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Liebesromane an einem Ort

Kapitel 3Eisige Leere


Lea Silverthorne

Kalter, feuchter Stein drückte gegen meine Knie, als ich in der verborgenen Kammer des Grabheiligtums kauerte, die Finger zitternd über die rauen Wände gleitend. Die pulsierenden Runen warfen ein unruhiges, silbernes Licht auf mein Gesicht, das sich in meinen grünen Augen spiegelte – oder war es der Schimmer meiner eigenen Macht, der mich anstarrte? Der Tropfen des Wassers hallte wie ein unerbittlicher Herzschlag durch die Stille, jeder Klang ein Echo der Visionen, die mich nicht losließen. Erichs verzerrte Gestalt, triumphierend über einem Meer aus Blut, brannte hinter meinen geschlossenen Lidern. Meine Halbmondnarbe pochte schmerzhaft am Hals, ein ständiger Begleiter meiner Angst, dass ich scheitern könnte – dass ich mich selbst verlieren könnte.

Ich atmete tief ein, die Luft schwer und modrig, durchdrungen von uralter Magie, die meine Haut mit einem eisigen Prickeln überzog. Meine Finger fuhren weiter über die Runen, suchten nach Antworten in den verwobenen Linien, die wie Adern unter dem Stein pulsierten. Irgendwo hier, in diesen Texten, verborgen in der Sprache meiner Vorfahren, musste das vollständige Ritual liegen – der Schlüssel, um den Fluch meiner Familie zu brechen. Doch jeder Versuch, die Macht des Silberbluts zu rufen, um die Symbole zu entschlüsseln, zog mich tiefer in eine Leere, die mich von innen heraus zu vereisen schien. Meine Hände zitterten, als ich die Energie kanalisierte, ein silberner Schimmer kroch über meine Arme, und für einen Moment leuchteten die Runen heller, enthüllten Fragmente eines Textes. Doch mit der Klarheit kam die Kälte – eine hohle, gnadenlose Kälte, die mein Herz umklammerte, als wollte sie es stilllegen.

Ein Keuchen entfuhr mir, als ich zurücktaumelte, die Verbindung brach. Meine Sicht verschwamm, und plötzlich war ich nicht mehr in der Kammer. Vor meinen Augen erhob sich eine Gestalt – ich selbst, aber nicht ich. Eine Mondkönigin, gekrönt von silbernem Licht, die Haut bleich wie Mondstein, die Augen leer, ohne Wärme, ohne Menschlichkeit. Meine Stimme, doch fremd, hallte durch die Vision: „Du wirst herrschen, aber du wirst nicht fühlen.“ Ein Schauer jagte durch mich, als die Gestalt näher kam, ihre eisigen Finger nach mir griffen, und ich spürte, wie die Kälte meines eigenen Blutes mich zu verschlingen drohte. Mit einem erstickten Schrei riss ich mich aus der Vision, zurück in die feuchte Realität der Höhle, mein Atem rasselnd, meine Hände zitternd an meiner Brust.

Ich konnte das nicht ignorieren. Jede Nutzung meiner Kräfte zog mich näher an dieses Bild, an diese Fremde, die ich zu werden fürchtete. Meine Finger suchten Halt, fanden ein zerfleddertes Notizbuch in der Tasche meiner dunklen Jacke – ein Relikt aus der Villa, voller hastiger Notizen und Gedanken. Mit zitternden Händen schlug ich es auf, kritzelte die Worte, die in meinem Kopf brannten, während das silberne Licht der Runen über die Seiten tanzte. „Wenn ich das tue, werde ich noch ich selbst sein? Was bleibt von mir, wenn die Kälte alles nimmt?“ Die Tinte verschwamm unter meinen Augen, oder waren es Tränen? Ich wusste es nicht. Aber diese Worte, schwarz auf weiß, machten die Angst greifbar, real – und irgendwie unerträglich schwer.

Ein leises Rascheln durchbrach die Stille, Schritte, die über den unebenen Boden hallten. Mein Kopf ruckte hoch, die Halbmondnarbe pulsierte warnend, doch es war kein Feind, der aus den Schatten trat. Maris Greywind stand da, ihre Gestalt im schwachen Licht der Runen kaum mehr als ein Umriss, doch ihre Augen strahlten eine entschlossene Wärme aus, die mich für einen Moment atmen ließ. Das Amulett, das ich ihr gegeben hatte, schimmerte an ihrem Hals, ein Symbol unserer Freundschaft, das in dieser kalten Hölle wie ein Anker wirkte. Sie kniete sich neben mich, ihre Hände sanft, aber bestimmt, als sie meine zitternden Finger von dem Notizbuch löste.

„Du trägst nicht allein, Lea“, sagte sie, ihre Stimme weich, doch mit einem Unterton, der keinen Widerspruch duldete. „Wir finden einen Weg, der dich nicht bricht.“

Ich lachte bitter, das Geräusch hohl in der feuchten Luft. „Und wenn der Weg mich schon gebrochen hat?“ Meine Stimme war ruhig, aber die Zweifel fraßen sich durch jedes Wort, ließen sie roh und verletzlich klingen.

Maris antwortete nicht sofort. Stattdessen begann sie, leise zu summen, eine Melodie, die so alt und vertraut klang, dass sie durch die Kälte in mir hindurchdrang. Es war ein Lied, von dem ich wusste, dass es Bedeutung hatte – vielleicht ein Schlüssel, den wir noch nicht verstanden. Die Töne webten sich durch die Dunkelheit, beruhigten das Pochen meiner Narbe, wenn auch nur für einen Moment. Ich schloss die Augen, ließ mich davon tragen, während Maris’ Stimme wie ein warmer Hauch über meine Haut strich. Es war keine Antwort, aber es war Trost – und in diesem Augenblick brauchte ich das mehr als alles andere.

Als das Lied verklang, öffneten wir gemeinsam die Augen, unsere Blicke suchten die Runen ab. Maris’ Finger fuhren über eine Vertiefung im Stein, und mit einem leisen Klicken gab die Wand nach, enthüllte eine Nische, kaum größer als eine Hand. Darin lag eine silberne Phiole, ihr Metall schimmerte unnatürlich warm im kalten Licht der Höhle. Vorsichtig nahm ich sie heraus, spürte die Hitze durch meine kalten Finger sickern, als ob sie lebte. Ein winziger Gravur zog meinen Blick auf sich – das Siegel meiner Großmutter, das gleiche, das auf meinem Silberring prangte. Mein Herz zog sich zusammen. Das war ihr Blut, das Blut einer Kuratorin, die diese Bürde vor mir getragen hatte. Die Wärme war ein Echo ihrer Stärke, ihrer Opfer, und für einen flüchtigen Moment fühlte ich Hoffnung – als ob ich nicht allein war, als ob ich es schaffen könnte.

„Sie hat das für dich hinterlassen“, flüsterte Maris, ihre Stimme voller Ehrfurcht. „Ein Teil von ihr ist bei dir, Lea. Du musst daran glauben.“

Ich umklammerte die Phiole, die Wärme ein scharfer Kontrast zur eisigen Leere, die in mir lauerte. Doch bevor ich antworten konnte, erbebte der Boden unter uns. Ein tiefes, unheilvolles Grollen rollte durch die Gänge, ließ Staub von der Decke rieseln. Die Runen flackerten unruhiger, ihr silbernes Licht durchbrochen von einem kranken, gelblichen Schimmer, der nicht hierhergehörte. Die Luft wurde schwerer, durchdrungen von einem bitteren Hauch, der nach Korruption stank – Erichs Macht. Sie hatte das Heiligtum erreicht, verzerrte die Magie meiner Ahnen, wie sie alles verzerrte, was sie berührte.

Mein Blick traf Maris’, meine Hand schloss sich fester um die Phiole, während die Wände zu knirschen begannen. Die Kälte in mir wuchs, doch darunter brannte eine Entschlossenheit, die ich nicht unterdrücken konnte. Was auch immer kam, ich würde nicht aufgeben – nicht jetzt, nicht, wenn ich so nah dran war. Doch das Beben wurde stärker, und in der Dunkelheit der Gänge glaubte ich, ein Flüstern zu hören, das meinen Namen rief, voller Hass und Triumph. Die Gefahr war nicht länger eine ferne Vision – sie war hier, und sie kam näher.