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Liebesromane an einem Ort

Kapitel 2Trümmer der Vergangenheit


Lea Silverthorne

Ein kalter Wind peitscht Asche und Staub um mich herum, als ich vor den zerstörten Toren der Silverthorne-Villa stehe. Der beißende Geruch von verkohltem Holz schneidet durch die eisige Nachtluft, und das blutrote Mondlicht bricht sich in den zerborstenen Fenstern, als wolle es die Wunden meiner Vergangenheit verspotten. Meine Halbmondnarbe am Hals pulsiert schwach, ein dumpfer Schmerz, der mich an die Vision im Tempel erinnert – die Mondkönigin, kalt und fremd, ein Spiegelbild meiner tiefsten Angst. Ich balle die Fäuste, meine Haut so blass, dass sie fast durchscheinend wirkt, ein Zittern, das ich kaum unterdrücken kann. Doch ich muss weitergehen. Erichs Flüstern hallt noch in meinen Gedanken wider: „Dein Blut kann mich nicht aufhalten.“ Wenn ich ihn stoppen will, muss ich Antworten finden – hier, in den Trümmern meines Erbes.

Hinter mir höre ich Maris’ leise, aber stetige Schritte, ein Hauch von Trost in dieser trostlosen Nacht. Sie sagt nichts, aber ihre Präsenz ist wie ein stilles Versprechen, dass ich nicht allein bin. Das Knarren der Dielen unter unseren Füßen klingt wie ein gequältes Flüstern, als wir die Ruinen betreten. Die einst stolzen Hallen meiner Familie sind kaum wiederzuerkennen – schwarze Narben von Erichs Angriff ziehen sich über die Wände, und der modrige Geruch von Verfall liegt schwer in der Luft. Mein Blick wandert zu einem zerbrochenen Spiegel an der Wand, und für einen Moment sehe ich mein eigenes Gesicht – blass, fast geisterhaft, die Augen kalt und distanziert. Ein Schauer läuft mir über den Rücken, doch ich zwinge mich, wegzusehen. Ich darf mich jetzt nicht verlieren.

„Hier entlang“, murmele ich, meine Stimme rauer, als ich beabsichtigt habe, während ich auf die Überreste der Bibliothek deute. Maris nickt, ihre Hand streift kurz meine Schulter, eine stille Geste der Unterstützung. Die Regale sind umgestürzt, Bücher liegen wie gefallene Soldaten im Staub verstreut. Mein Herz zieht sich zusammen, als ich ein zerfetztes Exemplar der Familienchroniken sehe – die Seiten, die meine Großmutter mit zitternder Hand beschrieben hat, sind kaum noch lesbar. Jeder Schritt durch diese Trümmer ist wie ein Stich, eine Erinnerung an das, was verloren ist, und an die Bürde, die auf meinen Schultern lastet.

Ich knie mich hin, schiebe zerbrochene Holzstücke beiseite und ziehe einen schweren, in Leder gebundenen Folianten hervor. Der Einband ist angekohlt, aber intakt. Meine Finger zittern leicht, als ich ihn aufschlage, und eine eisige Kälte kriecht durch meine Adern – nicht nur wegen der feuchten Luft, die durch die geborstenen Mauern zieht, sondern wegen der Macht, die in mir schlummert. Das Silberblut summt in meinem Inneren, eine unerbittliche Erinnerung daran, wie wenig von meiner Menschlichkeit noch übrig ist. Ich blättere die Seiten um, meine Augen suchen verzweifelt nach einem Hinweis, einem Funken Hoffnung.

Und dann sehe ich es. Eine hastig gekritzelte Notiz, versteckt zwischen faded Runen und vergilbten Zeichnungen. Die Worte springen mir entgegen, als ob sie darauf gewartet hätten, gefunden zu werden. „Das Lied der Kuratoren... gebunden an die Quelle... tief im Hexenberg, wo die erste Macht ruht.“ Mein Atem stockt, und ich lese die Zeilen laut vor, meine Stimme bricht unter dem Gewicht der Erkenntnis. „Das Lied... es ist mit der Quelle verbunden. Aber was, wenn ich es nicht kontrollieren kann, Maris?“ Meine Hände zittern heftiger, die Kälte in mir wogt wie eine Welle, droht mich zu ertränken. Ich sehe die Mondkönigin vor meinem inneren Auge – ihr eisiger Blick, ihre Emotionslosigkeit. Werde ich so enden?

Maris kniet sich neben mich, ihre Augen sanft, aber bestimmt. „Du bist nicht allein, Lea. Das Lied hat uns hierher geführt, und es wird uns weiterführen.“ Ihre Stimme ist wie ein warmer Hauch in der kalten Dunkelheit, und für einen Moment erlaubt ich mir, daran zu glauben. Sie summt leise die Melodie, die sie seit ihrer Kindheit kennt, ein altes Lied, das wie ein Herzschlag durch die Ruinen hallt. Es beruhigt mich, auch wenn die Angst in mir bleibt – eine scharfe Klinge, die an meiner Seele kratzt. Ich will ihr alles erzählen, die Wahrheit über das Ritual, den Preis, den es fordern könnte, aber die Worte bleiben mir im Hals stecken. Stattdessen presse ich die Lippen zusammen und nicke, meine Finger schließen sich fest um den Folianten.

„Der Hexenberg“, sage ich schließlich, meine Stimme härter, als ich mich fühle. „Wenn die Quelle dort ist, müssen wir sie finden. Es könnte eine andere Möglichkeit geben, den Fluch zu brechen.“ Doch selbst als ich die Worte ausspreche, spüre ich den Zweifel in mir. Der Hexenberg ist nicht nur weit entfernt, sondern auch von Erichs Korruption durchdrungen. Die Wälder dorthin sind ein Labyrinth aus Gefahr, und ich weiß nicht, ob ich stark genug bin, um sie zu durchqueren – nicht mit dieser eisigen Leere, die an mir zehrt.

Maris erhebt sich, ihr Ausdruck zeigt keine Spur von Zögern. „Dann gehen wir. Was auch immer uns erwartet, wir stellen uns dem zusammen.“ Ihr Mut schämt mich fast, und doch bin ich dankbar für ihre Stärke. Ich stehe auf, der Foliant fest an meine Brust gedrückt, und blicke ein letztes Mal durch die zerstörte Bibliothek. Ein kalter Hauch streift meinen Nacken, als ob die Villa selbst mich warnt, und ich kann das Gefühl nicht abschütteln, dass wir nicht allein sind. Etwas ist hier – oder beobachtet uns aus den Schatten. Meine Narbe pulsiert schärfer, ein stechender Schmerz, der meine Zähne zusammenbeißen lässt.

Wir sammeln, was wir in den Ruinen finden können – ein paar Vorräte, eine zerrissene Karte, die vielleicht noch brauchbar ist, und eine kleine Phiole mit Kräutern, die Maris in einer Ecke entdeckt. Jeder Gegenstand fühlt sich wie ein Relikt einer verlorenen Zeit an, schwer von Erinnerungen, die ich nicht tragen will. Doch ich habe keine Wahl. Als wir die Villa verlassen, hängt der blutrote Mond schwer am Himmel, sein Licht taucht die zerstörten Mauern in ein unheimliches Glühen. Der Waldrand liegt vor uns, die Schatten dort dichter, als sie sein sollten, und ein leises Rascheln in den Bäumen lässt mein Herz schneller schlagen.

Ich werfe einen letzten Blick zurück auf die Villa, meine Halbmondnarbe pulsiert schmerzhaft, als ob sie mich vor etwas warnt, das ich nicht sehen kann. Ein unheimlicher Schatten scheint über die Ruinen zu gleiten, kaum wahrnehmbar, doch genug, um einen Schauer über meinen Rücken zu jagen. „Etwas beobachtet uns, Maris... und ich fürchte, wir werden es bald wissen.“