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Liebesromane an einem Ort

reader.chapterAnkunft im Ungewissen


Selina

Der Regen hatte aufgehört, doch die Straßen blieben dunkel und glänzend, schimmernde Spiegel aus Asphalt und Wasser, in denen die Scheinwerfer des Taxis verschwanden. Selina saß auf dem Rücksitz, die cremefarbene Einladung fest in den Händen. Ihre Finger glitten über das Papier, als könnte sie durch die Berührung begreifen, was sie erwartete. Draußen zogen Schatten und Lichter wie träge Geister an ihr vorbei, doch sie konnte sich nicht auf die Umgebung konzentrieren. Die Worte auf der Einladung hallten in ihrem Kopf wider.

„Ein exklusiver Abend.“

Die Worte klangen wie ein Versprechen und eine Warnung zugleich.

Die Stille im Wagen wurde nur vom leisen Summen des Motors und dem gelegentlichen Prasseln von Tropfen auf die Fensterscheiben unterbrochen. Der Taxifahrer warf ihr ab und zu einen flüchtigen Blick durch den Rückspiegel zu. „Die Villa Blackwood, was?“, sagte er plötzlich, seine Stimme beiläufig, aber mit einem Unterton von Neugier. „Nicht viele Leute fahren da hin. Ein ziemlich abgeschotteter Ort.“

Selina zuckte zusammen, überrascht von der plötzlichen Ansprache. „Ja“, erwiderte sie knapp. Ihr Blick wanderte zurück zu der Einladung, doch die Worte des Fahrers hallten in ihrem Kopf nach. Ein abgeschotteter Ort. Die Isolation, die diese Worte beschworen, ließ sie frösteln.

„Wir sind gleich da“, sagte der Fahrer nach einer Weile und warf ihr erneut einen Blick zu, diesmal mit einem Anflug von Besorgnis. „Seien Sie vorsichtig, Ma'am.“

Selina nickte nur und presste die Einladung fester in ihre Finger, während ein leises Murmeln über ihre Lippen kam: „Vorsichtig.“ Das Wort klang hohl. Vorsicht hatte sie bisher nicht vor Damien geschützt, und sie bezweifelte, dass es diesmal anders sein würde.

Das Taxi bog in einen Seitenweg ein, weg von den belebten Straßen der Stadt. Die Dunkelheit schien dichter zu werden, die Welt stiller, je weiter sie sich von der Hektik entfernten. Selina spürte, wie die Anspannung in ihrem Körper zunahm, während sich die Villa Blackwood langsam näherte.

Schließlich hielt das Taxi vor einem massiven Tor. Zwei steinerne Säulen ragten wie Wächter in den Nachthimmel, das schwarze Tor dazwischen mit kunstvollen Schnörkeln verziert. Es schien weniger eine Einladung als ein Hindernis zu sein, ein stiller Wächter, der darüber wachte, wer eintreten durfte.

Der Fahrer drückte einen Knopf an der Gegensprechanlage, und nach einem Moment öffnete sich das Tor lautlos. Dahinter erstreckte sich eine lange Auffahrt, gesäumt von hohen Bäumen, deren dichte Kronen das Mondlicht aussperrten. „Hier endet meine Fahrt, Lady“, sagte der Fahrer. „Von hier aus müssen Sie laufen.“

Selina bezahlte den Fahrer und stieg aus. Die kühle Luft schlug ihr entgegen, und sie zog ihren Mantel enger um die Schultern. Das Taxi fuhr davon, und sie blieb allein zurück, umgeben von der bedrohlichen Stille.

Die Villa war noch nicht zu sehen, nur die endlose Auffahrt, deren Ende im Dunkel verschwamm. Die hohen Bäume, die den Weg säumten, wirkten wie stumme Zeugen, die ihre Schritte beobachteten. Selina atmete tief ein und setzte einen Fuß vor den anderen. Der Kies knirschte unter ihren Schuhen, ein Geräusch, das seltsam laut in der leeren Nacht klang.

Nach einigen Minuten tauchte die Villa Blackwood vor ihr auf, majestätisch und einschüchternd. Das Gebäude war ein Meisterwerk aus Stein und Licht, eine Kombination aus klassischer Eleganz und kühler Moderne. Die hohen Fenster waren hell erleuchtet, und die warmen Töne des Lichts zeichneten die Silhouette des Anwesens ab. Es war so eindrucksvoll, wie sie es in Erinnerung hatte – vielleicht sogar mehr. Doch in ihrer Brust machte sich ein beklemmendes Gefühl breit. Die Villa hatte sich nicht verändert, und doch fühlte sie sich anders an. Kälter, fremder.

Die Eingangstür öffnete sich, bevor sie klopfen konnte. Ein älterer Mann in einem makellos schwarzen Anzug – offensichtlich der Butler – verneigte sich leicht und trat beiseite. „Miss Moreau. Willkommen. Mr. Blackwood erwartet Sie später im Saal.“

Selina zögerte, bevor sie eintrat. Die Wärme der Villa umfing sie, doch es fühlte sich nicht beruhigend an. Es war die Art von Wärme, die einen umschloss, bis man das Gefühl hatte, nicht mehr entkommen zu können. Der Marmorboden glänzte im Licht der Kronleuchter, und das Echo ihrer Schritte hallte unheilvoll in der Großen Halle wider.

Der Raum war überwältigend. Die hohen Decken schienen in den Himmel zu ragen, die Wände waren mit kunstvollen Gemälden geschmückt, deren Figuren sie mit stummen, durchdringenden Blicken zu beobachten schienen. Kronleuchter aus Kristall warfen Lichtreflexe über die polierten Oberflächen, und die Luft war erfüllt von einem subtilen Duft nach teurer Holzpolitur und Blumenarrangements.

„Gibt es hier Gäste?“ fragte sie, ihre Stimme leiser, als sie beabsichtigt hatte.

„Einige sind bereits eingetroffen“, antwortete der Butler höflich, doch in seinem Ton lag eine unbestimmte Schärfe. „Bitte folgen Sie mir.“

Sie nickte, obwohl die Erwähnung von Damien einen kalten Schauder durch ihren Körper schickte. Ihre Blicke wanderten zu den kunstvollen Gemälden. Es war, als würden die Augen der dargestellten Figuren jeden ihrer Schritte überwachen – ein weiterer Hinweis darauf, dass diese Villa nicht nur ein Ort, sondern ein Kontrollinstrument war.

Der Butler führte sie durch einen großen Bogen in einen angrenzenden Raum: den Festsaal. Selina stockte der Atem. Der Raum war ein Inbegriff von Luxus, mit langen Tafeln aus dunklem Holz, deren Oberflächen von Kristallgläsern und Porzellanarrangements bedeckt waren. Die Gäste, die sich hier aufhielten, waren ebenso eindrucksvoll. Frauen in wunderschönen, maßgeschneiderten Kleidern und Männer in perfekt sitzenden Anzügen bewegten sich elegant durch den Raum – es war eine Szene wie aus einem aristokratischen Traum, und Selina fühlte sich fehl am Platz in ihrem schlichten, aber eleganten schwarzen Kleid.

Ein Kellner mit einem Tablett voller Champagnergläser trat an sie heran. Sie nahm ein Glas, mehr aus dem Reflex heraus, etwas in den Händen halten zu wollen, als aus Durst. Ihre Finger umklammerten den Stiel des Glases, während ihre Augen durch den Raum wanderten. Gespräche erfüllten die Luft, begleitet vom Klingen der Gläser. Der Duft von schwerem Parfüm und exotischen Gewürzen mischte sich mit der stickigen Eleganz des Raumes.

Niemand schien sie zu beachten, obwohl sie sich sicher war, dass sie beobachtet wurde. Sie stellte sich an den Rand des Saals, ihr Blick suchte nach einem vertrauten Gesicht, doch sie erkannte niemanden. Das Gefühl der Isolation kroch in ihr hoch, und sie biss sich auf die Lippe. Warum war sie hier? Warum hatte sie sich darauf eingelassen?

Plötzlich spürte sie es – einen Blick. Die Luft um sie herum schien sich zu verdichten, und ein Prickeln breitete sich auf ihrer Haut aus. Langsam drehte sie ihren Kopf, und da war er. Damien Blackwood.

Er stand auf der anderen Seite des Raumes, umgeben von einer kleinen Gruppe von Gästen, doch sein Fokus lag ausschließlich auf ihr. Seine eisgrauen Augen fesselten sie, hielten sie fest, als wäre sie ein Insekt, das sich in einem Netz verfangen hatte. Sein Gesicht wirkte unlesbar, doch in seinen Augen lag eine Intensität, die sie beinah körperlich spüren konnte.

Selinas Atem stockte, und sie spürte, wie ihr Herz raste. Sie wollte wegsehen, wollte den Blickkontakt brechen, doch es war unmöglich. Dieser Mann hatte sie schon einmal vollständig unter Kontrolle gehabt, und jetzt schien er diesen Griff erneut zu festigen.

Damien nickte ihr kaum merklich zu, ein kurzes, bedeutungsschweres Zeichen. Ein Gast sprach zu ihm, und er wandte sich langsam ab, doch Selina wusste, dass dies nur der Anfang war.

Sie trank einen Schluck Champagner, doch die prickelnde Flüssigkeit tat nichts, um die Trockenheit in ihrer Kehle zu vertreiben. Stattdessen verstärkte sie das Gefühl, dass sie gerade einen Schritt über eine unsichtbare Schwelle gemacht hatte – eine Schwelle, die sie nicht zurückgehen konnte.

Damien Blackwood war hier. Und das Spiel hatte gerade erst begonnen.