Kapitel 2 — Schattenhafte Entdeckungen
Wechsel zwischen Lea Weigand und Danila Volkov
Lea saß regungslos in einem der kalten, aseptischen Labore der Kriminaltechnik, die von grellem Neonlicht erleuchtet wurden. Der sterile Geruch von Chemikalien und Desinfektionsmitteln füllte die Luft und vermischte sich mit dem Summen der Geräte. Sie trommelte mit den Fingern auf der glatten Oberfläche des Tisches, während ihr Blick auf den Beweisen vor ihr ruhte: Eine Visitenkarte mit dem eingravierten Symbol und die kyrillische Notiz, beide sauber in durchsichtige Plastikbeutel verpackt.
„Es ist fast so präzise, als wäre ein Computer programmiert worden, um die Arbeit auszuführen. Jeder Schnitt ist makellos, wie der eines Lasers“, sagte der Labortechniker, ein junger Mann mit dicker Brille und mürrischer Stimme, während er durch seine Notizen blätterte. „Das ist keine impulsive Tat. Das ist eine Inszenierung.“
„Eine Inszenierung“, wiederholte Lea leise, mehr zu sich selbst als zu ihm. Sie lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und starrte auf die kyrillischen Buchstaben der Notiz. Die verschlungenen Zeichen schienen sie herauszufordern, ihre Bedeutung zu entschlüsseln.
„Haben Sie Fortschritte bei der Übersetzung?“ fragte sie schließlich, wobei ihre Stimme kühl und kontrolliert blieb.
„Noch nicht vollständig. Wir haben die russische Abteilung eingeschaltet, aber so etwas dauert seine Zeit,“ antwortete er, bevor er sich nervös an die Brille fasste.
Lea nickte kurz, ihre Ungeduld sorgfältig unterdrückend. Sie erhob sich abrupt, und das klackende Echo ihrer flachen Schuhe auf den glänzenden Fliesen füllte den Raum. „Informieren Sie mich sofort, wenn Sie mehr haben.“
Als sie den Raum verließ, sog sie tief die kühle Luft des Flurs ein. Der Fall schien wie ein Schatten, der sich um sie legte und keinen Raum zum Atmen ließ. Das Symbol auf der Visitenkarte widersetzte sich einer simplen Erklärung, und Lea spürte, dass es mehr war als ein kryptisches Zeichen. Es war eine Botschaft.
***
Danila Volkov stand reglos am Fenster eines düsteren Besprechungsraums im Hauptquartier des Shadow Syndikats. Die getönten Scheiben verzerrten die Sicht auf die Stadt und ließen die Lichter Berlins wie ferne Illusionen erscheinen. Ihm gegenüber saß der Syndikatsführer, eine unnahbare Gestalt mit stahlharten Augen, die keine Schwäche duldeten.
„Die Journalistin ist tot, und trotzdem ist der Schaden noch nicht eingedämmt,“ sagte der Syndikatsführer mit bedrohlich leiser Stimme. Seine Worte erschienen beiläufig, doch Danila wusste, dass jede Silbe eine Gefahr barg.
„Es gibt keine direkten Verbindungen zu uns,“ antwortete Danila mit kontrollierter Gelassenheit. „Die Spur endet bei ihr.“
Ein Lächeln blitzte auf den Lippen des Mannes auf, kalt wie ein Stahlmesser. „Die Polizei hat eine Notiz gefunden. Kyrillisch. Sie wissen, was das bedeutet.“
Danila hielt inne, bevor er mit ruhiger Stimme sprach. „Ich werde die Quelle ausfindig machen. Das Problem wird verschwinden.“
Der Syndikatsführer lehnte sich zurück, die Fingerkuppen aneinandergelegt. „Tun Sie das, bevor jemand tiefer gräbt. Wir stehen an einem Wendepunkt, Volkov. Fehler können wir uns jetzt nicht leisten.“
Danila nickte, sein Gesicht ein undurchdringlicher Fluss, doch in seinem Inneren tobte ein Sturm. Als er den Raum verließ, spürte er die Blicke eines zweiten Syndikatsmitglieds, Ivan, der misstrauisch in der Tür lehnte. „Lässt du dir nicht ein bisschen zu viel Zeit, Volkov?“ fragte Ivan mit einem Hauch von Provokation.
„Ich bin gründlich,“ erwiderte Danila ruhig, aber bestimmt. „Gründlichkeit ist der Unterschied zwischen Erfolg und einem schnellen Ende.“
Ivan schnaubte, trat zur Seite und ließ ihn passieren, doch der Zweifel in seinen Augen blieb. Danila wusste, dass er sich keine Fehler erlauben konnte – weder im Syndikat noch bei sich selbst.
***
Im Hauptquartier der Kriminalpolizei hatte Lea sich ins Archiv zurückgezogen, einen stillen Raum voller Akten und digitaler Datenbanken. Der kühle Schein des Computermonitors warf Schatten auf ihre angespannten Züge. Die Suchergebnisse über Alina Petrova hatten sie hierhergeführt.
Petrova war bekannt für ihre kompromisslosen Recherchen zu Korruption und organisiertem Verbrechen. Lea ließ ihre Finger über einen Stapel Ausdrucke gleiten, während sie durch Artikel und Notizen blätterte. Eine Zeile in einem ihrer Berichte stach hervor: „Die Schatten der Gesellschaft sind keine Orte, sondern Menschen – sie sind überall um uns herum.“
Lea strich die Zeile mit einem Bleistift an und schrieb daneben: „Syndikat?“ Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Petrova hatte sich mit dem Shadow Syndikat angelegt, einem Netzwerk, das tief in den Strukturen der Stadt verwurzelt war.
Ein leises Summen riss Lea aus ihren Gedanken. Es war eine Nachricht aus dem Labor. Die kyrillische Notiz war teilweise entschlüsselt worden.
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Danila saß in seinem Büro, das wie eine Tarnung wirkte – funktional, doch ohne echte Spuren eines Lebens. Die Nachricht vom Hafen hatte ihn erreicht, und er wusste, dass die Polizei dieselbe Spur verfolgte.
Seine Finger flogen über die Tastatur seines Handys, als er eine verschlüsselte Nachricht an die Untergebenen des Syndikats abschickte: „Verstärkt die Überwachung am Hafen. Fehler sind nicht erlaubt.“
Seine Gedanken wanderten zu Alina Petrova. Er hatte ihre Hartnäckigkeit respektiert, bevor sie zu einer Gefahr geworden war. Nun war jemand anderes aufgetaucht, der ähnlich entschlossen war.
***
Lea kehrte ins Labor zurück, wo der Techniker bereits auf sie wartete. „Es ist keine vollständige Übersetzung,“ erklärte er und drehte den Bildschirm zu ihr, „aber wir haben einige Schlüsselwörter entschlüsseln können: ‚Treffpunkt‘, ‚Container‘ und ‚Hafen‘.“
Lea fühlte, wie ihr Puls sich beschleunigte. Sie beugte sich über die Notiz, ihre Augen auf die kryptischen Wörter gerichtet. „Der Hafen von Berlin,“ sagte sie leise.
Der Techniker nickte. „Das klingt nach einem geplanten Treffen. Aber die Notiz ist beschädigt. Wir arbeiten noch daran.“
Lea bedankte sich knapp und wandte sich ab, doch ihre Gedanken rasten. Sie notierte sich die Informationen methodisch in ihrem Notizbuch, während sie den Flur entlangging. Der Hafen – er war ein bekanntes Zentrum für illegale Aktivitäten, ein Knotenpunkt für alles, was das Syndikat am Leben hielt.
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In ihrem Büro betrachtete Lea die Notiz und die Beweise vor sich. Ihre Gedanken waren wie ein Netz, das sie immer enger um die Wahrheit zog. Doch Hartmanns Worte hallten in ihrem Kopf wider: „Vorsicht, Weigand. Manchmal sind die Schatten gefährlicher, als sie scheinen.“
Sie zögerte, versuchte den subtilen Tonfall seiner Warnung zu analysieren. Es fühlte sich nicht nur wie ein gut gemeinter Ratschlag an – eher wie eine leise Drohung.
Als sie die Tür des Hauptquartiers hinter sich schloss und in die dunklen Straßen Berlins trat, spürte sie die Last einer wachsenden Bedrohung auf ihren Schultern. Der Hafen wartete – und mit ihm etwas, das sie noch nicht greifen konnte.