Kapitel 3 — Spaltung im Rudel
Kyle Blackthorn
Neblige Schwaden waberten über die Lichtung im Ostmark-Wald, schlossen mich ein wie ein erdrückender Schleier aus Zweifeln. Der blutrote Mond hing schwer am Himmel, sein unheimliches Licht fiel auf das fahle, kranke Gras, das unter meinen Stiefeln knirschte. Ein fernes Heulen durchschnitt die Nacht, ein Klang, der mir die Nackenhaare aufstellte und die Luft mit roher Bedrohung füllte. Ich stand allein, doch die Blicke meines Rudels bohrten sich in meinen Rücken, scharf wie Dolche, während ich mich auf die Versammlung vorbereitete. Mein Atem ging schwer, neue Narben auf meinen Unterarmen brannten bei jeder Bewegung – stumme Zeugen der Kämpfe, die ich bereits ausgefochten hatte. Meine Hände ballten sich zu Fäusten, als ich die Spannung schmeckte, bitter und beißend wie der Gestank von Verfall, der den Wald durchdrang.
Ich spürte ihre Zweifel, bevor ich sie hörte. Die Rudelmitglieder traten aus dem Nebel, ihre Augen glühten in der Dunkelheit, ihre Körperhaltung straff und herausfordernd. Sie hatten einst zu mir aufgesehen, hatten meinem Knurren gehorcht, meiner Stärke vertraut. Jetzt sah ich Misstrauen in ihren Blicken, ein Flüstern von Schwäche, das ich nicht ignorieren konnte. Meine Beziehung zu Lea, die Kuratorin, hatte einen Keil zwischen uns getrieben, und ich wusste, dass heute Nacht jemand diesen Keil vertiefen würde. Meine Kiefermuskeln spannten sich, während ich meine Haltung straffte, die Erschöpfung in meinen Knochen ignorierte. Schatten unter meinen Augen zeugten von schlaflosen Nächten, doch ich durfte keine Schwäche zeigen. Nicht jetzt. Nicht vor ihnen.
„Blackthorn.“ Die Stimme war rau, schneidend, und sie kam von Torren, einem meiner Betas. Er trat vor, seine breiten Schultern angespannt, seine Augen ein funkelndes Gelb in der Dunkelheit. Der Schlamm unter seinen Stiefeln schmatzte, als er sich mir näherte, und der Rest des Rudels bildete einen lockeren Kreis um uns. „Deine Bindung zur Kuratorin wird uns alle in die Verdammnis führen. Ein wahrer Alpha würde das Rudel über alles stellen.“
Die Worte trafen mich wie ein Hieb, aber ich ließ es mir nicht anmerken. Mein Blick hielt seinen fest, während mein Herz schneller schlug, ein wildes Trommeln in meiner Brust. „Du zweifelst an meiner Führung, Torren?“ Meine Stimme war tief, ein Knurren, das die Luft vibrieren ließ. „Du denkst, ich würde uns verraten? Für sie?“
Er spie aus, ein hässliches Geräusch. „Ich sehe, wie du dich von uns abwendest. Dein Herz gehört ihr, nicht uns. Erichs Schatten wächst, und wir zahlen den Preis für deine Schwäche.“
Schwäche. Das Wort brannte heißer als jede Narbe auf meiner Haut. Ich spürte die Blicke der anderen, ihre stille Zustimmung, ihre abwartende Haltung. Wenn ich jetzt nachgab, würde ich alles verlieren – ihre Loyalität, ihre Achtung, meine Position. Ein roher Instinkt flammte in mir auf, der Wolf in mir heulte nach Dominanz, nach Blut. „Dann beweise es“, sagte ich kalt, meine Stimme ein gefährliches Flüstern. „Fordere mich heraus.“
Die Lichtung explodierte in Bewegung. Torren stürzte sich auf mich, seine Krallen glänzten im Mondlicht, während ein tiefes Knurren aus seiner Kehle drang. Ich duckte mich, ließ seinen ersten Schlag an mir vorbeiziehen und spürte den Luftzug an meinem Gesicht. Der Schlamm unter uns spritzte, als wir aufeinanderprallten, unsere Körper ein Wirbel aus roher Stärke. Mein Fausthieb traf seine Schulter, ein dumpfer Aufprall, der ihn taumeln ließ, doch er konterte mit einem Tritt, der meine Rippen streifte und einen scharfen Schmerz durch mich jagte. Blut sickerte aus einer frischen Wunde an meinem Arm, vermischte sich mit dem Dreck unter meinen Füßen. Der Kampf war brutal, ein Tanz aus Fängen und Fäusten, und ich spürte die Blicke des Rudels, ihre Urteile, ihre Erwartungen.
Mit einem letzten, verzweifelten Stoß warf ich Torren zu Boden, mein Knie auf seiner Brust, meine Hand an seiner Kehle. Sein Atem kam in keuchenden Stößen, seine Augen weit vor Wut und Niederlage. „Ergib dich“, knurrte ich, meine Stimme rau vor Anstrengung. Er nickte langsam, widerwillig, und ich ließ ihn los, stand auf, während mein eigener Atem schwer ging. Der Sieg schmeckte bitter. Ich sah in die Gesichter meines Rudels, suchte nach Zustimmung, nach Loyalität, doch ich fand nur skeptische Blicke, stille Zweifel. Sie hatten meinen Triumph gesehen, aber auch meine Erschöpfung, meine Narben. Und das war genauso gefährlich wie eine offene Herausforderung.
Die Nacht schloss sich wieder um mich, als das Rudel sich zerstreute, ihre Schritte im Nebel verhallend. Ich blieb allein auf der Lichtung zurück, der Schlamm klebte an meinen Stiefeln, Blut tropfte von meinen Knöcheln. Meine Brust hob und senkte sich schwer, doch der Schmerz in meinen Muskeln war nichts im Vergleich zu dem Gewicht, das auf meinem Herzen lastete. Ich hatte gewonnen, aber zu welchem Preis? Mein Rudel driftete auseinander, und ich konnte die Risse spüren, die sich durch unsere Einheit zogen. Und Lea... der Gedanke an sie war ein scharfer Stich in meiner Brust. Ich liebte sie, mehr als ich je zugeben würde, aber ihre Geheimnisse, ihre Welt, zerrten an mir, drohten mich zu brechen.
Ein leises Rascheln zog meine Aufmerksamkeit auf sich, und ich drehte mich um, meine Sinne geschärft. Maris Greywind trat aus dem Nebel, ihr Gesicht weich im Mondlicht, doch ihre Augen trugen eine Entschlossenheit, die mich innehalten ließ. Sie hielt etwas in ihrer Hand – ein Amulett, das ich sofort erkannte. Es gehörte Lea. Mein Herz zog sich zusammen, eine Mischung aus Sehnsucht und Misstrauen.
„Kyle“, begann sie, ihre Stimme ruhig, aber bestimmt, „Lea hat mich gebeten, dir das zu geben. Sie... sie macht sich Sorgen um dich.“
Ich nahm das Amulett, die kühle Oberfläche ein seltsamer Trost gegen meine raue Haut. Meine Finger schlossen sich darum, als könnte ich Leas Wärme durch das Metall spüren. Doch die Worte, die ich sagen wollte, blieben mir im Hals stecken. Stattdessen brach etwas anderes aus mir heraus, rau und gequält. „Ich weiß nicht, ob ich stark genug bin, sie beide zu retten – Lea und das Rudel. Was, wenn ich wählen muss?“
Maris’ Blick wurde weicher, ihre Hand legte sich sanft auf meinen Arm. „Manchmal ist Stärke, jemanden zu vertrauen, Kyle. Lea kämpft für euch alle. Gib ihr Zeit.“
Zeit. Das Wort hallte in mir nach, während ich das Amulett in meiner Hand betrachtete. Ich wollte Maris glauben, wollte mich an den Glauben klammern, dass Lea und ich einen Weg finden würden. Doch die Zweifel nagten an mir, schärfer als die Krallen eines Gegners. Ich nickte stumm, unfähig, mehr zu sagen, und Maris zog sich zurück, ihre Schritte leise im Nebel.
Die Nacht wurde still, doch mein Kopf war ein Sturm aus Gedanken. Ich machte mich auf den Weg zurück, nicht zum Rudel, sondern zu den Trümmern der Silverthorne-Villa. Etwas trieb mich dorthin, ein Instinkt, eine Unruhe, die ich nicht benennen konnte. Die Villa ragte vor mir auf, ihre Mauern gezeichnet von Asche und Zerstörung, ein Spiegel meiner eigenen inneren Narben. Der Geruch von verkohltem Holz stach in meiner Nase, während ich durch die Ruinen streifte, meine Stiefel knirschten auf zerbrochenem Glas. Ich wusste nicht, wonach ich suchte, bis ich es fand – ein zerfleddertes Tagebuch, halb verborgen unter einem umgestürzten Regal in der Bibliothek. Leas Handschrift starrte mich an, die Tinte verschmiert, doch die Worte waren klar genug.
„Ein unvermeidbares Opfer...“ flüsterte ich, während ich die Zeilen las, mein Magen zog sich zusammen. Meine Augen verengten sich, ein kalter Zorn flammte in mir auf, gemischt mit einem Schmerz, der mich fast in die Knie zwang. Was verbarg sie vor mir? Was war dieses Opfer, von dem sie schrieb? Meine Finger zerknitterten das Papier, als ich die Worte wieder und wieder las, unfähig, den Gedanken an Verrat zu verdrängen. Doch so sehr es schmerzte, ich konnte sie nicht sofort konfrontieren. Nicht jetzt, nicht, wenn Erichs Schatten über uns allen hing. Ich musste mein Rudel vereinen, musste gegen ihn kämpfen, bevor ich die Wahrheit aus ihr herausforderte.
Ich stand auf, die Notiz in meiner Hand, während der blutrote Mond durch die zerborstenen Fenster fiel und meinen Schatten auf den Boden warf – einen gebrochenen Alpha, zerrissen zwischen Liebe und Pflicht. Ein verzerrtes Heulen hallte in der Ferne, ein Klang, der meine Haut mit Gänsehaut überzog. Erich war nah, näher, als ich dachte. Und was auch immer Lea vor mir verbarg, es würde warten müssen. Für den Moment hatte ich einen Kampf zu führen – für mein Rudel, für sie, für uns.