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Liebesromane an einem Ort

Kapitel 2Flüstern der Vergangenheit


Wechsel zwischen Lukas und Aña

Der Regen hatte über Nacht die Kopfsteinpflastergassen von Schwarzbach in einen spiegelnden Teppich aus Wasser verwandelt. Die grauen Wolken hielten den Tag in einem Zustand, der kaum heller war als Dämmerung. Lukas saß stumm auf der Holzbank vor dem alten Elternhaus. Das Notizbuch seiner Mutter lag auf seinen Knien, seine Finger umklammerten die Kanten, als würde es ihm sonst aus den Händen gleiten. Die Worte „Für Lukas. Solltest du je zurückkehren“ schienen in seinem Geist zu hallen. Sie waren wie ein unausgesprochener Vorwurf, ein Echo aus der Vergangenheit.

Er schlug das Notizbuch erneut auf und ließ seinen Blick über die Seiten gleiten. Die Skizzen von Maschinen, die präzisen Formeln, die verschlungenen Runen, die wie lebendige Zeichen wirkten – alles schien ein Geheimnis zu verschleiern, das kurz davor war, sich ihm zu offenbaren. Doch da war auch eine Notiz, die besonders in seinen Gedanken widerhallte: „Der Fluch liegt in den Zahnrädern der Zeit verborgen.“

Ein feuchter Windstoß brachte ihn in die Gegenwart zurück. Lukas schloss das Buch mit einem knappen Schnappen und stand auf. Er wusste, dass die Antworten, die er suchte, nicht hier zu finden waren. Seine Mutter hatte oft von Johann gesprochen, einem Gelehrten und alten Freund der Familie. Wenn irgendjemand ihm helfen konnte, die kryptischen Hinweise zu entschlüsseln, dann er.

Lukas zog seine Jacke enger um die Schultern und machte sich auf den Weg. Seine Schritte hallten in den engen, stillen Gassen wider. Die Häuser wirkten wie stumme Zeugen seiner Rückkehr, ihre Fenster wie Augen, hinter denen sich die Dorfbewohner verbargen. Er konnte ihre Blicke spüren, das Flackern der Gardinen, das leise Murmeln, sobald er vorbeiging. Die Namen Wolfsblut und Fluch waren hier untrennbar miteinander verbunden.

An einer Wegkreuzung hielt er inne. Eine seltsame Unruhe erfasste ihn, die Luft schien dichter, der leise Klang des Waldes lauter. Ein Kribbeln lief über seinen Rücken. Lukas ließ seinen Blick schweifen, seine gelben Augen suchten die Umgebung ab. Da – ein Schatten, der sich hinter einem der alten Häuser bewegte. Seine Sinne schärften sich.

„Wer auch immer du bist...“, murmelte er leise, doch seine Stimme verlor sich im Rauschen der Bäume. Einen Moment lang wollte er nachgehen, doch sein Pragmatismus siegte. Es gab Wichtigeres als Geister der Vergangenheit zu jagen.

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Aña stand reglos hinter dem zerbrochenen Fenster eines verlassenen Hauses. Ihr Blick war starr auf Lukas gerichtet, der sich durch die Gassen bewegte. Sie hatte ihn schon gesehen, bevor er Schwarzbach erreicht hatte, auf den alten Pfaden durch den Wald. Etwas an ihm ließ sie nicht los – ein seltsames Zusammenspiel aus Ruhe und Zorn in seiner Haltung, das sie gleichermaßen faszinierte und beunruhigte.

„Ein Wolfsblut“, flüsterte sie, fast ohne es selbst zu bemerken. Das Wort schmeckte bitter. Ihr Vater hatte sie mit Geschichten über die Familie gefüttert – Geschichten von Verrat, Macht und der dunklen Bürde des Fluchs. Doch Lukas war nicht, wie sie ihn sich vorgestellt hatte. Er wirkte wie jemand, der suchte, der sich mit der Last vergangener Fehler auseinandersetzte.

Aña schlang die Arme um ihren Körper. Sie wusste, dass sie sich von ihm fernhalten sollte. Ihr Vater würde ihr nicht verzeihen, wenn er wüsste, dass sie auch nur an ihn dachte. Doch da war dieses Gefühl, das sie nicht ignorieren konnte – als würde sie ihn schon lange kennen.

„Was treibt dich her, Lukas?“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, bevor sie sich in die Schatten zurückzog.

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Johanns Haus lag am Rand des Waldes, umgeben von verwilderten Beeten und einem schiefen Zaun. Die Fensterläden hingen schief, und der Weg zur Tür war fast vollkommen von Moos bedeckt. Das Innere war ein Chaos aus Büchern, Landkarten und seltsam anmutenden Geräten. Der Duft von Tinte und Kräutern erfüllte die Luft.

Als Johann die Tür öffnete, musterte er Lukas mit scharfen Augen, die den Jahren zum Trotz nichts an Schärfe verloren hatten. „Lukas Wolfsblut“, sagte er langsam, als würde allein der Name Erinnerungen wachrufen. „Ich habe dich nicht wieder hier erwartet.“

„Ich auch nicht“, antwortete Lukas trocken und trat ein.

Johann schloss die Tür, deutete auf einen abgenutzten Stuhl und begann, Tee zuzubereiten. „Deine Mutter hat oft von dir gesprochen“, sagte er schließlich. „Du hast ihre Augen.“

Lukas’ Gesicht blieb unbewegt. „Ich brauche Antworten, Johann. Hier.“ Er legte das Notizbuch auf den Tisch, klappte es auf und schob es zu ihm hinüber.

Johann setzte seine Lesebrille auf und begann, die Seiten mit konzentriertem Blick zu studieren. Seine Finger glitten über die Runen und Diagramme, während seine Stirn sich immer tiefer in Falten legte. Schließlich richtete er sich auf und blickte Lukas an.

„Das hier... das ist mehr als Forschung. Elza hat eine Verbindung gefunden – eine Verbindung zwischen den alten Runen und der modernen Mechanik. Sie hat den Fluch als ein System verstanden, das entschlüsselt werden kann.“

„Was bedeutet das konkret?“ Lukas’ Stimme klang ungeduldig.

Johann nahm seine Brille ab und seufzte. „Es bedeutet, dass deine Mutter mehr wusste, als sie preisgab. Dieser Satz hier... ‚Der Fluch liegt in den Zahnrädern der Zeit verborgen‘... ich glaube, sie meinte das wörtlich. Diese Runen sind wie ein Code, der entschlüsselt werden muss. Aber... dafür brauchst du jemanden, der mehr über diese Technologie versteht. Du brauchst Aña.“

Lukas’ Augen verengten sich. „Klaus’ Tochter? Warum sie?“

„Weil sie beides versteht – die alten Geheimnisse und die Welt der Maschinen. Aber sei gewarnt, Junge: Klaus wird nicht zulassen, dass du dich ihr näherst.“

„Das ist mir egal.“ Lukas nahm das Notizbuch zurück. „Danke, Johann. Wenn dir noch etwas einfällt, melde dich.“

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Aña saß an ihrem Schreibtisch, umgeben von Büchern, Schriftrollen und leuchtenden Bildschirmen. Ihr Archiv war ihre Zuflucht, ein Ort, an dem sie sich frei fühlte. Doch heute lastete etwas Undefinierbares in der Luft.

Ein leises Piepen riss sie aus ihren Gedanken. Sie drehte sich zum Bildschirm und sah eine Nachricht: „Ungewöhnliche Datenanomalien erkannt.“ Als sie darauf klickte, erschien eine Karte mit leuchtenden Punkten, die verschiedene Regionen markierten. Die Muster waren nicht zufällig – sie ähnelten verschlungenen Runen.

Aña verglich die Karte mit einer alten Schriftrolle. „Das ist hier“, flüsterte sie. „In Schwarzbach.“

Ihr erster Instinkt war, ihren Vater zu informieren. Doch etwas hielt sie zurück. Stattdessen griff sie zu ihrer Jacke und machte sich auf den Weg.

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Die Nacht war hereingebrochen, und der Regen hatte den Boden in ein rutschiges Labyrinth verwandelt. Lukas spürte die Präsenz hinter sich, bevor er die Schritte hörte.

„Aña“, sagte er leise, ohne sich umzudrehen.

„Du bist schwer zu finden, Lukas Wolfsblut.“ Ihre Stimme war ruhig, doch ihre grünen Augen funkelten im Mondlicht.

Lukas wandte sich langsam um, die Spannung in seinen Bewegungen war spürbar. „Und du bist mutig, mir zu folgen, Aña Klausdottir.“

Ein Moment der Stille legte sich über die Lichtung, und beide wussten, dass sie an einem Punkt angelangt waren, an dem es kein Zurück mehr gab.