du in ein Wespennest. Es gibt gute Gründe, warum er unsichtbar geblieben ist.“

„Das Risiko lohnt sich.“

Karl nickte langsam. „Dann tu mir einen Gefallen: Sei vorsichtig. Und vergiss nicht, dass die Wahrheit oft gefährlicher ist, als wir denken.“

Sie verabschiedete sich und ließ ihre Schritte schneller werden, als der Wind die Kühle der Nacht brachte. Ein Plan begann sich zu formen. Matteo Richter war mehr als nur ein Name, und seine Geschichte könnte genau das sein, was sie brauchte – nicht nur für ihre Karriere, sondern um die Fassade eines der mächtigsten Unternehmen der Stadt zu durchbrechen.

„Zeit, den Schleier zu lüften“, murmelte sie und verschwand in den Straßen der Stadt.